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Affiliationsbedürfnis

    Auf Grund der überlebensnotwendigen Funktion sozialer Beziehungen entwickelte sich ein angeborenes Bedürfnis nach Zugehörigkeit, wobei dieses fundamentale Motiv, von anderen Menschen akzeptiert und anerkannt zu werden, auch Einfluss auf Kognition, Emotion und Verhalten hat. Die Selbstbestimmungstheorie postuliert, dass Menschen ein so elementares Bedürfnis haben, von anderen gesehen, anerkannt, respektiert zu werden und Teil eines größeren Ganzen sein zu können, dass sie, wenn ihnen das auf normalem Wege verwehrt wird, also die herkömmlichen Ligaturen weggebrochen oder entwertet wurden, sie andere suchen und Ersatz-Ligaturen wie Nation, ethnische Identität oder Religion dafür wählen.

    Soziale Beziehungen bieten neben positiver Stimulation, Aufmerksamkeit, emotionaler Unterstützung und sozialem Vergleich auch die Grundlage für die Entwicklung einer individuellen Identität. Aus Kapazitätsgründen lassen sich für einen Menschen nur eine begrenzte Anzahl von Beziehungen pflegen, sodass das Erleben von Ausschluss gleichermaßen Bestandteil des Soziallebens wie das Erleben von Anschluss darstellt. Daher enthält das Anschlussmotiv nicht nur die Hoffnung auf Anschluss, sondern auch die Furcht vor Zurückweisung, woraus sozialer Schmerz entstehen kann. Wenn Menschen wiederholt die Erfahrung machen, dass ihre Bemühungen, zu anderen Personen positive Beziehungen aufzubauen, scheitern und sie häufig zurückgewiesen werden, dann können solche Erfahrungen eine chronische Furcht in sozialen Situationen hervorrufen. Anschlussmotivation besteht daher zum einen in der Hoffnung auf Anschluss, also der Erwartung eines befriedigenden, positiven Kontakts zu anderen Menschen, und zum anderen in Furcht vor Zurückweisung, der Befürchtung, von anderen Menschen nicht gemocht oder zurückgewiesen zu werden. Motive wie das Anschlussbedürfnis haben also zum einen die Aufgabe, potenzielle Zielzustände zu bewerten und die Aufmerksamkeit in Bezug auf diese Ziele auszurichten. Meist geschieht dies ohne bewusste Steuerung, wobei Motive aber die potenziellen Anreize einer Situation in der Wahrnehmung hervorheben (selektive Wahrnehmung) und so dafür sorgen, dass die tägliche Lebensumwelt nicht wie ein bedürfnisneutraler Raum erscheint, sondern als ein Spielfeld von Gelegenheiten zur Verwirklichung von Bedürfnissen oder auch ein Minenfeld potenzieller Gefahren.

    Menschen unterscheiden sich bekanntlich auch in der Stärke ihrer Motive, sodass nicht alle Menschen gleich stark anschlussmotiviert sind, denn es gibt einige, denen nichts wichtiger erscheint als sich um positive Beziehungen zu anderen Menschen zu kümmern, während andere froh sind, im Alltag nichts mit Menschen zu tun zu haben. Auch gibt es Unterschiede hinsichtlich der relativen Stärke der oben genannten Komponenten des Anschlussmotivs, denn manche Personen sind beim Kontakt mit anderen eher hoffnungsmotiviert, während andere eher furchtmotiviert im Umgang mit anderen Menschen sind.

