Der Ablauf des entdeckenden Lernens – auch exploratives Lernen – bei Kindern ist ein Prozess, bei dem trotz oder wegen aller Wege und Umwege ein grundlegendes Muster hervortritt:
- Am Anfang steht etwas, was ich schon kann oder mir be-kann-t ist. Denn damit hantiere und experimentiere ich. Davon gehe ich aus. Von daher kommen meine Fragen, denn im zweiten Schritt entdecke ich etwas, was anders ist als bisher.
- Dann beginnt das Staunen, sich wundern. Etwas weckt mein Interesse. Es ist die Ahnung, davon, dass es etwas (Neues, bisher Unbe-kann-tes) zu entdecken, zu lernen oder zu erfahren gibt.
- Es entstehen erste Lern- bzw. Forschungs-Ideen, wie es gehen könnte: Da möchte ich mal nachforschen. Das könnte doch so oder so gehen. Ich vermute, das hängt damit zusammen. Erste und vorläufige Hypothesen werden gebildet. Ich stütze mich dabei auf das, was ich schon weiß und kann, zweifle aber bereits.
- Die eigenen Fragen und Forschungs-Ideen entstehen meist zur gleichen Zeit. Das Interesse, das Ver-wunder-liche, das Er- staun-liche verdichtet sich zu Fragen. Die Fragen richten sich an mich selbst, an den Gegenstand oder an andere. Die bleiben an der Oberfläche oder gehen in die Tiefe. Erst nach und nach entdecke ich, was der persönliche Anteil meiner Fragen ist: Die Fragen hinter den Fragen!
- Nun wird gehandelt, experimentiert, ausprobiert, versucht. Neue Fragen müssen zugelassen werden. Umwege sind „normal“: bewusst ausprobiert, zufällig, als vorübergehendes Hin und Her. Es ist der Versuch, Fragen und Weg in Einklang zu bringen. Allerdings verändern beim entdeckenden Lernen gewöhnlich Fragen und Weg immer wieder die Richtung. Einmal begonnen, kann der Prozess eine Eigendynamik entwickeln: Immer neue Fragen tauchen auf.
- Fehler führen zu Richtungsänderungen, zu neuen Fragen, zu nochmaligem probieren, zu neuen Ideen.
- Am (vorläufigen) Ende steht eine wundervolle Idee, ein Ergebnis, eine Erkenntnis, eine (vorläufige) Gewissheit, ein Produkt oder auch eine Menge neuer Fragen, die in neue entdeckende Lernprozesse münden. Gewöhnlich sind es viele wundervolle Ideen. Welche davon aufgegriffen, weitergesponnen oder (vorläufig) liegen gelassen wird, entscheidet der Lernende.
- Dokumentationen und Präsentationen runden den Lernweg ab. Gelerntes, Entdecktes, Erforschtes will gezeigt werden. Der Austausch mit anderen wird gesucht.
Systematisches Modell des entdeckenden Lernens nach Bruner
In den sechziger Jahren entwickelte Jerome Bruner systematisch das Lernmodell des entdeckenden Lernens oder Exploratory Learning. Unter entdeckendem Lernen versteht Bruner allgemein die selbstlernende (autodidaktische) Erschließung eines Wissensgebietes, wobei der Lehrer nur eine beobachtende und helfende Funktion hat. Entdeckendes Lernen steuert der Lernende somit selbst. Exploratives Lernen wird insgesamt als motivierend eingestuft. Ziel dieser Lernmethode ist die Ausbildung der Problemlösungsfähigkeit. Bruner entwickelte vier Lehr- und Lernansätze:
- Transferförderung: Dabei wird relevante Information nicht fertig strukturiert und präsentiert, sondern muss vom Lernenden selbst gefunden, nach Wichtigkeit ausgewählt und neu eingeordnet werden. Der Lernende sucht dabei nach Gemeinsamkeiten zwischen dem neuen Lernstoff und schon in seinem eigenen Wissen vorhandenen Gemeinsamkeiten, um so zu Erklärungen zu gelangen. Je mehr einzelne Fälle er auf diese Art kennen lernt, umso besser ist er in der Lage, daraus Regeln ableiten und Probleme lösen zu können.
- Problemlösefähigkeit: Der Lernende muss, um diese Lernmethode anwenden zu können, dazu in der Lage sein, ein Problem zu erkennen, es zu analysieren, Hypothesen zu bilden und diese zu analysieren. Ist der Lernende dazu in der Lage, definiert Bruner diese Fähigkeit als Lernen.
- Intuitives Lernen: Der Lernende lernt durch Intuition, durch „Geistesblitze“, die den Lernenden schneller zu seinem Ziel kommen lassen. Möglich ist dies wenn eine gewisse Grundvertrautheit mit einem Wissensgebiet gegeben ist.
