Die Psychologie hat eine Vielzahl von Methoden entwickelt, die geeignet sind, Folgen einer erhöhten Erregungsbereitschaft und Unfähigkeit zur Entspannung wie Ängste, Gereiztheit, Nervosität und verschiedene andere Stresssymptome zu beheben, überhöhte Spannungszustände abzubauen und einen neuen Gleichgewichtszustand zu erreichen und zu stabilisieren. Der Muskelapparat ist der am besten geeignete Ansatzpunkt für einen Einstieg in eine Entspannung des gesamten Organismus, da die motorische Ebene unserem willkürlichen Einfluss durch bewusstes An- und Entspannen bestimmter Muskelgruppen direkt zugänglich ist. Die Aufmerksamkeit lässt sich beim Ballen der Faust auf spürbar vorhandene Empfindungen lenken, die mehr oder weniger vertraut sind, da man im Umgang mit der Skelettmuskulatur bereits ein hohes Maß an Erfahrung besitzt. Hinzu kommt, dass die Nervenbahnen des Sympathikus und Parasympathikus, die von Gehirn und Rückenmark aus zu den Organen führen, grundsätzlich Gegenspieler sind und einander bei manchen Funktionen ergänzen. Der Sympathikus bereitet die Organe auf Anstrengungen vor, sorgt also etwa dafür, dass das Herz schneller schlägt, während der Parasympathikus für die anschließende Regeneration zuständig ist, indem er Stoffwechselvorgänge ankurbelt und den Aufbau körpereigener Reserven unterstützt.
Edmund Jacobson (1885 – 1976) hatte beobachtet, dass sich psychische Belastungen in körperlichen Anspannungen äußern, und wies nach, dass dieser Weg auch umgekehrt funktioniert: Entspannte Muskeln wirken beruhigend auf das Gemüt. Durch gezieltes Anspannen einzelner Muskelgruppen und nachfolgender Entspannung dieser Muskeln gibt es eine Rückwirkung auf das Zentralnervensystem, das den Parasympathikus aktiviert und sämtliche Entspannungsvorgänge im Körper in Gang setzt. Jacobson ging auch von der Beobachtung aus, dass Muskelverspannung und Angst miteinander zusammenhängen, dass mit allen Gefühlen von Unruhe, Angst und Erregung eine deutliche Erhöhung der Anspannung des Muskelapparates einhergeht. Aufgrund dieser Beobachtung entwickelte er seine progressive Muskelentspannungstechnik als Möglichkeit der Angstreduzierung. Sie basiert auf dem einfachen Grundgedanken, dass muskuläre Entspannung und stressbedingte Erregung oder Angst miteinander unvereinbar sind, dass Muskelentspannung eine Senkung des Erregungsniveaus des gesamten Organismus zur Folge hat. Jacobson fand nun eine sehr einfache und einleuchtende Methode, die Muskeln schnell und effektiv zu entspannen: das systematische, bewusste und intensive vorherige Anspannen der Muskeln. Er machte sich dabei die Tatsache zunutze, dass jeder Muskel die Tendenz hat, zu ermüden, wenn er vorher starker Belastung ausgesetzt wird. Gleichzeitig hat das Anspannen aber noch einen anderen Zweck: Es dient der Wahrnehmungsschulung für kleine Spannungsunterschiede im Bereich unserer Skelettmuskulatur. Wir werden damit allmählich sensibler bei unserer „inneren Wahrnehmung“, entwickeln nach und nach einen „Muskelsinn“. Dadurch wird es uns möglich, Anspannungen und beginnende Verspannungen rechtzeitig wahrzunehmen und dann entsprechend gezielt mit Entspannung darauf zu reagieren.
Die Durchführung einer Übungseinheit dauert bei der Kurzfassung 3 bis 4 Minuten, bei der längeren Fassung 20 bis 30 Minuten. Die Entspannung kann im Liegen oder im Sitzen durchgeführt werden. Zudem sollte man darauf achten, dass man nicht durch Kleidungsstücke, Brillen, Uhren oder ähnliches eingeengt wird und die Entspannungssitzung in einem angenehm temperierten Raum durchgeführt wird.
Die Voraussetzung für den Erfolg besteht im regelmäßigen Üben, denn Entspannungsfähigkeit kann nur durch wiederholtes Training im Körper verankert werden, indem das Gehirn „konditioniert“ darauf konditioniert, wenn die Impulse stets die selben sind. Wenn zehn Wochen lang an sechs Tagen in der Woche geübt wird, erreicht man später die Tiefenentspannung in wenigen Sekunden. Danach genügt es, drei- bis viermal pro Woche seine Übungen zu machen, um die Wirkung zu erhalten.
Außerdem birgt die Technik der progressiven Muskelentspannung keinerlei gesundheitliche Risiken und kann daher auch ohne Bedenken im Selbstunterricht erlernt werden.
Siehe dazu ausführlich Progressive Muskelrelaxation
Linktipp: Eine gesprochene Anleitung zur Progressiven Muskelentspannung wird auch von der schmerzakademie.de (http://www.schmerzakademie.de/patienten-service/services/) kostenlos zum Download bereitgestellt, wobei solche Anleitungen vor allem anfangs eine große Hilfe darstellen. Später sollte man sich aber davon lösen und die Methode alleine umsetzen.