Jugendkultur sind mehr als die Summe dessen, was Jugendliche fühlen, denken, was sie toll finden, was sie gerne machen und warum. Jugendkulturen befriedigen das Bedürfnis nach temporären Beziehungsnetzwerken, sie bringen Ordnung und Orientierung in die überbordende Flut neuer Erlebniswelten und füllen als Sozialisationsinstanzen das Vakuum an Normen, Regeln und Moralvorräten aus, das die zunehmend unverbindlichere, entgrenzte und individualisierte Gesamtgesellschaft hinterlässt. In der Lebensphase Jugend wird der gesellschaftliche Wandel und die damit einhergehende Stellung der Jugendlichen in der jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Struktur sichtbar. Jugendkulturen und Jugendszenen sind dabei Gruppen von jungen Menschen, die gemeinsame Interessen und Stile teilen, wobei der Begriff Jugendszene vorwiegend eine soziale Gruppe beschreibt, die gleiche Interessen, wie Musik, Lebensstil, Religion oder auch politische Meinungen, vertritt, während eine Jugendkultur eher kulturelle Aktivitäten und Stile einer Gruppe sowie das eigentliche Netzwerk der Jugendlichen bezeichnet.
Sowohl historisch wie auch sozial- und kommunikationswissenschaftlich betrachtet, scheint das 20. Jahrhundert besonders seit den 50er Jahren geprägt durch eine Vielfalt an Jugendkulturen, die in dieser Zeit aufgrund verschiedener Bedingungen und Sachverhalte ihren Ursprung hatten, wobei diese Jugendkulturen und ihre Träger als Auslöser für soziale Revolten fungierten, die mit allen verfügbaren Mitteln vorgetragen wurden. Diese Revolten innerhalb autoritärer Strukturen sind und waren seit jeher auch gleichzeitig Ausdruck einer generellen Unzufriedenheit mit einem nach wie vor autoritären Gesellschaftssystem, eher hoffnungslosen Zukunftsperspektiven hinsichtlich Berufs- und Arbeitsangeboten, finanzieller und notwendigerweise auch sozialer Absicherung, sowie eine generelle Unzufriedenheit über das weitgehende Negieren der Tatsache, dass Jugendlichen einen mündigen, ernstzunehmenden, integrativen Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaft darstellen. Die Zahl der Jugendkulturen explodierte besonders in den späten 70er und frühen 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, genau zu der Zeit, in welcher der Prozess der Individualisierung innerhalb der Gesellschaft einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Individualisierung war gleichbedeutend mit dem Versuch, der Vielfalt in einer zunehmend komplexeren, chaotischeren, widersprüchlicheren Welt eigenständig zurechtzufinden, aus der Fülle an Identitäts- und Lebensstilangeboten sein eigenes Ding herauszufiltern, sich seine eigene Umwelt inklusive verbindlicher Beziehungen und Freundeskreise selbst zusammenzustellen. Die Ausweitung der Jugendzeit verstärkte noch die Bedeutung der Jugendkultur, der sich die jungen Menschen jeweils zugehörig fühlen, wobei eine gestiegene Anzahl von ihnen, die durch Schule, Uni oder andere Arten von Ausbildung mehr Zeit haben, noch mehr Jugendkultur produzierten bzw. diese konsumierten. Eine weitere wichtige Rolle spielt hierbei die Tatsache, dass der Stellenwert der Familie, ihre Bedeutung für die individuale Entwicklung, stark abgenommen hat, d.h., Jugendkulturen sind heutzutage zum Familienersatz geworden:
Jugendkulturen sind daher vor allem Beziehungsnetzwerke und bieten Jugendlichen eine soziale Heimat, eine Gemeinschaft der Gleichen. Noch nie waren so viele Jugendliche kreativ engagiert wie heute, schreibt Klaus Farin in „Psychologie & Gesellschaftskritik 2/2011, denn etwa ein Fünftel der Jugendlichen in Deutschland gehören aktiv und engagiert Jugendkulturen an, d.h., sie sind Punks, Gothics, Emos, Skinheads, Fußballfans, Skateboarder, Rollenspieler, Cosplayer, Jesus Freaks usw. und identifizieren sich mit ihrer Szene. „In jeder Stadt in Deutschland gibt es heute RapperInnen, B-Boys und Girls, SprayerInnen und DJs.“
Jugendkulturen bieten einen Sozialraum, in dem die intersubjektive Bezogenheit im Sehen und Gesehenwerden sowie Sprechen und Gehörtwerden eine Erfahrungsmöglichkeit gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung eröffnet. Nicht zufällig ist Respekt ein Schlüsselwort fast aller Jugendkulturen, denn Respekt und Anerkennung sind das, was Jugendliche am meisten vermissen, vor allem von Seiten der Erwachsenen, nicht zuletzt in der Familie. Viele Erwachsene, klagen Jugendliche, sehen Respekt oft als Einbahnstraße, d.h., sie verlangen von den Jüngeren, was sie selbst nicht zu gewähren bereit sind.
