bezeichnet in der Sozialpsychologie einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass mehrere Kognitionen – Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten – nicht miteinander vereinbar sind. Diese ursprüngliche Definition wurde inzwischen dahingehend verfeinert, dass kognitive Dissonanz durch die Unvereinbarkeit von Kognitionen und der Wahrnehmung eigener Handlungen entsteht.
Beispiel: So kann ein Student, der sich für sehr intelligent hält, aber dauernd schlechte Noten bekommt, diese Dissonanz beseitigen, indem er sich sagt, Noten seien ohnehin unwichtig und hätten wenig mit Intelligenz zu tun (Senkung der Wichtigkeit), beschließen, dass äußere Umstände verantwortlich sind, wie z.B. ungerechte Notenvergabe oder zu große Belastung durch den Nebenjob (konsonante Elemente zufügen), oder er kann bessere Noten bekommen oder seine Meinung über seine Intelligenz revidieren (dissonantes Element beseitigen). Bis auf das Bessere-Noten-Bekommen sind dies alles Beispiele für Haltungsänderungen aufgrund von Handlungen.
Kognitive Dissonanz motiviert Personen, die entsprechenden Kognitionen miteinander vereinbar zu machen, wobei unterschiedliche Strategien benutzt werden, wie beispielsweise Verhaltensveränderungen oder Einstellungsveränderungen (Rechtfertigungen). Grundsätzlich motiviert das Bedürfnis der Menschen, kognitiven Dissonanzen vorzubeugen, auch dazu, von vornherein richtig zu entscheiden, wobei Menschen damit versuchen, ihre Überzeugungen und ihr Handeln in Einklang zu bringen, auch durch eine anschließende Rechtfertigung ihres Verhaltens. Das trägt letztlich zur psychischen Gesundheit bei.
Der Begriff wurde von Leon Festinger geprägt, der sowohl die Entstehung als auch Auflösung von kognitiver Dissonanz theoretisch formulierte. Seinem Schüler Elliot Aronson ist die Weiterentwicklung und empirische Untermauerung zu verdanken. Jerome Bruner ergänzte, dass diese Ungleichgewichte wahrgenommen werden müssen, und dass diese vor allem zwischen den Erwartungen an die Umwelt und der tatsächlichen Wahrnehmung der Umwelt auftreten. Diese kognitiven Dissonanzen laufen in der Regel eher nicht bewusst ab, sondern häufig unbewusst. Je mehr Energie, Geld, Aufwand oder auch Schmerzen Menschen in etwas gesteckt haben, desto schwerer fällt es ihnen dann einzugestehen, dass sie sich geirrt haben. Genau deshalb halten Menschen mit voller Überzeugung an Dingen fest, die von außen betrachtet ziemlich unsinnig sind. Wer viel investiert, tut sich offenbar sehr schwer, einen Irrtum einzugestehen.
Historisches: Leon Festinger revolutionierte in den 1950er Jahren mit seiner Theorie der Kognitiven Dissonanz die Psychologie, denn erstmals befasste sich eine Theorie der wissenschaftlichen Psychologie mit der Dynamik der menschlichen Psyche. Zwar hatte auch schon die Psychoanalyse Sigmund Freuds versucht, die Psyche als dynamisches Geschehen darzustellen, doch wurde sie innerhalb der wissenschaftlichen Psychologie insbesondere in Europa nicht anerkannt. Festinger war zwar kein Psychoanalytiker, stieß jedoch in seiner Forschung auf ähnliche Phänomene wie Freud.
In neueren Untersuchungen wurde übrigens entdeckt, dass u. U. das Waschen der Hände Menschen hilft, ihre kognitive Dissonanz zu verringern oder sogar zu vergessen. US-Forscher haben bestätigt, dass auch Entscheidungen nach dem Waschen der Hände abgeschlossen sind, während sie ohne Händewaschen noch hinterfragt werden und schöngeredet werden müssen.
Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie gelang es Forschern, die für kognitive Dissonanzen verantwortlichen Regionen des Gehirns ausfindig zu machen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der posteriore Teil des mediofrontalen Cortex, der Menschen dazu bringt, bestimmte Dinge zu vermeiden, die negative Konsequenzen haben könnten, also eine Art Überlebensinstinkt. Dies ist Areal ist auch genau dann aktiv, wenn jemand seine Einstellung ändert, um sich von dem unbehaglichen Gefühl infolge einer kognitiven Dissonanz zu befreien. Man ließ Probanden einzelne Bilder bewerten und forderten sie anschließend auf, aus zwei gleichzeitig präsentierten Bildern das schönere auszuwählen. Jedoch entschieden sich nicht alle für das Exemplar, das sie zuvor als attraktiver eingestuft hatten, und bemerkten die Versuchsteilnehmer diesen Widerspruch, wollten sie ihre ursprüngliche Einschätzung der Bilder in einer anschließenden Runde häufig korrigieren. Wenn man nun aber bei den Probanden zuvor kurzzeitig die Aktivität dieses Areal mittels transkranieller Magnetstimulation reduzierte, änderten die Probanden im zweiten Durchgang seltener ihre Meinung, d. h., das Bedürfnis, die anfängliche Bewertung an die nachfolgende Entscheidung anzupassen, war also weniger ausgeprägt. Bei der Wahrnehmung einer kognitiven Dissonanz sind aber auch der dorsolaterale präfrontale Cortex und die Inselrinde beteiligt, wobei in dieser Emotionen verarbeitet werden und sie insbesondere dann aktiv wird, wenn Menschen aufgebracht sind. Der dorsolaterale präfrontale Cortex dagegen ist in kognitive Kontrollprozessen involviert, etwa wenn man verschiedene Anforderungen koordinieren muss oder eine Handlung unterbricht, um eine andere zu beginnen. Wird seine Funktion durch elektrische Störsignale beeinträchtigt, bemühen sich die Probanden ebenfalls weniger darum, ihre kognitive Dissonanz aufzulösen.
Kurioses: Da in manchen Onlinespielen einige Spieler oft eine negative Stimmung verbreiten, wirkt sich dies insgesamt negativ auf die Mitspieler und den Spielspaß aus. Fairplay ist etwas, das offenbar einigen Spielern bei kompetitiven Onlinespielen schwer fällt, sodass es in einigen diese Spiele mitunter ziemlich rau zugeht, denn negativ eingestellte Spieler sorgen für eine miese Stimmung im Team. Doch jedes Spiel soll aus Sicht der Spielentwickler in erster Linie Spaß machen, sodass man gegen solche toxischen Spieler vorgeht. Man wirkt daher mit Hilfe des Phänomens der kognitiven Dissonanz dieser negativen Stimmung entgegen, indem man am Ende jedes Spieldurchgangs zwei Fragen stellt: Als erstes soll jeder Spieler das Verhalten seines Teams bewerten, und anschließend wird er gefragt, wie er sein eigenes Verhalten einschätzt. Dabei ist die Reihenfolge der Fragen bewusst so gewählt, denn natürlich möchte sich jeder in einem möglichst guten Licht darstellen und seine eigene Leistung hervorheben. Doch da zuerst nach der Bewertung des Teams gefragt wird, fällt diese meist negativ aus, sodass viele nicht direkt anschließend eine positive Bewertung für sich selbst geben können. Nach dem Prinzip der kognitiven Dissonanz befinden sich viele bei der Beantwortung der Fragen in einem Gewissenskonflikt, denn wenn sie das Team schlecht, sich aber selbst gut bewerten wollen, überlegen es sich viele, sich negativ zu verhalten. Seit diese zwei Fragen am Ende von Matches eingeführt wurden, ging die Anzahl der Beschwerden wegen unangemessenem Spielerverhalten um 12,5 Prozent zurück.
