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Underachievement

    Mit Underachievement wird in der Psychologie das Phänomen bezeichnet, dass die schulischen Leistungen eines Kindes deutlich unter seinem intellektuellen Potenzial, gemessen mit einem Intelligenztest, liegen, weshalb man vermutet, dass das Kind also weniger leistet als es leisten könnte. Siehe dazu Overachievement.

    1. Definition
    Im zweisprachigen Wörterbuch der Psychologie wird Underachievement ganz allgemein als Minderleistung bzw. Leistungsdefizit definiert. Darüber hinaus wird die Begriffskombination „academic underachievement“ angeführt, die sich speziell auf den schulischen Leistungsbereich erstreckt, wo die tatsächlich erbrachte Schulleistung hinter der erwarteten zurückbleibt. Dementsprechend ist auch von einem „Schulleistungsdefizit“ die Rede (vgl. Haas, 1980, S. 303).

    2. Definition
    Der Begriff Underachievement ist ein Mittel zur Beschreibung schulischen Erfolgs. Trotz gleicher Intelligenzniveaus von SchülerInnen kommt es zu unterschiedlichen Leistungen. Bei Underachievement handelt es sich um eine negative Abweichung von jenem Leistungsgrad, wie er eigentlich auf Grundlage der Intelligenz oder der intellektuellen Fähigkeiten eines Schülers vorherbestimmt gewesen wäre. Als Ursache werden Bemühen und Motivation von SchülerInnen genannt. Lehrkräfte können SchülerInnen über motivationale Maßnahmen an ein höheres Leistungslevel heranführen (vgl. Bach, 1996, S. 341f).

    3. Definition
    In der pädagogischen und psychologischen Literatur der USA tritt der Begriff Underachievement erst seit den 50er Jahren des 20. Jhdts. auf. Dabei werden Fähigkeiten offenbar nicht in tatsächliche Leistungen umgesetzt. Diese Fähigkeiten werden meist mit einer besonderen Intelligenz (IQ), mit Begabung oder einem nicht genutzten intellektuell-kognitiven Potential assoziiert. Als Bezugspunkt der Leistung können im schulischen Bereich etwa Schulnoten herangezogen werden (vgl. Meyer, 2003, S. 9ff).

    4. Definition
    Als Underachiever werden Lernende bezeichnet, die trotz hoher Intelligenz nur durchschnittliche Schulleistungen erbringen. Schätzungen zufolge kommt es bei 10 bis 15 % der Hochbegabten zu Minderleistungen (vgl. Hasselhorn & Gold, 2009, S. 199f).

    5. Definition
    Underachievement kann als Leistungsabweichung vergangener und gegenwärtiger Leistungen aufgefasst werden. Aktuellere Definitionen gehen jedoch in die Richtung, Underachievement als Abweichung potentieller intellektueller Fähigkeiten von tatsächlich erbrachten Leistungen zu betrachten. Zur Messung dieser Werte werden oftmals IQ und Notendurchschnitt erhoben. Bei den Ursachen von Underachievement werden interne und externe Faktoren unterschieden (vgl. Mandel & Marcus, 1988, S. 1 – 6).


    Gute Leistungen in der Schule erfordern ein ganzes Bündel an Kompetenzen, die zum Teil erlernbar bzw. förderbar sind wie Fleiß oder kognitive und soziale Fähigkeiten. Der wesentliche Faktor Intelligenz ist hingegen nur in geringem Maße zu beeinflussen. Eine neuere Studie (Lechner et al., 2019) zeigt allerdings, dass SchülerInnen die höchsten Lernerfolge dann erzielen, wenn sie sowohl intelligent als auch interessiert sind, d. h., Intelligenz und Interesse befruchten einander. Dabei erzielen jene SchülerInnen die besten Lernerfolge, die besonders intelligent sind, aber auch diejenigen, die besonders interessiert sind. Eindeutig die stärksten Zuwächse in einem Fach erzielen jedoch SchülerInnen, die sowohl eine hohe Intelligenz als auch ein hohes Interesse an dem Fach mitbringen. Von einem hohen Interesse profitieren demnach vor allem intelligentere Schüler, denn ihnen fällt es offenbar leichter, ihr Interesse auch in Lernzuwächse umzusetzen. Hohe Intelligenz kann mangelndes Interesse daher zwar nicht völlig kompensieren, doch im Gegensatz zur Intelligenz ist zumindest das Interesse an einem Fach in gewissem Umfang erlernbar und förderbar.