Jugendkulturen mit ihren Strukturen sind daher für die Jugendlichen ein Ort der Selbstbehauptung, der in elementarer Weise eine Rekonstruktion verloren gegangener Lebensbezüge und Einbindungsformen erlaubt. Die Gesprächszirkel werden zu positiven Aushandlungsfeldern von Identität und auf diesen Minispielfeldern sozialen Wettstreits, wo jeder seinen Einsatz wagen kann, geht es um nichts weniger als um Ansehen, Respektabilität und Anerkennung.
Die Medien vermitteln über Jugendkulturen oft nur die skandalisierenden Aspekte, d.h., sie reduzieren Inhalte und Themen der Jugendkulturen auf die Probleme „Gewalt“ und „Drogen“. Die Erwachsenen werfen den Jugendkulturen vor allem Sprachlosigkeit und Eskapismus vor, merken dabei aber nicht, dass sie selber gegenüber Jugend und Jugendkulturen sprachlos geworden sind, d.h., sie kapitulieren vor der Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Jugendkulturen und jugendkulturellen Szenen (Barthelmes 1999, S. 39).
Jugendkulturen sind aber grundsätzlich auch Konsumkulturen, d.h., Jugendliche wollen nicht die gleichen Produkte konsumieren wie der Rest der Welt, sondern sich durch die Art und Weise ihres Konsums von dieser abgrenzen;, schließlich ist der Konsum von Musik, Mode, Events ist ein zentrales Definitions- und Identifikationsmerkmal von Jugendkulturen. Das bedeutet auch, dass wo Jugendkulturen sind, auch die Industrie nicht weit ist, denn mit und teilweise schon vor Beginn der Jugendzeit rückt der Konsum in den Mittelpunkt und von nun an erfüllt der Markt den Großteil ihrer Bedürfnisse. Eine jugendzentrierte Industrie liefert die Musik, die Partys und anderen Events, die Mode und letztlich auch über die Jugendkulturen scheinbare Identität.
1. Definition:
„Jugendkultur, in moderneren Gesellschaften westl. Prägung die durch die Jugend bzw. (große) Teile von ihr repräsentierten Einstellungen, Verhaltensweisen, Lebensentwürfe, Kommunikationsformen, Symbolbildungen, Selbstdarstellungen und Konfliktpotenziale; innerhalb der Gesamtgesellschaft, oft in Verbindung mit bestimmten Musikformen (z.B. Rock, Pop, Techno) und/oder der Favorisierung bestimmter Markenprodukte (bes. Kleidung), eigene jugend. Subkulturen (Szenen) ausbildend. – Der Sammlung und wiss. Dokumentation von authent. Zeugnissen der Jugendkultur (Musik, Fanzines, Videos, Buttons, Aufkleber u.a.) widmet sich in Dtl. Bes. das Berliner Archiv der Jugendkulturen e.V. (gegr.1998). In Ö betreibt das Institut für Jugendkulturforschung (gegr. 2001) Grundlagen- und Auftragsforschung und macht die Forschungsergebnisse in Buchpublikationen und Fachzeitschriften einer breiten Öffentlichkeit zugänglich“ (ohne Autor, 2006, S. 61f).
2. Definition:
„Der Begriff Jugendkultur schließt an G.A. Wyneken und die Jugenddiskussion der 1920er Jahre an und betrachtet die Jugend im Rahmen der Kultursoziologie (R. Williams) unter dem Aspekt, inwieweit sich Einstellungen, Verhaltensweisen, Lebensentwürfe, Kommunikationsformen, Symbolbildungen, Selbstdarstellungen und Konfliktpotenziale Jugendlicher als eigenständige kulturelle Praxis auffassen lassen“ (ohne Autor, 2006, S. 276).
