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soziale Kompetenz

    Soziale Kompetenz (adaptive behavior) war, als psychologischer Begriff, bis Mitte des letzten Jahrhunderts ein Kriterium zur Beurteilung darüber, ob bei Kindern eine geistige Behinderung vorliegt oder nicht, gleichrangig zur Intelligenz im Sinne von Intelligenztests. Der Intelligenzquotient hat sich daraufhin stärker durchgesetzt. Heute steht die Forderung nach der Berücksichtigung sozialer Merkmale, nach der Erfassung und Förderung des sozialen Teils der Intelligenz wieder verstärkt im Vordergrund. Auch in der Erwachsenenbildung wird der Erwerb sozialer Kompetenzen als wichtiges Lernziel angesehen (vgl. Stangl, 2001).

    Sozial kompetente Personen sind in der Lage, zwischenmenschliche Interaktionen zu analysieren und zielorientiert zu agieren, während sie gleichzeitig die Interessen ihrer Interaktionspartner berücksichtigen. Sozial kompetente Personen verfügen demnach über perzeptive Fähigkeiten sowie behaviorale Fertigkeiten. Diese auf Thorndike (1920) zurückgehende Definition weist soziale Kompetenz als leistungsbezogene Persönlichkeitsvariable aus. Förderlich sollte sie sich insbesondere im Umgang mit interpersonellen Stressoren auswirken: Sozial kompetenten Personen sollte es per definitionem gelingen, den Verlauf interpersoneller Konflikte konstruktiv zu beeinflussen. Tatsache ist, dass soziale Konflikte zudem selbstregulatorische Fähigkeiten verlangen, da nicht nur die negativen Emotionen der Konfliktpartner, sondern auch persönliche aversive Gefühle bewältigt werden müssen.

    Nach Ansicht von Psychologen gehören übrigens Tricksen, Tarnen und Täuschen zur dunklen Seite der sozialen Kompetenz, das bedeutet nichts anderes, als dass man sich an den Gedanken gewöhnen muss, dass soziales Geschick auch ein zweischneidiges Schwert sein kann. Schon ein einziger toxischer Mitarbeiter oder Chef kann die Arbeitsatmosphäre eines Teams vergiften, da toxisches Verhalten in Arbeitsgruppen oft ansteckend wirkt.

    Nach Asendorpf & Banse (2000) ist es vor allem die Fähigkeit, die beiden im Prinzip eher gegensätzlichen Verhaltensweisen Konfliktfähigkeit und Kooperationsbereitschaft situativ so einzusetzen, dass es möglich ist, eigene Ziele innerhalb sozialer Beziehungen zu erreichen, ohne dabei die Beziehung zu gefährden. Eine genaue Festlegung von Verhaltensweisen, die in sozialen Situationen als sozial kompetent angesehen werden, kann es vermutlich grundsätzlich nicht geben, da ein Verhalten, das innerhalb eines Milieus jemanden als sozial kompetent auszeichnet, innerhalb eines anderen Milieus unter vergleichbaren Anforderungen als sozial inkompetent angesehen werden kann.

    Unter pädagogischer Perspektive ist soziale Kompetenz und Selbstkompetenz vor allem beim Eintritt in das Schulsystem wichtig. Mit zunehmendem Alter werden Kinder selbstständiger und sind mehr und mehr dazu fähig, Verantwortung für ihre eigenen Handlungen zu übernehmen, wobei Kinder, die über ein positives Selbstwertgefühl und Selbstkonzept verfügen, optimistisch bei der Bewältigung neuer Aufgaben sind. Kinder vertrauen auf ihre Selbstwirksamkeit und setzen ihre Kompetenzen optimal ein. Die Motivation, etwas zu leisten, Probleme zu lösen und die eigenen Kompetenzen weiterzuentwickeln, ist für Kinder im Jahr vor dem Schuleintritt wichtig, denn eine gut entwickelte Selbstkompetenz ist eine grundlegende Voraussetzung für die positive Bewältigung des Übergangs in die Schule. Fünf- und sechsjährige Kinder verfügen schon über eine Vielfalt an Erfahrungen hinsichtlich ihres Verhaltens in unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Strukturen, wobei wesentliche Voraussetzungen für die Bewältigung des Übergangs in die Schule die Fähigkeit zur Empathie, zur Kooperation und zur konstruktiven Auseinandersetzung mit Regeln sind. Im Jahr vor dem Schuleintritt entwickeln Kinder ihre Sachkompetenz durch den explorierenden, handlungsnahen Umgang mit Objekten und Materialien sowie durch den Austausch mit anderen Menschen weiter, wobei das sprachlich-begriffliche Erfassen von Merkmalen und Zusammenhängen immer komplexer. Sachkompetenz auch im Hinblick auf den Erwerb der Kulturtechniken weiter ausdifferenziert wird. Phantasie und Lust an gedanklichen Entwürfen sowie die Fähigkeit zum divergenten Denken bleiben für die Erweiterung der Sachkompetenz wichtig, wobei Kinder mit Freude an Herausforderungen haben und zuversichtlich bei der Lösung von Problemen sind.

