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Borderline-Persönlichkeitsstörung

    Die Kinderkrankheiten der Seele brechen erst bei den Erwachsenen aus.
    Hans Weigel

    Der Name Borderline (Grenzlinie) geht darauf zurück, dass man das Krankheitsbild an der Grenze zwischen psychotischen und neurotischen Störungen eingeordnet hat. Die Borderline-Störung wird überwiegend bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen diagnostiziert und unterscheidet sich grundlegend von anderen psychischen Störungen. Der Verlauf der Bordeline-Persönlichkeitsstörung ist zwar recht individuelle, doch am häufigsten wird ein Muster chronischer Instabilität im jungen Erwachsenenalter mit Phasen eines schwerwiegenden affektiven und impulsiven Kontrollverlustes beobachtet. Sowohl störungsbedingte Beeinträchtigungen als auch die Suizidgefahr sind im jungen Erwachsenenalter generell am größten und nehmen dann allmählich mit fortschreitendem Alter ab. Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr erlangen die meisten der Betroffenen eine größere Stabilität in ihren Beziehungen und beruflichen Funktionen.

    Schon im 17. Jahrhundert schrieb der englische Arzt Thomas Sydenham über diese Krankheit: „Sie lieben diejenigen ohne Maß, die sie ohne Grund hassen werden“. Er beschrieb damit treffend die häufig bei Borderline auftretende heftige Wut, die Schmerzen und die Angst der Betroffenen. Der Begriff Borderline wurde 1884 von C. H. Hughes für Störungsbilder eingeführt, die sich nicht eindeutig in die damals vorherrschenden Hauptkategorien Neurosen und Psychosen einordnen zu können. Neurosen sind Angststörungen, wobei dem Neurotiker seine Ängste und Zwänge bewusst sind, während der Psychotiker dagegen seine innere Welt, seine Einbildung, nicht mehr von der ihm umgebenden Realität unterscheiden kann.

    Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) wird auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung genannt. Neben impulsiven Handlungen wie etwa unkontrollierte Wutausbrüchen verspüren die Betroffenen oft eine große innere Leere, Selbstzweifel und haben Angst, verlassen zu werden. Gleichzeitig fürchten sie aber auch eine Nähe zu anderen Mitmenschen, was häufig zu zwar intensiven, aber unbeständigen Beziehungen führt. Zum Erscheinungsbild gehören daher sehr wechselhafte Stimmungen und Affekte, ein zerrüttetes Selbstbild, sehr unterschiedlich ausgeprägte Arten von traumabedingten Dissoziationen und damit verbundene Autoaggression sowie extreme zwischenmenschliche Sensibilität und extremes Emotionsgedächtnis. Vor allem die letzten beiden Symptome sind häufig Ursache für soziale Konflikte. Grundsätzlich können die Symptome bei den Betroffenen sehr unterschiedlich sein; viele davon gibt es sogar gegenteilig. Die Stärke der Störung ist von Person zu Person individuell, ebenso das damit verbundene Leiden und die individuellen Belastungserscheinungen. Es ist jedoch immer eine seelische Dauerbelastung gegeben, das Leben Betroffener ist nachhaltig beeinträchtigt. Die meist schon in der Kindheit und Jugend beginnende Borderline-Störung gehört zu den am häufigsten diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen.

    Diagnosehäufigkeit: Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist aktuell die am häufigsten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung, allerdings gibt es dafür, ab wann Persönlichkeitsmerkmale als krankhaft zu bezeichnen sind, keine klaren Grenzen, denn viele Betroffene mit milderen Formen begeben sich niemals in Behandlung. Die meisten Untersuchungen geben jedoch Werte zwischen einem und zwei Prozent Betroffene innerhalb der Bevölkerung an, wobei jeder fünfte stationär in die Psychiatrie Aufgenommene Symptome der Erkrankung zeigt. 70 bis 75 Prozent von ihnen sind Frauen, da Männer bei einer gestörten Impulskontrolle eher im Gefängnis als in der Psychiatrie landen, wenn sie ihre Aggressionen nicht nur gegen sich, sondern auch nach außen richten. Weibliche Betroffene schaden mit riskantem Verhalten eher sich selbst als anderen.

    Eine Borderlinestörung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden neun Symptome leidet:

    • Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen
    • Impulsivität bei potentiell selbstzerstörerischen Verhaltensweisen
    • Starke Stimmungsschwankungen
    • Häufige und unangemessene Zornausbrüche
    • Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/-versuche
    • Fehlen eines klaren Ichidentitätsgefühls
    • Chronische Gefühle von Leere und Langeweile
    • Verzweifelte Bemühungen, die reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu vermeiden
    • Stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome

    Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Borderlinepersönlichkeit unter allen Symptomen leidet und die Symptome bei jedem Betroffenen andere Ausprägungen annehmen können.