Kognitive Dissonanz in der Wissenschaft
Galileo weigerte sich standhaft, Keplers nachgewiesene Hypothese anzuerkennen, dass der Mond die Gezeiten verursacht. Leibniz lehnte strikt das Newtonsche Gravitationsgesetz ab, während dieser wiederum fest daran glaubte, dass die Erde 6000 Jahre alt sei. Diese Behauptung der Kirche überzeugte ihn mehr als rationalen Beweise. Als Alfred Wegener die Kontinentalverschiebungstheorie formuliert hatte, wurde er von der wissenschaftlichen Elite ausgelacht, aber auch Ignaz Semmelweis, der herausfand, dass das Kindbettfieber von Ärzten ausgelöst wurde, die sich nicht die Hände gewaschen hatten, erklärte man in Expertenkreisen für verrückt. Manche Wissenschaftler versuchen um jeden Preis und entgegen allen rationalen Argumenten eine nachweislich falsche Theorie, der sie ihr Renommee und ihre Karriere verdanken, aufrechtzuerhalten. In England wurden bis weit in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts immer noch Gaslaternen als Straßenbeleuchtung benutzt, lange nachdem sich in anderen europäischen Großstädten elektrisches Licht als wesentlich vorteilhafter erwiesen hatte. Die britische Regierung hatte in der Vergangenheit sehr viel Geld in die Gasbeleuchtung investiert und hielt daher daran fest. Max Planck formulierte daher: „Neue wissenschaftliche Theorien setzen sich nicht deswegen durch, weil ihre Gegner überzeugt werden. Sie setzen sich durch, weil ihre Gegner irgendwann mal aussterben.“
Kognitive Dissonanzen im modernen Alltag
- Fliegen hat einen hohen CO2-Abdruck, aber man möchte gern wieder die Erfahrung einer weiten Reise machen. Außerdem ist einmal doch in Ordnung, oder?
- Am nachhaltigsten wäre es, nur biologische, regionale und saisonale Lebensmittel zu kaufen. Aber es ist schwierig, auf die Avocados und Tomaten im Winter zu verzichten. Gesundes, vielfältiges Essen ist doch auch wichtig.
- Man ist unterwegs und hat plötzlich großen Hunger auf eine warme Mahlzeit. Anstatt später etwas zu Hause zu kochen, muss es jetzt einmal das plastikverpackte Fast Food sein.
- Faire Mode ist kostspielig, auch wenn sie die bessere Wahl wäre.
- Jede Woche produziert man viel Plastikmüll. Das macht traurig, aber man weit nicht, wie man es ändern soll. Leider gibt es in der Nähe kein Geschäft, wo man unverpacktes Gemüse bekommt.
- Der menschengemachte Klimawandel ist zwar schlimm, aber wie viel kann man als einzelner Mensch schon ausrichten? Wieviel ist denn eigentlich wirklich menschengemacht davon? Kannst man das wirklich wissen?
- Man fährt doch ohnehin schon sehr viel Fahrrad, trennt Müll, kauft plastikfreie Hygieneartikel und so weiter. Dann ist es auch nicht so schlimm, ein paar neue Sachen über das Internet zu bestellen, oder?
Literatur
Artelt, J. (2021). Kognitive Dissonanz: Das hat sie mit Nachhaltigkeit zu tun. Utopia vom 19. September 2021.
Ebert, V. (2017). Was wäre, wenn selbst Wissenschaftler gar nicht so skeptisch wären?
WWW: http://www.spektrum.de/kolumne/was-waere-wenn-selbst-wissenschaftler-gar-nicht-so-skeptisch-waeren/1498061 (17-09-03)
http://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz (09-07-18)
http://paedpsych.jku.at/internet/ARBEITSBLAETTERORD/PSYCHOLOGIEORD/Sozialpsychologie.html (09-07-18)
http://www.pcgames.de/Dota-2-Spiel-21922/News/valve-moba-psychologische-tricks-toxische-Spieler-online-1212741/ (16-11-07)
https://www.spektrum.de/frage/was-geschieht-in-unserem-gehirn-waehrend-einer-kognitiven-dissonanz/1492907 (18-01-08)
Ein typisches Beipiel für die kognitive Dissonanz: RaucherInnen haben einerseits meist die Einstellung „Ich rauche gern, es entspannt mich“, andererseits wissen sie über die gesundheitsschädigende Wirkung Bescheid. Die Diskrepanz zwischen beiden Gedanken können RaucherInnen dadurch lösen, indem sie sich sagen: „Ich fühle mich super, es wird schon keinen Einfluss auf mich haben, denn der Nachbar von nebenan hat sein ganzes Leben lang geraucht und ist 93 Jahre alt geworden“. Oder sie steigen auf leichtere Zigaretten um, von denen sie gehört haben, das diese weniger ihre Gesundheit schaden. Vielen fällt es deshalb schwer, mit dem Rauchen aufzuhören.