    Experten des Linzer Klinikums schlagen 2018 Alarm, denn die Schwere der psychischen Störungen von Kindern und Jugendlichen nimmt eindeutig zu. So sind 12-Jährige mit Suizidversuchen und dissozialem Verhalten keine Seltenheit mehr, wobei besonders Buben eine schwächere soziale Kompetenz nachgesagt wird, doch die Mädchen holen auf oder reagieren mit depressiven Verstimmungen. Die Ursache liegt für Experten bei der fehlenden Bindung im Baby- und Kleinkindalter. Wenn diese wichtige Bindung zu den Eltern fehlt, sind die Kinder und Jugendlichen später hilflos ihren Gefühlen ausgeliefert und reagieren impulsiv. Vor allem die Eltern aus der Schlüsselkinder-Generation sind oft überfordert, denn sie belohnen die Kinder mit Essen, Geschenken und Medienkonsum, obwohl der Beziehungsaustausch und gemeinsame Aktivitäten viel wichtiger wären. Die Probleme zeigen sich oft in der Schule, denn dort kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, Mobbing oder Schulverweigerung (OÖN vom 13. Dezember 2018).

    In der empirischen Vorlesestudie 2015 der Stiftung Lesen „Vorlesen – Investition in Mitgefühl und solidarisches Handeln. Repräsentative Befragung von Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren und ihren Müttern“ wurde aus verschiedenen Blickwinkeln die Situation des Vorlesens und seine Bedeutung für Familien sowie für die Entwicklung von Kindern betrachtet. Man befragte insgesamt 524 Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren sowie deren Mütter mit Hilfe eines Fragebogens, wobei neben den Vorleseerfahrungen auch die Lern- und Schulerfolge der Kinder sowie deren soziale Fähigkeiten und Verhaltensweisen erhoben wurden. Es zeigte sich wie in früheren Studien ein positiver Zusammenhang zwischen dem Vorlesen in der Familie und den kognitiven und schulischen Leistungen der Kinder, doch es erwiesen sich die Kinder, denen häufiger vorgelesen worden war, als offener, vielseitig interessierter und sozial engagierter sowie sensibler und empathischer ihren Mitmenschen gegenüber. Diese Zusammenhänge waren dabei unabhängig vom Geschlecht der Kinder, vom Bildungsniveau der Eltern, von der Intensität ihrer sozialen Kontakte und der sonstigen Kommunikation in der Familie. Offensichtlich bewirkt das Vorlesen eine Erweiterung des Horizonts der Kinder, für die Entwicklung von Empathie und das Erlernen von sozialem Verhalten.

    Soziale Kompetenz ist nach Ansicht von Jansen, Melchers & Kleinmann (2012) die Fähigkeit, in unterschiedlichen Situationen die eigenen Ziele zu verfolgen und dabei sozial angemessen zu handeln. Sozial angemessen handelt man, wenn die Bedürfnisse und Interessen des anderen berücksichtigt oder die eigenen Verhaltensabsichten gut erklärt werden. Im beruflichen Alltag kann das bedeuten, sich in andere Kollegen hineinversetzen, versuchen, ihre Gedanken und Gefühle zu verstehen, sich klar und verständlich ausdrücken und auch mal Gefühle zeigen, mit Kollegen gut zusammenarbeiten, auch wenn sie vom Naturell her ganz verschieden sind, Konflikte aushalten, ansprechen und versuchen, sie zu lösen, und sich selbst und andere so zu führen, dass damit ein bestimmtes Ziel erreicht wird

    Jansen, Melchers & Kleinmann (2012) fanden mit ihrer „Kurzform des Inventars sozialer Kompetenzen (ISK)“ mit 33 Fragen vier Dimensionen:

    • Soziale Orientierung – die Fähigkeit, andere wahrzunehmen und sich in sie hineinzuversetzen. Beispiel: „In den meisten Situationen versuche ich, die Welt auch mit den Augen meines Gesprächspartners zu sehen.“
    • Offensivität – tatkräftig und nach außen gewandt sein. Beispiel: „Im Allgemeinen fällt es mir leicht, Entscheidungen zu treffen.“
    • Selbststeuerung – sich selbst führen und steuern. Beispiel: „Ich habe meine Gefühle immer gut unter Kontrolle.“
    • Reflexibilität – sich selbst wahrnehmen, über sich selbst nachdenken. Beispiel: „Fast immer, wenn ich mit anderen Menschen zusammenkomme, versuche ich herauszubekommen, ob mein Verhalten beim Gegenüber so ankommt, wie ich es gemeint habe.“

    Sozial kompetente Menschen  sind in ihren Emotionen ausgeglichen, reagieren flexibel, handeln auch in belastenden Situationen ruhig und kontrolliert, erleben sich als Ursache für eigenes Verhalten, können sich außerdem gut in andere Personen hineinversetzen, haben eine positive Einstellung anderen gegenüber, können zuhören und sind tolerant und kompromissbereit.

