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Der Midas-Effekt

    Gold wird irgendwo auf der Welt aus der Erde gegraben. Dann schmelzen wir es zu Barren, bauen einen unterirdischen Tresor und graben es wieder ein. Wenn uns Außerirdische dabei beobachten, es käme ihnen reichlich obskur und seltsam vor.
    Warren Buffett

    Der Midas-Effekt, der in zahlreichen Studien beschrieben wird, besagt, dass Menschen nach einer körperlichen Berührung großzügiger werden. So bekommen etwa KellnerInnen mehr Trinkgeld, wenn sie Restaurantbesucher berühren, aber es steigt auch die Bereitschaft, an einer Umfrage teilzunehmen oder Zigaretten mit Fremden zu teilen. Dafür verantwortlich sollen C-taktile Fasern in der Haut sein, die angenehme Berührungen wahrnehmen und diese in den emotionalen Zentren des Gehirns melden.

    Rosenberger et al. (2018) haben aber in drei Laborstudien gezeigt, dass großzügigeres Verhalten kaum mit der Aktivierung dieser Fasern zu tun haben kann. In drei aufeinander aufbauenden Studien variierten die WissenschafterInnen jene Person, der gegenüber man sich großzügig verhalten konnte: Einmal war dies eine anonyme, über das Internet verbundene Person, einmal eine Person im selben Raum, die man aber nicht sehen konnte, und einmal diejenige Person, die die Probanden und Probandinnen berührte. Nachdem die Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer dreiminütige Streicheleinheiten bekommen hatten, die entweder die Kuschelnerven besonders stark oder weniger stark aktivierten, erhoben die ForscherInnen, ob sie sich der anderen Person gegenüber großzügiger verhielten. Die Kuschelnerven aktivierenden Berührungen hatten dabei in keiner der drei Studien eine Auswirkung auf das Verhalten der Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer, denn ob die C-taktilen Fasern stark aktiviert wurden oder weniger, die Probanden und Probandinnen verhielten sich nicht großzügiger. Die neue Hypothese lautet: Wenn man jemanden berührt, kommt man diesem Menschen sehr nahe, was eine gewisse Intimität schafft, sodass man das Verhalten dieser Person bewusst oder unbewusst als Ausdruck von Sympathie interpretiert, die Menschen in der Folge großzügiger stimmt.


    Grundsätzliches zu Berührung: Bereits ab der siebten Lebenswoche kann ein Embryo Berührungsreize wahrnehmen, wobei diese auch nach der Geburt essentiell für die erste Kommunikation sind. Die menschliche Haut kann mit Millionen Sinneszellen sofort erkennen, ob es sich um eine positive oder negative Berührung handelt, wobei das Gehirn positive Berührungsreize in Entspannung verwandelt. Dafür verantwortlich sind die C-taktilen-Fasern, auch Streichelfasern, die auf sanfte Berührungen am Rücken bei 34 Grad Celsius, der Temperatur der Fingerspitzen, reagieren. Dabei wird nach Streichelgeschwindigkeit und Temperatur bewertet, wobei eine Berührung mit etwa 1 bis 10 cm pro Sekunde als angenehmes Streicheln empfunden wird. Bei Babys stabilisieren Berührungen die Atmung und regulieren den Blutzuckerspiegel, Umarmungen stärken das Immunsystem und häufig umarmte Menschen sind weniger anfällig für Erkrankungen. Positive Berührungen bauen Aggressionen und Stress ab und lindern Schmerzen, auch seelische.