    Nach Deci & Ryan (1993) hat der Mensch die natürliche Tendenz hat, sich die Regulationsmechanismen der sozialen Welt (unbewusst) zu eigen zu machen, um sich mit anderen Personen verbunden zu fühlen und Mitglied der sozialen Welt zu werden. Im Bemühen, sich mit anderen Personen verbunden zu fühlen und gleichzeitig die eigenen Handlungen autonom zu bestimmen, übernimmt und integriert die Person also Ziele und Verhaltensnormen in das eigene Selbstkonzept. Voraussetzungen dafür sind Angebote und Anforderungen in einem akzeptierten Milieu, das die entsprechenden Verhaltenstendenzen verstärkt. Der Mensch strebt also danach, etwas zu bewirken und sich dabei als wirksam und in der Folge als kompetent zu erleben. Er hat zudem den Drang, mit anderen verbunden zu sein und von diesen akzeptiert und anerkannt zu werden. Und schließlich will er sich mit und in seinem Tun als kohärent erleben und das Gefühl haben, das eigene Handeln selbst bestimmen zu können. Jedes dieser drei grundlegenden Bedürfnisse muss zumindest auf einem minimalen Niveau erfüllt werden, damit sich eine Person mit ihren Stärken entwickeln, sich wohl fühlen und so etwas wie ein Selbst aufbauen kann.

    Ausgrenzung durch andere Menschen bedroht das menschliche Bedürfnis nach sozialer Interaktion und sozialem Anschluss, und zwar mit negativen Folgen für Kognitionen, Gefühle und Verhaltensweisen. In einer Studie haben Morese et al. (2019) Verhaltens- und fMRI-Messungen benutzt, um zu untersuchen, welche Form der sozialen Unterstützung die negativen Auswirkungen sozialer Ausgrenzung abfedern kann. Dabei verglich man zwei Arten der Unterstützung durch einen Freund: emotionale Unterstützung, vermittelt durch sanfte Berührung, und Beurteilungsunterstützung, umgesetzt als informative Textnachricht. Bei weiblichen Probanden und Probandinnen wurden während eines virtuellen Ballwurfspiels unter den beiden genannten Bedingungen, bei der sie von der Teilnahme ausgeschlossen wurden, fMRT-Messungen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Erfahrung der sozialen Ausgrenzung durch die Art der erhaltenen Unterstützung moduliert wird, wobei körperliche und emotionale Berührungen durch eine nahestehende Person einen wirkungsvollen Weg im Umgang mit negativen Emotionen sein kann, wobei diese jedenfalls viel eher funktioniert als die rationale Erklärung einer Situation, in der sich jemand befindet.

    Gan et al. (2021) haben untersucht, wie das psychische Wohlbefinden mit sozialem Kontakt im alltäglichen Leben zusammenhängt und welche Gehirnareale dabei eine Rolle spielen. In ihrer Studie kombinierte man mehrere Methoden aus den Bereichen Epidemiologie, Psychologie und Bildgebung des Gehirns, wobei über einen Zeitraum von sieben Tagen das psychische Wohlbefinden und der soziale Kontakt – alleine oder in Gesellschaft – mit Hilfe wiederholter kurzer Abfragen per Smartphone im Alltag der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erfasst wurde. Mit diesen Verfahren des ambulanten Assessments konnte zunächst in einer Gruppe von einhundert Menschen gezeigt werden, dass erhöhtes psychisches Wohlbefinden unmittelbar einherging mit sozialem Kontakt, d. h., dass sie sich wohler fühlten, wenn sie in Gesellschaft waren, als wenn sie alleine waren. Zusätzlich zu den Alltagserhebungsverfahren wurde bei einer weiteren Gruppe von Probanden und Probandinnen das Gehirnvolumen mit Hilfe von Magnetresonanztomografie erfasst, wobei der Zusammenhang zwischen sozialem Kontakt im Alltag und psychischem Wohlbefinden bestätigt werden konnte. Zusätzlich konnte in dieser Gruppe gezeigt werden, dass die Menschen, die stärker von sozialem Kontakt profitieren, eine höhere soziale Kompetenz – erfasst über Online-Fragebögen – und ein höheres Volumen der grauen Substanz im anterioren cingulären Cortex aufweisen. Dieser Bereich der Großhirnrinde ist wichtig für die Verarbeitung und Einordnung von Gefühlen in sozialen Situationen und spielt auch bei Resilienz und dem Risiko für psychische Erkrankungen eine Rolle. Man weiß auch aus Studien, dass auch Menschen mit psychischen Erkrankungen, die häufig weniger soziale Kontakte haben, stark von sozialen Kontakten profitieren, sodass es wichtig ist, den Austausch mit Menschen dieser Gruppe besonders zu fördern.

