In der Psychologie der Trauer unterscheidet Kast (1990) verschiedene Phasen, die ein Trauernder durchlebt: zuerst kommt die „Schockphase“, d.h., der Betroffene will den Verlust nicht wahrhaben, dann folgt die Phase der „aufbrechenden Emotionen“, in der Wut, Schmerz und Traurigkeit an die Oberfläche kommen. Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch die allmähliche Akzeptanz des Schicksalschlags, die irgendwann in die vierte Phase der Integration des Geschehenen ins eigene Leben führt, in der zunehmend wieder der Blick nach vorne in die Zukunft gerichtet wird. Mensch benötigten unterschiedlich viel Zeit zum Durchlaufen der einzelnen Phasen.
Prolongierte Trauer
Endgültig von Menschen Abschied zu nehmen, die man geliebt hat, tut weh, doch der Schmerz lässt bei den meisten Menschen mit der Zeit in seiner Intensität nach, doch bei manchen Trauernden geschieht dies jedoch nicht. Bei ihnen bleibt der Trennungsschmerz genauso intensiv wie am ersten Tag, und zwar über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Kurz nach dem Verlust eines geliebten Menschen ist es normal, an diesen zu denken und sich an schöne, gemeinsame Erlebnisse zu erinnern, doch prolongiert Trauernde hingegen können ihre Gedanken in Bezug auf den Verlust selbst nach Jahren nicht aktiv steuern, und selbst kleinste Details reichen aus, um unkontrollierte Gefühlsausbrüche wie Weinen oder Schreien hervorzurufen, seien es der Name, Bilder oder Orte, oft auch in einem völlig anderen Zusammenhang. Diese Trauernden können den Tod nicht akzeptieren und damit auch kein neues Leben beginnen, wobei der Weg in die Isolation häufig die Folge ist, denn soziale Kontakte werden gemieden. Besonders betroffen sind Menschen, die schon vor dem Verlust eine seelische Erkrankung hatten, wobei die Zurückgelassenen oft gegen Schuldgefühle ankämpfen. In einer Therapie kommt es daher darauf an, sich von diesen Schuldgefühlen zu lösen und sich zu verabschieden, aber gleichzeitig mit ihm verbunden zu bleiben.
Übrigens ähnelt Trennungsschmerz manchmal den Entzugserscheinungen eines Süchtigen, denn solche intensive Gefühle können die Regelkreise des Körpers irritieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen dann ähnliche Hirnareale aktiviert sind wie bei Drogenentzug. Auch wenn in solchen Situationen Gespräche Erleichterung bringen, so ist den Trennungsschmerz etwa im Freundeskreis pausenlos zu thematisieren wenig zielführend, aber auch sich nur abzulenken und die Trauer zu verdrängen, ist auch keine Lösung. Hier die richtige Balance zu finden ist für manche Menschen schwer, wobei letztlich wohl die Zeit alleine helfen kann, um Abstand gewinnen.
Menschen reagieren unterschiedlich auf den Verlust eines nahestehenden Menschen und auch die Auswirkungen des Trauerprozess auf die Persönlichkeit sind divergent. Wittkowski & Scheuchenpflug (2015) haben untersucht, wie es Menschen geht, die einen solchen Schicksalsschlag zu verkraften haben und wie diese mit dem Verlust umgehen. In einer Studie mit über fünfhundert Teilnehmern wurden mittels Fragebögen die verschiedenen Aspekte des individuellen Trauerschmerzes und dem Umgang damit erfasst, wobei besonders der Einfluss der Zeit seit dem Verlust von Interesse war. Es zeigte sich, dass bei den Menschen, deren Verlust etwa ähnlich lang zurückliegt, vor allem in den ersten zweieinhalb Jahren nach dem Todesfall starke Veränderungen auftraten. Innerhalb des ersten Jahres nehmen Beeinträchtigungen durch unangenehme Gedanken und Gefühle einerseits und das Empfinden der Nähe zu der verstorbenen Person andererseits an Intensität stark zu. Ganz ähnlich verläuft anschließend auch die Abnahme der Intensität während der nachfolgenden zwölf bis achtzehn Monate, wobei Frauen stärker unter den Verlust eines nahestehenden Menschen leiden als Männer. Man fand zudem heraus, dass auf längere Sicht, also über den Zeitraum von drei Jahren hinaus, die Beeinträchtigungen sowie das Empfinden der Nähe zum Verstorbenen kontinuierlich nachlassen, wobei interessant ist, dass am Ende der heißen Phase des Trauerns sowohl positive Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten zunehmen als auch die Fähigkeit zu Anteilnahme und Mitgefühl mit anderen Menschen wächst. Diese Entwicklung bleibt auch mehr als zehn Jahre nach dem Verlust erhalten, doch bleiben auch Schuldgefühle langfristig nahezu unverändert auf dem Intensitätsniveau. Nach Ansicht der Autoren ist Trauern neben Kummer auch mit persönlichem Wachstum verbunden, das von den Betroffenen rückblickend positiv erlebt wird. So kann die Bewältigung des Verlustes auf lange Sicht zu einer positiven Veränderung des Betroffen führen, auch wenn die Zeit den Schmerz des Trauerns nicht zum Verschwinden bringt, sie vermag ihn aber zu lindern. Übrigens haben die meisten den Verlust nicht einmal nach dem traditionellen Trauerjahr abgeschlossen, sondern dass sich erst im zweiten Jahr nach dem Verlust entscheidet, ob die Beeinträchtigungen abnehmen oder auf hohem Niveau bestehen bleiben, ob also ein normaler Bewältigungsprozess oder ein behandlungsbedürftiges Trauern vorliegt.