    Nicht-sexuelle körperliche Zuneigung wie Umarmungen, Berührungen, Händchenhalten oder Kuscheln spielen eine wichtige Rolle für das Funktionieren einer Beziehung, aber nicht alle Menschen sind mit den Berührungen, die sie von ihrem Partner erhalten, zufrieden. Unterschiede in den Bindungstendenzen Erwachsener sind dabei eine Möglichkeit, die individuellen Unterschiede in der Berührungszufriedenheit zu verstehen. Es gibt auch Belege dafür, dass Beziehungsstreits deeskalieren und produktiver werden, wenn man einfach die Hand des Partners nimmt, d. h., einfache Berührungen können sogar Konflikte entschärfen. Wagner et al. (2020) haben in einer Querschnittsuntersuchung an einer Stichprobe von Ehepaaren untersucht, wie Bindung mit der Berührungszufriedenheit in der Ehe zusammenhängt. Der Bindungsstil existiert dabei dabei bekanntlich in einer großen Bandbreite, wobei vermeidende Menschen mehr zwischenmenschliche Distanz bevorzugen, während ängstliche Menschen mehr Nähe suchen. Dieser Bindungsstil entwickelt sich in der Kindheit, kann sich aber im Laufe der Zeit ändern und mit dem betreffenden Individuum variieren. Es hängt dabei viel davon ab, wie offen, eng und sicher man sich mit diesem Menschen fühlt, was von vielen Faktoren beeinflusst wird.  Je mehr routinemäßige Zuneigung die Paare erfuhren, desto zufriedener fühlten sie sich mit den Berührungen ihrer Partner, selbst wenn sie einen vermeidenden Bindungsstil hatten. Bei geringer körperlicher Zuneigung waren ängstliche Ehemänner aber weniger zufrieden mit den Berührungen, nicht aber ängstliche Partnerinnen, die sich oft dafür entscheiden, die fehlende Zuneigung zu erbitten.

    Körperliche Berührungen durch andere Menschen im Sport sind oft ein Ausdruck von Freude oder häufig auch sozialer Unterstützung, aber Berührungen lindern manchmal auch Stress, der sonst die Leistung bei sportlichen Aufgaben beeinträchtigen könnte. Man denke nur an die Szenen im Fußball oder anderen Mannschaftssportarten, wenn ein Tor oder ein Wurf gelungen ist. Häufigere Berührungen wurden auch tendenziell mit dem Saisonerfolg der Mannschaften in Verbindung gebracht. Aus der Forschung ist seit langem bekannt, dass Berührungen Stress reduzieren können, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Berührungen von beiden Seiten erwünscht sind. Büttner et al. (2024) haben nun untersucht, ob körperliche Berührungen die Leistung in stark stressigen Situationen verbessern, und zwar bei Freiwürfen im Basketball. In zwei Studien untersuchten sie, wie oft Mitspieler den Werfer zwischen zwei Freiwürfen berührten, zum Beispiel durch Tippen auf die Schulter. Es zeigte sich, dass die Anzahl der Berührungen (von 0, 1, 2, 3 oder allen 4 Mitspielern) nach dem ersten Freiwurf den Erfolg beim zweiten Freiwurf vorhersagte, allerdings nur, wenn die Spieler den ersten Freiwurf verfehlten. Das bedeutet, dass die Unterstützung durch Mitspieler, die sich in körperlichem Kontakt ausdrückt, besonders hilfreich ist, wenn das Stressniveau bereits hoch ist. Die Ergebnisse sind stabil, wenn das Leistungsniveau der Spieler, Heim- und Auswärtsspiele, die Punktedifferenz und die verbleibende Spielzeit berücksichtigt werden. Körperkontakt verbessert also tatsächlich die Leistung unter Stress und überlagert eine Reihe anderer Faktoren, wahrscheinlich auch in anderen Mannschaftssportarten und zwischenmenschlichen Beziehungen.


    Kurioses: Das Gegenteil des Midas-Effekt wird im Scherz Kotmidas-Effekt genannt, wobei bei diesem Effekt ein Mensch durch Berührung oder Interaktion bewirkt, dass sich dessen Zustand oder Ruf verschlechtert bzw. sein Wert gemindert wird.


    Anmerkung: Benannt wurde dieses Phänomen nach König Midas, von dem in der griechischen Mythologie behauptet wird, dass alles, was er berührte, sich in Gold verwandelte.

    Literatur

    Büttner, Christiane M., Kenntemich, Christoph & Williams, Kipling D. (2024). The power of human touch: Physical contact improves performance in basketball free throws. Psychology of Sport and Exercise, 72, doi.org/j.psychsport.2024.102610.
    Rosenberger, Lisa Anna, Ree, Anbjørn, Eisenegger, Christoph & Sailer, Uta (2018). Slow touch targeting CT-fibres does not increase prosocial behaviour in economic laboratory tasks. Scientific Reports, 8, doi:10.1038/s41598-018-25601-7.
    Wagner, Samantha, Mattson, Richard, Davila, Joanne, Johnson, Matthew & Cameron, Nicole (2020). Touch me just enough: The intersection of adult attachment, intimate touch, and marital satisfaction.Journal of Social and Personal Relationships, doi:10.1177/0265407520910791.


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