    Viele Kinder und Jugendliche mit einer hohen Begabung haben das Lernen bis zum Gymnasium noch nicht gelernt, da ihnen in der Grundschule alles mehr oder minder zuflog. Sie mussten sich selten anstrengen und verstanden Lernmaterial oft mühelos, doch an höheren Schulen wird dies plötzlich anders. Solche begabte Underachiever erbringen schlechtere schulische Leistungen als aufgrund ihrer hohen Intelligenz zu erwarten wäre. Nicht so begabte MitschülerInnen, die sich in früheren Schuljahren etwa bestimmte Lesestrategien angeeignet haben, gehen später dann planvoller an Texte heran, überwachen etwa dabei ihren Leseprozess stärker und ergreifen, wenn nötig, Maßnahmen, um ihr Textverständnis zu verbessern, etwa indem sie schwierige Stellen noch einmal lesen oder nach weiteren Informationen sucht. Hochbegabte Underachiever tun dies vergleichsweise seltener und haben auch größere Schwierigkeiten einzuschätzen, ob sie einen Text denn nun wirklich verstanden hatten. Mögliche Ursachen für Underachievement sind geringe motivationale Dispositionen und metakognitive Kompetenzen. In einer Studie von Tibken et al. (2021) wurde das Zusammenspiel dieser Variablen im Längsschnitt mit begabten und nicht begabten Schülern aus Deutschland (N = 341, 137 weiblich) in den Klassenstufen 6 (M = 12,02 Jahre bei t1) und 8 (M = 14,07 Jahre) untersucht. Es wurden dabei deklarative und prozedurale metakognitive Kompetenzen im Bereich des Leseverstehens erhoben. Pfadanalysen zeigten, dass die prozedurale Metakognition über die Intelligenz hinaus einen ansteigenden Effekt auf die Entwicklung der schulischen Leistungen von begabten Schülern hat. Darüber hinaus sagten die deklarative Metakognition und das Bedürfnis nach Anerkennung interaktiv die prozedurale Metakognition voraus, was ihre Wirkung auf die Schulleistung vermittelte. Hochbegabte Underachiever müssen daher erst versuchen, das Lernen zu lernen.

    Literatur

    Gage, N., Berliner, D. & Bach, G. (1996). Pädagogische Psychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
    Haas, R. (1980). Wörterbuch der Psychologie und Psychiatrie. Englisch – Deutsch. Toronto: C.J. Hogrefer Inc.
    Hasselhorn, M. & Gold, A. (2009). Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.
    Lechner, Clemens M., Miyamoto, Ai & Knopf, Thomas (2019). Should students be smart, curious, or both? Fluid intelligence, openness, and interest co-shape the acquisition of reading and math competence. Intelligence, 76, doi:10.1016/j.intell.2019.101378.
    Mandel, H. & Marcus, S. (1988). The Psychology of Unterachievement. Differential Diagnosis & Differential Treatment. Hoboken: John Wiley & Sons Inc.
    WWW: http://books.google.at/books?id=_QHFHUzHJ-MC
    Meyer, D. (2003). Hochbegabung, Schulleistung, emotionale Intelligenz: eine Studie zu pädagogischen Haltungen gegenüber hoch begabten „underarchievern“. Münster: LIT Verlag.
    WWW: http://books.google.at/books?id=O03eVg1uGygC
    Tibken, C., Richter, T., von der Linden, N., Schmiedeler, S., & Schneider, W. (2021). The role of metacognitive competences in the development of school achievement among gifted adolescents. Child Development, 00, 1–17. https://doi.org/10.1111/cdev.13640.


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