Wittkowski & Scheuchenpflug (2016) untersuchten die Formen des Trauerns und die damit verbundenen Folgen für die Betroffenen, indem sie Menschen befragten, die meisten von ihnen verwitwet oder verwaiste Eltern, mit Hilfe eines Fragebogens (Würzburger Trauerinventar), in dem die Betroffenen ihre Beziehung zu den Verstorbenen, deren Todesart sowie ihr Erleben nach dem Verlust und verschiedene Aspekte des Trauerns beschrieben. Bei Menschen, die ein Kind oder ihren Ehegatten verloren hatten, war das Empfinden der Nähe zur verstorbenen Person besonders stark ausgeprägt, d. h., sie beschrieben sich als in der Trauerphase in ihrem Denken und Fühlen spürbar beeinträchtigt. Solche Empfindungen waren weniger stark ausgeformt, wenn ein Elternteil beziehungsweise ein Bruder oder eine Schwester gestorben waren. Im Hinblick auf die Todesart, äußerten Angehörige von Opfern einer Selbsttötung stärkere Schuldgefühle als Angehörige von Menschen, die durch Krankheit oder Unfall ums Leben gekommen waren. Keinen Einfluss auf die Intensität negativer Gedanken und Gefühle der Hinterbliebenen hatte hingegen, ob der Tod überraschend durch einen Unfall oder vorhersehbar aufgrund einer Krankheit eingetreten war. Offensichtlich unterscheidet sich die Art und Intensität des Verlusterlebens, je nachdem, in welcher Beziehung die verstorbene Person zum Hinterbliebenen stand und auf welche Art sie ums Leben kam. Diesen Umstand sollte man daher bei der Begleitung, Beratung und psychotherapeutische Behandlung Trauernder berücksichtigen, denn Menschen, deren Ehegatte oder Kind sich das Leben genommen haben, sind demnach besonders anfällig für die „Anhaltende Komplexe Trauerreaktion“, die ein Risikofaktor für die Ausbildung noch schwerwiegenderer psychischer und körperlicher Erkrankungen darstellt.
Es kommt auch immer wieder vor, dass Menschen nach einem Verlust aufgrund ihrer Trauerreaktion von ÄrztInnen die Diagnose Depression erhalten und deshalb medikamentös behandelt werden. Zwar ist Denken und Fühlen von Trauernden tatsächlich ähnlich war wie bei einer Depression, aber es gibt auch deutlich Unterschiede: Bei den Trauernden kommen Aspekte wie die Sehnsucht nach der verlorenen Person und ein starkes Gefühl der Nähe zu ihr hinzu, wobei sich mit zunehmendem Abstand bei den Betroffenen diese Gedanken auch verändern. So kommt es bei nicht wenigen zu einem persönlichem Wachstum und zu mehr Empathie für andere Menschen. Solche Entwicklungen sind bei Depressionen nicht zu finden. Daher ist es wichtig, dass ÄrztInnen bei ihrer Diagnose auch auf die Besonderheiten der Trauer achten (Wittkowski & Scheuchenpflug, 2021). ÄrztInnen, PsychologInnen und Angehörige anderer Berufsgruppen im Gesundheitswesen sollten sich daher ausführlich mit Menschen in Trauer befassen und dabei das Augenmerk nicht ausschließlich auf Kummer und gedrückte Stimmung lenken, sondern auch mögliche Schuldgefühle und das Empfinden der Nähe zur verlorenen Person zu beachten. Wenn ein Todesfall bereits länger zurückliegt, sind auch persönliches Wachstum und eine Zunahme von Empathie für andere Menschen Merkmale, die nur für Trauernde gelten, nicht hingegen für Depressive. Als Leitschnur für die diagnostische Einordnung von Menschen nach einem schwerwiegenden Verlust kann gelten, dass Trauernde und Depressive sich in ihren Gefühlen ähneln, sich hingegen in ihren Gedanken unterscheiden, sodass der differenzierte Umgang mit Trauer und Depression besonders wichtig ist.