3. Definition:
„Jugendkultur, youth culture, allgemein die Gesellschaftsform von Jugendlichen sowie die darin wirkenden Normen und Wertvorstellungen, durch die sich Jugendliche (in der modernen Gesellschaft) von Erwachsenen unterscheiden. Die Bezeichnung J. wird in vielfältiger Bedeutung und manchmal unscharf gebraucht“ (ohne Autor, 1971, S.321).
4. Definition:
„1. meint die → Normen, → Werte, Vorstellungen und daraus resultierende → Verhaltensweise, die sich von denen der Erwachsenen systematisch und typisch unterscheiden. Elemente einer J. sind Moden, Musik etc.;
2. unter J. versteht man auch auf der Basis von 1. die spezifischen Formen der Organisation der sozialen Kontakte, z.B. in → gangs, → Cliquen oder anderen Konfigurationen, die eine eigene → soziale Kontrolle ausüben“ (ohne Autor, 1994, S.289).
5. Definition:
„Bezeichnung für das von Erwachsenen abweichende Verhalten von Jugendlichen, die sich zu einer bestimmten Kultur ausformt. Jugendliche entwickeln eigene Werte, Rituale, Kulturmuster und Lebensstile, die oft in despektierlicher und selbstbewusster Abgrenzung von der mittleren und älteren Generation ausgeprägt und gelebt werden. J.en entwickeln im histor. Prozessverlauf von Generation zu Generation neue Stile und Muster. Demzufolge unterscheiden sich J.en in unterschiedlichen Gesellschaften ganz beträchtlich. Aber auch in einer bestimmten Gesellschaft bilden sich in Abhängigkeit von sozialer Schicht, Bildung und Interessenlage unterschiedlicher J.en, die sich teilweise wie unterschiedliche Stämme entweder feindselig oder gleichgültig gegenüberstehen“ (Reinhold G., 1992, S.408).
6. Definition
Jugendkulturen sind altershomogene gesellschaftliche Teilkulturen, die zu den posttraditionalen Gemeinschaften zählen. Diese kann man in zwei Typen unterscheiden. Die eine Hauptgruppe der Jugendkultur ist fremdbestimmt (heterokephal), die andere selbstbestimmt (autokephal). Autokephal bedeutet, dass die Jugendlichen zum Beispiel in einer bestimmten Szene weitestgehend autonom handeln und eine eigenständige Ideologie entwickeln können. Zu der autokephalen Jugendkultur zählen jugendliche Subkulturen und Jugendszenen. Die Merkmale der Jugendszenen sind zum einen, dass die Gruppen überwiegend aus gleichaltrige Gruppenmitglieder bestehen und zum anderen, dass sie strukturlos und egalitär sind.
Literatur
Barthelmes, J. (1999). Raver, Rapper, Punks, Skinheads und viele andere. Beobachtungen aus jugendkulturellen Szenen. In Benner, D. et. Al. (Hrsg.), Zeitschrift für Pädagogik. Erziehung und sozialer Wandel, 39, 39 – 50.
Bergius, R., Groothoff, H.H., Metzger, W., Nave-Herz, R., Neidhardt, F., Nummer-Winkler, G., Rauschenberger, H., Rolgg, H.G., Saber, W., Schaaf, J. J., Hülst, D.S., Farin, Klaus (2001). generation-kick.de. Jugendsubkulturen heute. München: C.H. Beck.
Thomae, H., Vogel, M.R. (1971). Aufwachsen und Erziehung als Gegenstände verschiedener Wissenschaften. Berlin: Rembrandt Verlag GmbH.
Fuchs-Heinritz W., Lautmann R., Rammstedt O., Wienold H. (1994). Lexikon der Soziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Ohne Autor (2006). Das Lexikon für Österreich in 20 Bänden. Mannheim: Dudenverlag
Ohne Autor (2006). Brock Haus – Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Leipzig: wissmedia GmbH.
Psychologie und Gesellschaftskritik 2/2011: Jugend/Kulturen (Gastherausgeber: Günter Mey)
Reinhold, G. Lamnek, S., Recker, H. (1992). Soziologie-Lexikon. München: R. Oldenbourg Verlag GmbH.