Unter Motorik versteht man die Gesamtheit der Willkürbewegungen und der kontrollierten Bewegungen (Kognition), sie ist aber auch ein Begriff zur Kennzeichnung elementarer Bewegungsleistungen im Vergleich zu motorischen Fertigkeiten (motor skills), die eher auf komplexere Bewegungsmuster Bezug nehmen (Psychomotorik). Die Motorik umfasst somit die gesamten Körperbewegungen des Menschen, also das Geh-, Steh- und Sitzverhalten.
Ein Mensch braucht motorischen Fähigkeiten, um die Grundbewegungsformen wie Gehen, Laufen, Springen, Kriechen, Rollen, Schieben, Ziehen, Hängen, Balancieren, Steigen oder Tragen auszuführen. Je nach Bewegung, braucht es unterschiedliche Muskelgruppen um diese auszuführen. Bei der Grobmotorik werden große Muskelgruppen oder der gesamte Körper bewegt. Bewegungen wie Laufen, Springen oder Fangen und Werfen eines Balles zählen zu der Grobmotorik. Bei der Feinmotorik werden kleinere Muskelgruppen beansprucht, die für Bewegungen wie Schreiben, Schneiden von Papier mit einer Schere oder für das Zuknöpfen eines Hemdes gebraucht wird. Die Feinmotorik erfordert in der Regel mehr Genauigkeit und Kontrolle über Muskelgruppen als die Grobmotorik.
Bewegungen der Grobmotorik erlernen Menschen bereits im Baby- bzw. Neugeborenenalter, denn durch das Drehen des Kopfes, das aufrechte Sitzen oder durch Krabbeln wird die Grobmotorik geübt, während die Feinmotorik sich etwas später als die Grobmotorik entwickelt, etwa mit dem Führen von Gegenständen zum Mund. Das Erlernen von motorischen Fähigkeiten ist eine individuelle Entwicklung und von Kind zu Kind verschieden, denn ist ein Kind langsamer in der motorischen Entwicklung als Gleichaltrige, kann es dennoch in der sprachlichen Entwicklung bereits weiter fortgeschritten sein und umgekehrt.
Wie bei vielen anderen Entwicklungsschritten ist es schwer vorherzusagen, ab wann ein Baby gehen lernt, denn es gibt Frühstarter, die schon mit neun Monaten auf ihren Beinen stehen, während sich andere Babys Zeit lassen, bis sie eineinhalb Jahre alt sind. Meist versuchen Babys aus dem Krabbeln heraus mehr und mehr, sich an niedrigen Möbelstücken hochzuziehen und dann wird das Kind beginnen, sich an den Kanten der Möbel entlang zu bewegen. Erst wenn es sich sicher genug fühlt, lässt es die Stehhilfe los und versucht, frei im Raum zu stehen, wobei die meisten dabei selbstbewusst und furchtlos sind. Gehen ist eine komplexe Aufgabe, denn um sich aufrecht zu halten und auf zwei Beinen vorwärts zu bewegen, müssen zahlreiche physische Voraussetzungen dafür vorhanden sein, denn so müssen Knochen und Muskeln kräftig genug sein, um den Körper aufrecht zu halten und das Gewicht des Kindes zu unterstützen. Auch das Nervensystem muss weit genug entwickelt sein, um die richtigen Signale von Händen und Füßen über die Arme und Beine in das Gehirn zu senden, sodass Gehen ein Zusammenspiel von Kraft und Gleichgewichtssinn darstellt. Da Kinder von sich aus gehen lernen wollen, schließlich bewegen sich ja alle Menschen in ihrer Umgebung auf ihren zwei Beinen, sollte man Kinder eher nicht dazu animieren, denn ein Kind weiß selbst am besten, wann es dazu bereit ist, die ersten Schritte zu tun. Sinnvolle Unterstützung kann man seinem Kind dadurch geben, dass man es sehr viel krabbeln lässt, anstatt es zu viel sitzen zu lassen, denn dadurch wird es automatisch seine motorischen Fähigkeiten verbessern. Übrigens hilft auch das häufige Tragen dabei, denn ein Kind auf dem Arm übt damit den Gleichgewichtssinn, da es die Bewegungen des Tragenden ausbalancieren muss, sodass es ihm später leichter fällt, beim Gehen selber das Gleichgewicht zu halten (Stangl, 2020).