    Die genauen Ursachen der Störung sind noch nicht ganz geklärt, man vermutet aber das Vorliegen eines erblich bedingten überempfindlichen Nervensystem. Im Zusammenhang mit aktuellen Traumata wie Missbrauchserfahrung oder Scheidung der Eltern, kann sich daraus eine psychische Erkrankung entwickeln. Sosic-Vasic et al. (2019) haben entdeckt, dass die emotionale Überempfindlichkeit von von einer erhöhten Aktivität spezifischer Spiegelneuronen begleitet wird. Diese Nervenzellen werden bereits durch die Beobachtung von Handlungen und die Fremdwahrnehmung von Gefühlen stimuliert und sind somit entscheidend für das Lernen durch Nachahmung und das Nacherleben von Emotionen. Als eine Art Resonanzsystem im Gehirn reagieren diese besonderen Nervenzellen sehr sensibel auf die Gefühle und Stimmungen anderer, weshalb sie nicht nur für die Empathie-Fähigkeit des Menschen entscheidend sind, sondern auch eine Schlüsselrolle bei der emotionalen Ansteckung spielen. Die ForscherInnen haben gezeigt, dass Borderline-Patientinnen besonders stark auf Szenen von Verlust und Trauer reagieren. Diese Befunde könnten erklären, warum Menschen, die unter einer Borderline-Störung leiden, für negativen Gefühle äußerst empfänglich sind und so extrem darauf reagieren. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe war zu erkennen, dass es weitere Unterschiede im präfrontalen Cortex gab, denn bei den Betroffenen wie jener Bereich weitaus weniger aktiviert, der für die kognitive Beurteilung von Gefühlszuständen Anderer entscheidend ist, also der Bereich für die Mentalisierung bzw. für die reflektierte Einstufung von Gefühlswahrnehmungen. Diese Mentalisierung ist notwendig, um die Absichten und Motivationen anderer Menschen einschätzen zu können. Darum fällt es Borderlinern so besonders schwer, sich in andere hineinzuversetzen und deren Perspektive zu übernehmen.


    Das Hauptmerkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine anhaltende emotionale Instabilität, die sich durch regelmäßig schnell aufschießende Zustände unerträglicher Hochspannung zeigt, die keinem bestimmtem Gefühl zugeordnet werden kann. Viele Bewältigungsmuster enthalten selbstschädigendes und selten auch ggf. fremdschädigendes impulsives Verhalten, das ganz unterschiedlich sein kann:

    • Unsicheres, schwankendes Selbstbild zwischen Selbstzweifeln und Selbstüberschätzung (Identitätsstörung), ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken
    • Selbstverletzendes Verhalten wie Suizidversuche
    • Hochrisikoverhalten, wie z.B. zu schnelles Fahren, Balancieren auf Brückengeländern
    • Chronisches Gefühl von Leere
    • Kaufsucht, Bulimie, Essanfälle, Kleptomanie
    • Psychose-ähnliche Symptome (Gefühl des „Überflutet-werdens“, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Empfindungsstörungen) in Belastungssituationen
    • Unkontrolliertes sexuelles Verhalten, auch ohne HIV-Schutz oder wissentlich sogar mit HIV-positiven Partnern, auch Prostitution
    • Substanzmissbrauch (Drogen, Alkohol, nicht verordnete Medikamente oder davon zuviel)

    Selbstverletzung reduziert negative Gefühle

    Menschen mit einer Borderline-Störung empfinden häufig extreme positive und negative Gefühle und beruhigen diese häufig durch Selbstverletzung, denn der selbst zugefügte Schmerz dämpft das Gefühlszentrum. Sie ritzen sich die Arme auf, trinken schädliche Substanzen oder verletzen sich mit Zigarettenglut, wobei ihnen dieses selbstverletzende Verhalten Erleichterung verschafft und ihren negativen Gefühlszustand lindert. Das konnte in neueren Untersuchungen auch mittels Magnetresonanztomografie nachgewiesen werden, wobei Amygdala, Insula und das vordere Cingulum bei negativen Gefühlen besonders aktiv waren, deren Aktivität aber durch nachfolgende intensive bzw. schmerzhafte Reize reduziert werden konnte.

    Fachliche und gut verständliche Informationen zu Borderline: http://www.blumenwiesen.org

    Literatur

    Sosic-Vasic, Zrinka., Eberhardt, Julia, Bosch, Julia E., Dommes, Lisa, Labek, Karin, Buchheim, Anna. & Viviani, Roberto (2019). Mirror neuron activations in encoding of psychic pain in borderline personality disorder. NeuroImage: Clinical, 22, doi:pii/S2213158219300877.
    http://www.heinz-h-online.de/ (09-11-21)
    https://www.stangl.eu/psychologie/definition/Borderline.shtml (09-11-21)


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    Ein Gedanke zu „Borderline-Persönlichkeitsstörung“

    1. Marlene Krauch

      Die Geschichte der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist geprägt von viel Leid, das die Betroffenen durch die Erkrankung mit ihren vielfältigen Symptomen, aber auch durch Unverständnis, Falschbehandlungen und Ausgrenzung erfahren haben. Lange ging mann davon aus, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung stabil und kaum behandelbar ist, d. h., wer die Diagnose bekam wurde sie meist sein Leben lang nicht mehr los, wobei sich diese Sichtweise bis heute hartnäckig hält. Zahlreiche Befunde aus den Neurowissenschaften haben aber in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass die Persönlichkeitsstörung heute als ein komplexes Zusammenspiel aus biologischen und Umweltfaktoren verstanden wird. Diese Erkrankung muss daher nicht zwingend mit lebenslangen schweren Beeinträchtigungen verbunden sein, vielmehr können die Symptome erfolgreich psychotherapeutisch behandelt werden und gehen bei einem Großteil der Betroffenen nach einigen Jahren zurück. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass eine gezielte und auf die Betroffenen und ihre Symptome abgestimmte Psychotherapie auch auf neuronaler Ebene Veränderungen anstößt.
      Quelle: https://www.spektrum.de/news/borderline-persoenlichkeitsstoerung-von-wegen-lebenslaenglich/1951726 (21-12-21)

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