Siehe auch Verhaltenstherapie bei Trauerreaktion und Depression
Trauer bei Tieren?
Nicht nur Menschen trauern, sondern man findet auch in der Tierwelt verschiedenste Formen der Trauer. Vor allem Primatenfen und Elefanten werden vom Tod von Artgenossen heftig getroffen, wobei manche Arten sogar einen regelrechten Totenkult pflegen. Immer wieder fand man Affenmütter, die ihr totes Kind tagelang noch auf dem Arm halten, es immer wieder streicheln und sich nicht damit abfinden können, dass kein Leben mehr in dem Körper steckt. Schimpansen kümmern sich um verletzte und sterbende Artgenossen, pflegen deren Wunden, streicheln die Verletzten und halten eine Art sogar eine Art Totenwache, sodass vieles dafür spricht, dass zumindest Primaten den Tod als Ende des Lebens begreifen können.
Ob Tiere trauern, hängt auch davon ab, wie hoch sie entwickelt sind, wobei Säugetiere vermutlich auf jeden Fall trauern können, denn sie dürften eine rudimentäre Vorstellung vom Ende des Lebens zumindest ihrer Artgenossen besitzen. Wissenschaftler haben bei Elefanten einen regelrechten Totenkult ausgemacht, denn als eine Elefantenkuh sterbend zusammenbrach, versuchten die anderen Tiere mehrfach, diese wieder aufzurichten. Nach ihrem Tod kehrten sie immer wieder zu dem Kadaver zurück, befühlten das tote Tier, stupsten es an oder hielten sich einfach nur in der Nähe auf. Bekannt ist auch, dass Elefanten immer wieder zu den Orten zurückkehren, an denen Mitglieder ihrer Herde starben, wobei es mitunter scheint, als würden sie der Toten gedenken. Sogar noch längere Zeit nach dem Verlust eines Familienmitgliedes verharren Elefanten am Ort des Todes, als würden sie kurz des Verstorbenen trauernd gedenken. Durch den Verlust ist manchmal der Zusammenhalt der Gruppe gefährdet und der Tod eines Mitglieds der Gruppe bringt große Unsicherheit mit sich. Elefantenherden können nach dem Tod des Leittieres, oft einer Matriarchin, völlig zerfallen, sodass Jungtiere verenden, die auf die Betreuung durch die Herde angewiesen sind. Da man an manchen Orten gehäuft Skelette von toten Tieren findet, werden diese manchmal als Elefantenfriedhof bezeichnet. Allerdings handelt es sich dabei um einen Mythos, denn da ein Elefant im Laufe seines Lebens sechs Mal sein Gebiss erneuert, sind mit 60 Jahren die letzten Zähne des Elefanten so abgenutzt, dass sich die älteren Tiere in Gebiete zurückziehen, wo weicheres Futtermaterial wächst. Durch die höhere Konzentration alter und schwacher Tiere in solchen Gegenden verenden auch mehr Elefanten auf engerem Raum, sodass dieser Irrglaube entstand.
Erst jüngst hatte man beobachtet, dass eine Orca-Mutter ihr totes Junges Tage lang immer wieder mit der Nase angestupst hatte, damit es nicht im Meer versank, und erst danach trennte sich das Tier von seinem leblosen Nachwuchs. Nachdem ihre Trauerreise vorbei war, wurde ihr Verhalten wieder auffallend munter. In einem unvergleichlichen Leidensweg hatte die Schwertwal-Mutter ihr Junges mehr als 1600 Kilometer weit mit sich getragen. Dass Schwertwale ein totes Jungtier über mehrere Tage mit sich tragen, ist aber nichts Ungewöhnliches, denn die Tiere haben eine besonders starke Beziehung zu ihrem Nachwuchs.