    Tomova et al (2020) haben mittels funktioneller Magnetresonanztomographie die neuronalen Reaktionen gemessen, die durch Nahrung und soziale Reize hervorgerufen werden, nachdem die Probanden zehn Stunden Zwangsfasten oder totale soziale Isolation erlebt hatten. Nach der Isolation fühlten sich die Teilnehmer einsam und sehnten sich nach sozialer Interaktion, wobei die Regionen des Mittelhirns eine selektive Aktivierung auf Nahrungsmittelreize nach dem Fasten und auf soziale Reize nach der Isolation zeigten. Diese Reaktionen korrelierten auch mit dem selbstberichteten Verlangen, allerdings differenzierten striatale und kortikale Regionen zwischen dem Verlangen nach Nahrung und dem Verlangen nach sozialer Interaktion. Über die Deprivationssitzungen hinweg fand man auch, dass Deprivation die motivationalen Reaktionen des Gehirns auf das entzogene Ziel verengt und fokussiert, sodass eine vorübergehende Isolation ähnliche Bedürfnisse nach sozialer Interaktion auslöst wie Fasten vermehrt Hungergefühle mit sich bringt. Die Substantia nigra wird also bei Hunger und bei dem Verlangen nach sozialer Interaktion in ähnlicher Weise aktiviert, womit bestätigt wird, dass positive soziale Interaktion ein menschliches Grundbedürfnis darstellt.


    1. Definition
    Affiliation ist die Tendenz, unabhängig von den Gefühlen gegenüber anderen Personen die Gesellschaft anderer zu suchen (Stroebe, Jonas, Hewstone, 2003, S. 656).

    2. Definition
    Affiliation ist das intrinsische Bedürfnis des Menschen nach Nähe zu anderen Menschen in geteiltem Nahraum, zu Menschengruppen mit Vertrautheitsqualität, denn die wechselseitige Zugehörigkeit ist für das Überleben der Affilierten, aber auch der Affiliationsgemeinschaft insgesamt, grundlegend: für die Sicherung des Lebensunterhalts, für den Schutz gegenüber Feinden und bei Gefahren, für die Entwicklung von Wissensständen und Praxen, die Selektionsvorteile bieten konnten (Petzold, 2007, S.375).

    3. Definition
    Nach der Definition von Bram P. Bruunk (in Stroebe et al. 2002) ist Affiliation als „Tendenz, unabhängig von den Gefühlen gegenüber anderen Personen, die Gesellschaft Anderer zu suchen“ beschrieben (vgl. Buunk, 1997, S.363f).

    4. Definition
    (zu mlat. Affiliare „adoptieren“)
    1.) Bankwesen: Tochterbank, das heißt eine Bank, an der eine andere maßgeblich beteiligt ist.
    2.) Orden: Affiliiert (angegliedert) sind Ehrenzeichen, die das Klassensystem eines Ordens angeschlossen sind.
    3.) Psychologie: Bedürfnis nach sozialem Anschluss mit unterschiedlichem zum Teil unklarer Motivation (Zusammenarbeit, Geschlechtsbeziehung, aktualisiertes Gemeinschaftsgefühl).
    4.) Sprachwissenschaft: Verwandtschaftsverhältnis von Sprachen, die sich aus einer gemeinsamen Grundsprache entwickelt haben.
    (Brockhaus, 1986, S.168f)

    5. Definition
    Affiliation, Beigesellung, Beziehungsaufnahme, Aufnahme sozialer Kontakte zu anderen Menschen ohne direkten Zweck aufgrund eines jedem Menschen innewohnenden Gesellungsdrangs (need affiliation, Anschlußmotiv) und dem Wunsch, von anderen Personen akzeptiert zu werden (http://www.psychology48.com).