Zur Veranschaulichung der Komplexität des Zusammenspiels zwischen Gehirn und Bewegung eine kleine Übung: Die Hände werden ausgestreckt vor den Körper gehalten und die rechte Hand formt dabei mit zwei Fingern das Symbol einer Pistole und die linke Hand das Symbol von Hasenohren. Diese Fingerposition wird nun zwischen den beifen Händen gewechselt, wobei man versucht, diesen Wechsel nach einem langsamen Beginn immmer schneller durchzuführen. Dabei wird deutlich, dass es immer schwieriger wird, die beiden Symbole mit den Fingern wirklich korrekt zu zeigen.
Das Erlernen neuer Fähigkeiten ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Das zentrale Nervensystem kontrolliert die Muskeln und die Gelenke, die die Bewegung ausführen, und zwar in Form von Steuerung und Regelung. Bei der Steuerung werden Befehle an Muskeln und Gelenke gesendet, die weitgehend unabhängig von der Umwelt sind, also bei schnellen Bewegungen, dass das zentrale Nervensystem keine Möglichkeit hat, über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. Hingegen werden bei der Regelung die Bewegungen bewusst und mit mehr Kontrolle ausgeführt, wobei unter Regelung alle Bewegungen fallen, die einen höheren Grad an Genauigkeit und Aufmerksamkeit erfordern. Neben der Entwicklung des Zentralnervensystems ist die grundsätzliche Fähigkeit des Körpers erforderlich, sich überhaupt zu bewegen. Als dritter Einflussfaktor spielt die Motivation eines Kindes und warum es sich bewegt eine Rolle, denn wenn ein Kind ein Objekt auf einem Tisch liegen sieht, wird es versuchen aufzustehen, um diesen Gegenstand zu erreichen. Ein weiterer Faktor ist die Unterstützung der Umwelt für die jeweilige Fertigkeit, denn ohne aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, in der ein Kind gefördert und gefordert wird, gibt es keine Variabilität an Bewegungen, um diese zu erproben und zu erlernen. Daher haben auch Merkmale der Umwelt Einfluss auf die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten, denn jene Kinder lernen früher Stiegsteigen, die in einem Haushalt mit einer Stiege aufwachsen. Die Entwicklung von motorischen Fähigkeiten dauert etwa bis zum 18. Lebensjahr, wobei die Koordinationsfähigkeiten besonders im Kindesalter und die konditionellen Fähigkeiten vor allem im Jugend- und Erwachsenenalter erworben werden.
In Untersuchungen hat sich übrigens gezeigt, dass die trainierten Reaktionen von verschiedenen, komplexen Arm- und Beinbewegungen wie beim Radfahren, Tennisspielen oder Eislaufen vom Gehirn als Gesamtpaket abgerufen werden und nicht als einzelne Teilhandlungen verarbeitet werden. Bei einem Versuch lernten Probanden und Probandinnen eine Liste von Farbwörtern und mussten mit Finger- und sprachlichen Gedächtnisaufgaben darauf reagieren. Während für eine Gruppe der Farbwörter beide Aufgaben gleichzeitig eingesetzt wurden, wurden für die andere Gruppe beide Aufgaben nur getrennt voneinander geübt. In dem anschließenden Test, in dem beide Gedächtnisaufgaben gleichzeitig geprüft wurden, konnten Probanden und Probandinnen die beiden Aufgaben für simultan geübte Farbwörter schnell und effizient ausführen, während sie getrennt geübte Farbwörter eher langsam und ineffizient ausgeführten. Die Forscher ziehen daraus den Schluss, dass ein Lernen in kleinen Schritten eher nicht effizient ist, denn das Gehirn sucht eine effiziente Vorgehensweise und arbeitet lieber mehrere Aktivitäten in einem Schritt ab. Das bedeutet für SportlerInnen, dass sie möglichst viele komplexe Situationen schon im Vorfeld trainieren sollten, damit sie vom Gehirn in späteren Situationen rasch effizient abgerufen werden können. Komplexe Bewegungsabläufe sollten daher möglichst früh als Gesamtpaket geübt werden, wobei einzelne Teilprozesse nicht zu spät zusammengefügt werden dürfen.