    Man hat im Zusammenhang von sozialer Kompetenz auch Gehirnaktivitäten bei Empathie und dem Einnehmen anderer Perspektiven untersucht, denn soziale Kompetenz basiert einerseits sowohl auf Gefühlen als auch auf komplexen Denkprozessen. Während Empathie gefühlsbasiert ist und Menschen hilft, an den Emotionen eines anderen Anteil zu nehmen, ist die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ein komplexer Denkprozess, der dazu dient, sich die Umstände des anderen vorzustellen und darüber nachzudenken, was dieser denken könnte. In einer Meta-Studie (188 Studien wurden dabei analysiert) zum Thema fand man heraus, dass beim Empathie-Empfinden und Perspektivwechsel zwar jeweils ein Hauptnetzwerk im Gehirn aktiv ist, dieses jedoch je nach Situation zusätzliche Netzwerke hinzuzieht. Während es für eine Situation etwa notwendig ist, Blicke und Mimik zu interpretieren, ist es in einer anderen eher die Fähigkeit, den kulturellen Hintergrund des Erzählers mitzudenken oder seine aktuellen Bedürfnisse zu kennen. Menschen, die besonders sozial kompetent sind, zeichneten sich demnach dadurch aus, jeweils die richtige Balance aus Einfühlen und Eindenken zu finden. Das bedeutet auch, dass einzelne Schwächen in der Wahrnehmung nicht unbedingt die soziale Kompetenz als Ganzes betreffen müsste, den wenn nur ein bestimmter Teilfaktor betroffen ist, also etwa das Verständnis von Mimik oder Sprachmelodie, muss das noch nicht auf mangelnde soziale Fähigkeiten hinweisen.


    Sozial kompetente künstliche Intelligenz?

    .Maschinelles Lernen ist die Grundlage, auf der fast alle künstlichen Intelligenzen beruhen, wobei künstliche neuronale Netze darauf trainiert werden können, Muster zu erkennen und sie später auf große weitere Datensätze anzuwenden. Ein sozial intelligenter Computer bzw. seine sozial-emotionale künstliche Intelligenz sollte in der Lage sein, Informationen in sozialen Situationen in Echtzeit zu erkennen und entsprechend auf menschliche Art und Weise zu reagieren. Menschlich bedeutet in diesem Zusammenhang, aus Situationen zu lernen, sich eine Meinung zu bilden und eigenständig Entscheidungen zu treffen. Dies soll z.B. eine produktive Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ermöglichen. Wissenschaftler arbeiten an der Entwicklung eines intelligenten Chatbots, d.h. einer künstlichen Intelligenz, die über einen Chat direkt mit Menschen kommunizieren kann, so dass die künstliche Intelligenz die Gefühle des Nutzers einordnen und entsprechend reagieren kann. Neben alltäglichen Aufgaben wie dem Kundenservice kann der Chatbot auch dazu beitragen, Stress und Depressionen bei den Nutzern abzubauen.


    Siehe dazu die Arbeitsblätter zur Sozialen Kompetenz

    Literatur

    Asendorpf, Jens B. & Banse, Rainer (2000). Psychologie der Beziehung. Bern: Huber.
    Bielski, Sven (1998). Geistige Behinderung und soziale Kompetenz.
    WWW: http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Sven.Bielski/Gener.htm (01-07-07)
    Jansen, A., Melchers, K. G. & Kleinmann, M. (2012). Der Beitrag sozialer Kompetenz zur Vorhersage beruflicher Leistung: Inkrementelle Validität sozialer Kompetenz gegenüber der Leistung im Assessment Center und im Interview. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 56, 87-97.
    Kanske, Philipp & Murray, Ryan J. (2019). Understanding others: The neurobiology of social cognition. Cortex, 121, doi.:10.1016/j.cortex.2019.11.003.
    Stangl, Werner (2001). Der Begriff der sozialen Kompetenz in der psychologischen Literatur (Version 2.0). p@psych e-zine 3. Jg.
    WWW: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/PAEDPSYCH/SOZIALEKOMPETENZ/ (08-07-05)
    Stangl, W. (2012). Soziale Kompetenz – Begriffsbestimmung. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/SozialeKompetenz.shtml (12-03-21)
    Stangl, W. (2022, 9. August). Gibt es eine sozial kompetente künstliche Intelligenz? Stangl notiert …
    https:// notiert.stangl-taller.at/zeitgeistig/gibt-es-eine-sozial-kompetente-kuenstliche-intelligenz/
    Thorndike, Edward Lee (1920). Intelligence and its use. Harper’s Magazine, 140, S. 227-235.
    http://www.report-psychologie.de/news/artikel/staerkt-vorlesen-soziales-verhalten-2015-11-20/ (15-11-20)
    http://www.stiftunglesen.de/download.php?type=documentpdf&id=1666 (15-11-20)
    OÖN vom 13. Dezember 2018


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