    7. Definition
    Anschlußmotiv, auch: Affiliationsbedürfnis, need affiliation, Bedürfnis nach Vertrautwerden und Geselligsein mit anderen und den damit verbundenen Gefühlen von Zugehörigkeit und Geborgenheit (LEXIKON DER PSYCHOLOGIE).

    Während sich ein stabiles soziales Netzwerk positiv auf die Psyche auswirkt, ist ein Mangel an sozialem Kontakt sowohl mit Depression als auch mit erhöhter Morbidität und frühzeitigen Mortalität verbunden.

    Literatur

    Brockhaus, Enzyklopädie, (1986). 19. Auflage, Band I. Mannheim: Verlag Mannheimer Morgen
    Buunk, B. P. (1997). Affiliation, zwischenmenschliche Anziehung und enge Beziehungen. In: Stroebe et al. (eds.): 363 – 393.
    Deci, E. & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39, 223-238.
    Gan, G., Ma, R., Reichert, M., Giurgiu, M., Ebner-Priemer, U. W., Meyer-Lindenberg, A., & Tost, H. (2021). Neural Correlates of Affective Benefit From Real-life Social Contact and Implications for Psychiatric Resilience. JAMA psychiatry, doi:10.1001/jamapsychiatry.2021.0560.
    Petzold, H. (2007). Integrative Supervision, Meta-Consulting, Organisationsentwicklung. Ein Handbuch für Modelle und Methoden reflexiver Praxis. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
    Morese, R., Lamm, C., Bosco, M. F., Valentini, M. C. & Silani, G. (2019). Social support modulates the neural correlates underlying social exclusion. Social Cognitive and Affective Neuroscience, doi:10.1093/scan/nsz033.
    Schmalt, H.-D. (1975). Selbständigkeitserziehung und verschiedene Aspekte des Leistungsmotivs. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 7, 24-37.
    Schmalt, H.-D. (1976). Die Messung des Leistungsmotivs. Göttingen: Hogrefe.
    Schmalt, H.-D. (1979). Machtmotivation. Psychologische Rundschau, 30, 269-285.
    Stroebe, Jonas, Hewstone, (2003). Sozialpsychologie eine Einführung. Berlin Heidelberg New York: Verlag Springer.
    Tomova, Livia, Wang, Kimberly L., Thompson, Todd, Matthews, Gillian A., Takahashi, Atsushi, Tye, Kay M. & Saxe, Rebecca (2020). Acute social isolation evokes midbrain craving responses similar to hunger. Nature Neuroscience, 23, 1597-1605.
    http://www.psychology48.com/deu/d/affiliation/affiliation.htm (download: 31.10.2010)


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    2 Gedanken zu „Affiliationsbedürfnis“

    1. Psychologe

      @ Georg: Als Laie schließt man häufig z. B. aufgrund eigener Erfahrungen oder prominenter Beispiele auf eine allgemeine Regel – allerdings geht Wissenschaft immer von der objektiven Betrachtung einer großen oder repräsentativen Stichprobe aus, in der sich durchaus solche extremen Beispiele finden lassen, die der Regel auch widersprechen können, die aber nichts an einem durchschnittlichen Trend ändern.

    2. Zusammenhang zwischen sozialem Kontakt im Alltag und psychischem Wohlbefinden bestätigt werden konnte. Zusätzlich konnte in dieser Gruppe gezeigt werden, dass die Menschen, die stärker von sozialem Kontakt profitieren, eine höhere soziale Kompetenz – erfasst über Online-Fragebögen – und ein höheres Volumen der grauen Substanz im anterioren cingulären Cortex.

      Dass die Menschen, die stärker von sozialem Kontakt profitieren, eine höhere soziale Kompetenz – profitieren.
      Das halte ich für ein Gerücht ich kenne sehr viele Menschen die andere Demütigen und beliebt bei anderen sind
      Wobei andere Menschen mißbrauchen nicht von Sozialer Kompetenz zeugt .Progressiver und Regressiver Narzissmus. Bestes Beispiel D Bohlen.

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