Für die Fortbewegung mit hoher Geschwindigkeit ist eine klar abgegrenzte Untergruppe von Neuronen im Hirnstamm erforderlich, wobei diese Hochgeschwindigkeitsneuronen mit anderen Neuronen vermischt sind, die ein sofortiges Anhalten beim Laufen hervorrufen können. Capelli et al. (2017) konnten am Mausmodell nun zeigen, dass ein bestimmter Nervenzelltyp im Hirnstamm für die schnelle Fortbewegung von wesentlicher Bedeutung ist, wobei die verschiedenen Hirnstammneuronen anhand der von ihnen freigesetzten Neurotransmitter unterschieden werden können. In den untersuchten Hirnstammregionen vermischten sich dabei positiv wirkende, anregende Neuronen, mit negativ wirkenden, hemmenden Neuronen ziemlich ungeordnet, d. h., es konnte ihnen bisher keine klare Funktion zugeordnet werden, wenn alle diese Neuronen ohne sorgfältige Entflechtung zusammen untersucht wurden. Als man jedoch nun Neuronen aktivierte, die den anregenden Neurotransmitter Glutamat im Nucleus paragigantocellularis lateralis freisetzen, konnte man unittelbar Laufbewegungen auslösen, wobei es umgekehrt zu einer Verlangsamung der Bewegung kam, wenn man die dazwischen eingestreuten hemmenden Neuronen aktivierte. Es zeigte sich also in den Experimenten deutlich, dass man durch die Stimulation von Neuronenpopulationen im Hirnstamm ein komplettes motorisches Programm abrufen kann, das Vorder- und Hinterbeine der Tiere in einer Weise bewegt, die von der natürlichen Fortbewegung nicht zu unterscheiden ist. Weiters zeigte sich, dass die identifizierten anregenden Neuronen, deren Stimulation Laufbewegungen hervorruft, auch für die natürliche Fortbewegung bei hohen Geschwindigkeiten erforderlich sind, d. h., hohe Geschwindigkeiten konnten ohne diese Neuronen nicht erzielt werden.
Eine wichtige Bedeutung hat etwa die richtige Körperhaltung: Kopf hoch, Brust heraus, Blick über die Horizontlinie. Wer so aufrecht geht, atmet freier und fühlt sich auch so, denn dieser Gang strahlt Selbstvertrauen und Zuversicht aus. Mit einem selbstbewusstem Schritt und offenem Blick sorgt etwa ein Redner für die nötige Aufmerksamkeit, während ein schlechter Redner den Zuhörern wenig Chancen gibt, sich auf den Inhalt zu konzentrieren, wenn er während des Vortrags herumzappelt, nervös in den Unterlagen nestelt oder von einem auf das andere Bein tritt, so dass der Oberkörper im Takt von rechts nach links wippt.
Siehe dazu im Detail: Nonverbale Kommunikation.
Motorische Entwicklung bei Huftieren beschleunigt
Bekanntlich müssen Huftiere sofort nach ihrer Geburt mit ihren Herden ziehen und kommen daher mit nahezu komplett ausgereifter Wahrnehmung und Motorik auf die Welt. Nun untersuchten Ernst et al. (2018) die Gehirnentwicklung bei Föten des Europäischen Wildschweins vom 35 Tage alten Embryonalstadium bis 30 Tage nach der Geburt. Ausgewachsene Wildschweine haben ein hochgradig gefurchtes Gehirn, wobei das grundlegende Muster bereits im 60 Tage alten Embryo erkennbar ist, also etwa nach der Hälfte der 114-tägigen Tragezeit, und bis zur Geburt ist das Furchungsmuster weitgehend ausgereift. Bereits 30 Tage vor der Geburt lassen sich in der Hirnrinde Neuronen erkennen, die auch im erwachsenen Gehirn noch zu finden sind, wobei diese Neuronen auch den Botenstoff GABA produzieren und in ihrer Wirkung hemmend sind. Bei Nagetieren und Fleischfressern lassen sich diese Neuronentypen der adulten Hirnrinde erst etwa zwei Wochen nach der Geburt beobachten. Diese Neuronentypen sind ihrem Erscheinungsbild nach bei Huftieren, Nagern und Carnivoren sehr ähnlich, doch der zeitliche Verlauf der Reifung ist bei Huftieren in die Fetalperiode verlagert.