- Förderung der intrinsischen Motivation: Intrinsische Motivation liegt vor wenn im Lernenden ein interner Reiz besteht, etwas zu erlernen oder zu verstehen. Neugier gegenüber dem Lernstoff erweckt im Lernenden diese Form von Motivation. Erreicht werden kann dies, wenn gewisse Information vorenthalten und so die Neugier gegenüber dem Thema geweckt wird. Die Exploration, das Entdecken, erfolgt somit durch Neugier und Interesse des Lernenden. Dadurch werden durch den Lernenden Lösungen für interessante Fragen entwickelt ohne dabei Fakten auswendig lernen zu müssen.
Definitionen
Entdeckendes Lernen ist eine Konzeption von Unterricht, die auf Forschungen zur kindlichen Entwicklung und zum Lernen zurückgreift, aber die praktische Realisierung im normalen Schulalltag in den Mittelpunkt stellt. Historisch gesehen ist Entdeckendes Lernen mit vielen Ansätzen der kindorientierten (Reform-)Pädagogik verbunden, vor allem aber mit der Curriculum-Forschung im Bereich des naturwissenschaftlichen Lernens in englischsprachigen Ländern. Der Ansatz hat im Laufe der letzten 50 Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen und wird heute als „Inquiry based science education (IBSE)“ in der Europäischen Gemeinschaft nachdrücklich gefördert.
Entdeckendes Lernen ist eine Form des Lernens, bei der im Gegensatz zu traditionellen Lehr-Lern-Formen zu erlernende Konzepte, Gesetzmäßigkeiten oder Vorgehensweisen nicht explizit dargeboten, sondern von den Lernenden selbst im Umgang mit Lernmaterial erschlossen werden. Das dabei zugrundeliegende Rationale ist, dass selbst (nach-) vollzogene Entdeckungen tiefer in den Wissensstrukturen der Lernenden verankert und besser nutzbar sind, vergleicht man dies mit vorgegebenen Lerninhalten, die dann oftmals nur oberflächlich verarbeitet und ohne tieferes Verständnis übernommen werden. Neben Vorteilen bei der Aneignung des konkreten Lernstoffes bietet entdeckendes Lernen zudem die Möglichkeit, allgemeinere Kompetenzen, etwa diejenigen des Testens von Hypothesen, des Strukturierens von Problembereichen usw. zu erwerben.
Beim entdeckenden Lernen eignet sich der Auszubildende das Wissen selbstständig durch Beobachtung, Nachfragen und Erforschen an. Der Ausbilder wechselt von der Rolle des „allwissenden“ Lehrers hin zum Lernberater und Moderator von eigenständigen Lernprozessen. Die Aufgabe, den Unterricht dahingehend zu planen, wie sich der Auszubildende selbstständig Wissen aneignen kann, gewinnt an Bedeutung.
Was sagt Wikipedia dazu? „Entdeckendes Lernen ist eine Methode zur Aneignung von Wissen sowie physischen und technischen Fertigkeiten. Der Fokus der Betrachtung liegt bei dem Schüler und nicht bei der Vermittlung durch die Lehrperson. Seinen Ursprung in neuerer Zeit hatte das Entdeckende Lernen in den englischen Curricula der 1970er Jahre. Unter Bezug auf die Psychologen Jean Piaget und Jerome Bruner wurden lebendige Unterrichtsanregungen für den als science bezeichneten Unterricht auch für jüngere Altersstufen entwickelt. Der gedankliche Ansatz ist seit dem antiken Griechenland bekannt; der Begriff „Entdeckendes Lernen“ wurde von Bruner (1961, 1981) in der von ihm damit beeinflussten pädagogisch-didaktischen Diskussion geprägt. Beim entdeckenden Lernen stehen Lernanregungen oder Lernarrangements im Zentrum, die eigenaktives Lernen motivieren sollen. Das bestehende Wissen regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls durch aktuelles zu ersetzen, ist entscheidend für das Überleben in der heutigen Wissensgesellschaft.“
Literatur
Edelmann, W. (2000). Lernpsychologie. Kempten: Kösel Verlag, PVU, Beltz Verlag.
Lothar Klein & Herbert Vogt (2002). Das Abenteuer des entdeckenden Lernens. Kinder lernen am besten auf eigenen Wegen. TPS-Sammelband „Kinder, Lernen, Bildung“, Kallmeyer-Verlag.
http://www.explorarium.de/konzeption/entdeckendeslernen.html (14-12-03)
http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/entdeckendes-lernen/4121 (14-12-03)
http://www.ausbildernetz.de/plus/waehrend/vermittlung/unterricht/lernen.rsys (14-12-03)
https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNEN/LerntheorienKognitive.shtml (14-12-03)