Voraussetzung für die Fähigkeit zur Trauer ist die Zugehörigkeit der Tiere zu sozialen Gruppen, etwa einem Rudel, doch findet man Trauer auch bei Einzelgängern und Eltern-Kind-Beziehungen. Neben Hormonen müssen auch die entsprechenden Gehirnstrukturen vorhanden sein, in denen Gefühle und Erinnerungen verarbeitet werden können. Trauer führt bei Menschen zu einem Anstieg der Stresshormone, entsprechend reagieren auch Tiere, die durch den Verlust eines vertrauten Artgenossen gestresst sind, wie man in Untersuchungen bei Meerschweinchen gezeigt hat.
Verhaltensreaktionen auf einen toten Artgenossen wurden bei wildlebenden Hunden nur selten beobachtet, und es gab bisher auch keine dokumentierten wissenschaftlichen Belege für Trauer bei Haushunden. Berichtet wird aber häufig, dass Hunde nach dem Tod ihres Besitzers das Essen verweigern oder andere Zeichen von Trauer zeigen, denn sie suchen überall nach diesem. Die Tiere wirken auf die Menschen so, als ob sie emotional auf den Verlust der vertrauten Person ähnlich reagieren, wie es diese von sich selbst kennen. Uccheddu et al. (2022) haben Hundebesitzer mit mindestens zwei Hunden, von denen einer starb, eine Analyse der Trauerreaktionen sowohl bei Hunden als auch bei ihren Besitzern durchgeführt. Ziel der Untersuchung war es, zu erforschen, ob, wie und was ein Hund über den Verlust eines Begleithundes erfahren kann. Es zeigte sich, dass sowohl eine freundschaftliche oder elterliche Beziehung zwischen zwei Hunden als auch die Tatsache, dass sich die Hunde früher das Futter geteilt hatten, und die Trauer oder Wut des Besitzers die wichtigsten Prädiktoren für negative Verhaltensänderungen nach dem Tod eines Tieres waren. Den Antworten der Hundehalter zufolge veränderte sich der überlebende Hund nach dem Tod des Begleithundes sowohl in Bezug auf die Aktivitäten („Spielen“, „Schlafen“ und „Fressen“) als auch auf die Emotionen (Ängstlichkeit), die in Abhängigkeit von der Qualität der Beziehung zwischen den beiden Tieren auftraten. Im Gegensatz dazu hatte die Zeit, die die beiden Hunde zusammen verbracht hatten, keinen Einfluss auf das Verhalten des überlebenden Hundes. Die Wahrnehmungen der Besitzer über die Reaktionen und Emotionen ihres Hundes standen in keinem Zusammenhang mit der Erinnerung oder dem Leiden an das Ereignis, das mit der Zeit abnahm. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Hund beim Tod eines nahen Artgenossen trauerbezogene Verhaltens- und Gefühlsmuster zeigen kann, wobei letztere möglicherweise mit dem emotionalen Zustand des Besitzers zusammenhängen, denn so könnte der Hund etwa die Emotionen bei seinem Besitzer registriert und darauf reagiert haben.
Berichte gibt es aber auch von Katzen, die ihre Artgenossen nach deren Tod vermissen.
Literatur
Kast, Verena (1990).Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Stuttgart: Kreuz.
http://www.news.de/gesundheit/855252357/trauerbewaeltigung-wenn-der-schmerz-nicht-mehr-verschwindet/1/ (11-12-14)
Stangl, W. (2022, 25. Februar). Trauer bei Haushunden? Stangl notiert …
https://notiert.stangl-taller.at/forschung/trauer-bei-hunden/.
Uccheddu, Stefania, Ronconi, Lucia, Albertini, Mariangela, Coren, Stanley, Da Graça Pereira, Gonçalo, De Cataldo, Loriana, Haverbeke, Anouck, Mills, Daniel Simon, Pierantoni, Ludovica, Riemer, Stefanie, Testoni, Ines & Pirrone, Federica (2022). Domestic dogs (Canis familiaris) grieve over the loss of a conspecific. Scientific Reports, 12, doi:10.1038/s41598-022-05669-y.
Wittkowski, J. & Scheuchenpflug, R. (2015). Zum Verlauf „normalen“ Trauerns. Verlusterleben in Abhängigkeit von seiner Dauer. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 23, 169-176.
Wittkowski, J. & Scheuchenpflug, R. (2016). Trauern in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen und zur Todesart. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 24, 107–118.
Wittkowski, J. & Scheuchenpflug, R. (2021). Evidence on the Conceptual Distinctness of Normal Grief From Depression. European Journal of Health Psychology, 1-10.
https://de.wikipedia.org/wiki/Elefantenfriedhof (14-03-18)
https://www.sueddeutsche.de/wissen/frage-der-woche-trauern-tiere-1.587470 (10-05-18)