Bei der Bestimmung der Schulreife bzw. Schuleingangsuntersuchung geht es zunächst um die körperlich-medizinische Verfassung, also um Hör- und Sehfähigkeit, um chronische Krankheiten und vor allem um schulische Vorläuferfähigkeiten und einen eventuellen Förderbedarf. Die Entscheidung, ob und wann ihr Kind in die Schule kommt, liegt immer zuerst bei den Eltern. Hat das Kind Lust auf Schule? Ist das Kind emotional stabil genug? Kann das Kind im Unterricht still sitzen?
Heute werden statt Schulreife eher die Begriffe „Schulfähigkeit“ bzw. „Schulbereitschaft“ benutzt, weil einerseits der Teilbegriff „Reife“ die Vorstellung provoziert, mit zunehmendem Alter reife jedes Kind körperlich und kognitiv heran, doch andererseits die Schulfähigkeit oder Schulbereitschaft seit Jahren sehr viel umfassender betrachtet wird. Die Schulfähigkeit oder Schulbereitschaft ergibt sich immer aus vier Kompetenzfeldern: einer emotionalen, motorischen, sozialen und kognitiven Schulfähigkeit, wozu vor allem seelische Stabilität, Belastbarkeit, eine größere Portion Selbstsicherheit, ein grundsätzlich vorhandenes Regelbewusstsein, Lerninteresse und Neugierde, ein Bündel an sozialen Verhaltensweisen sowie Entspannungsfähigkeiten, Ausdauer, Zuversicht und ein gewisses Maß an Konzentrationsfertigkeit zählen. Die Schulbereitschaft setzt sich in erster Linie aus den Fertigkeiten Lernmotivation, Lernbereitschaft und Lernfreude zusammen, d. h., es geht um Persönlichkeitsmerkmale und nicht um Lernergebnisse. Es geht bei einem Aufbau der Schulfähigkeit also nicht primär um eine intellektuelle Förderung, vielmehr geht es darum, mit Kindern Rollen-, Musik-, Theater-, Fantasie-, Bewegungsspiele zu erleben, alltagsorientierte Gespräche zu führen, Umfelderkundungen zu unternehmen sowie die Selbstständigkeit der Kinder auszubauen, das Selbstwertgefühl von Kindern zu stärken und ihre Neugierde auf Neues anzusprechen.
Vor allem Gruppenfähigkeit und soziale Reife spielen bei der Einschulung eine zentrale Rolle: Kann das Kind aushalten, einmal nicht gelobt zu werden oder im Mittelpunkt zu stehen? Kann es Konflikte oder Misserfolge aushalten? Kann das Kind sich im Unterricht konzentrieren und selbstständig arbeiten? Wichtig sind auch Fein- und Grobmotorik, denn manche Kinder haben Probleme, etwas mit der Schere auszuschneiden oder zu malen. Andere haben Probleme beim Gehen auf einer Linie oder einen zugeworfenen Ball zu fangen. Solche motorischen Fähigkeiten sind eine wichtige Grundlage für vieles andere, u. a. auch für die Sprachentwicklung.
Es ist wenig hilfreich, wenn Eltern versuchen, mit ihren Kind vorauszulernen, denn Rechnen oder Schreiben sind Angelegenheit der Schule. Kinder, die alles schon wissen oder zumindest schon viel wissen, können sich dann in der Schule schnell langweilen. Wenn ein Kind schon vor der Einschulung gut entwickelt und etwa durch Geschwister gefördert ist, sollten sie eher Sport machen oder ein Instrument lernen.
Aus Studien weiß man, dass vorzeitig eingeschulte Kinder häufiger eine Klasse wiederholen und sich bei ihnen nicht selten Fertigkeitsmängel durch die folgenden Schuljahre ziehen. Hinzu kommt, dass in einem Kindergarten, der eine spannende, kommunikationsreiche und selbstständigkeitsfördernde, situationsorientierte Pädagogik mit handlungsaktiven Projekten anbietet, eine spätere Einschulung keine entwicklungshinderlichen Folgen hervorbringen kann. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Grundlagen der vier basalen Kulturtechniken Sprache, Lesen, Schreiben und Rechnen von Anfang an ein sicheres Fundament besitzen müssen. Insofern ist bei starken Fertigkeitsdefiziten eine Klassenwiederholung gut, damit sich fehlende Basiskompetenzen mit jedem Schuljahr nicht weiter potenzieren. Doch es sollte am besten gar nicht erst durch eine zu frühe Einschulung zu einer Wiederholungsnotwendigkeit kommen.
1.Definition
„Während in der BRD bis in die Mitte der 60er Jahre die These von der Reifungs- und Altersabhängigkeit der sog. S. dominierend war, ist man sich heute weitgehend einig, dass die theoretischen Annahmen, auf denen das Schulreifekonzept beruht, ungültig sind und einer gründliche Revision bedürfen“ (Arnold, Eysenck & Meili 1980, S. 2009)
2.Definition
„Die S ist ein Konzept zur Beurteilung der Eignung eines Kindes für den Schulbesuch“
(Dieterich & Rietz 1996, S. 378)
3.Definition
„Es wurde ab etwa 1950 operational definiert durch eine Reihe von Handlungen und Fähigkeiten, die ein später erfolgreiches Kind bei Schuleintritt zu erbringen haben. Das waren besonders: Bereitschaft zur sozialen Ein- oder Unterordnung, Fähigkeit, mehrteilige Anweisungen auszuführen, Farb- und Formdiskriminierung in der visuellen Wahrnehmung, spontane Mengenauffassung (Mengenbilder bis etwa 8; Relationen wie mehr und weniger etc.) sowie feinmotorische Fertigkeiten“ (Grubitzsch & Weber 1998, S. 537)
4.Definition
„Schulreife wird als Grad körperlicher, intellektueller und sozialer Entwicklung definiert, der notwendig ist, um die von dem jeweiligen Schulsystem bzw. Lehrer gestellten Anforderungen zu bewältigen“ (Michel & Novak 1995, S. 346)
5.Definition
„Das Vorhandensein der für den Schulbesuch notwendigen körperlichen, intellektuellen, emotionalen u. sozialen Reife; Sy Schulfähigkeit“ (Wahring, Krämer & Zimmermann 1983, S. 655).
Weitere Definitionen unter Schulreife
Literatur
Arnold, Wilhelm, Eysenck, Hans Jürgen & Meili, Richard (1980). Lexikon der Psychologie. Freiburg: Herder
Dieterich, Rainer & Rietz, Ira (1996).
Wörterbuch Psychologisches Grundwissen für Schule und Beruf. In J. Petersen & G.-B. Reinert (Hrsg.), Schulreife (S. 378). Donauwörth: Auer
Grubitzsch, Siegfried & Weber, Klaus (1998). Handbuch Psychologische Grundbegriffe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Michel, Christian & Novak, Felix (1995). Kleines Psychologisches Wörterbuch. Freiburg im Breisgau: Herder.
Wahring, Gerhard, Krämer, Hildegard & Zimmermann, Harald (1983). Deutsches Wörterbuch Brockhaus Wahring. Stuttgart: F.A. Brockhaus Wiesbaden Deutsche Verlags-Anstalt.
Stangl, W. (2023, 22. April). Schulreife, Schulfähigkeit, Schulbereitschaft. Pädagogik-News.
https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/fit-genug-fuers-abc-das-letzte-jahr-vor-der-einschulung/
https://www.family.de/kann-kinder-sollen-sie-frueher-eingeschult-werden-das-sagen-paedagogik-experten/ (23-04-20)