Kontextabhängiges Erinnern bezeichnet in der Psychologie das Phänomen, dass der Abruf von Informationen erleichtert wird, wenn die äußeren oder inneren Bedingungen während des Erinnerns denen während des ursprünglichen Lernens entsprechen. Hintergrund ist die Annahme, dass Gedächtnisinhalte nicht isoliert gespeichert werden, sondern in ein Netzwerk aus situativen Reizen, emotionalen Zuständen, körperlichen Empfindungen und kognitiven Erwartungen eingebettet sind. Diese Kontextfaktoren dienen beim späteren Abruf als Hinweisreize, die den Zugang zur gespeicherten Information erleichtern. Fehlen solche Hinweisreize oder unterscheiden sich Lern- und Abrufkontext deutlich, kann sich das Erinnerungsvermögen verschlechtern.
Ein klassisches Beispiel stammt aus der Studie von Godden & Baddeley (1975), die zeigten, dass Taucher sich an unter Wasser gelernte Wortlisten besser erinnern konnten, wenn der Abruf ebenfalls unter Wasser stattfand, während an Land gelernte Wörter an Land besser erinnert wurden. Auch emotionale Kontexte können eine Rolle spielen: Befindet sich eine Person beim Lernen in einer bestimmten Stimmung – etwa freudig oder traurig –, fällt ihr der Abruf meist leichter, wenn dieselbe Stimmung später erneut gegeben ist, ein Effekt, der als stimmungsabhängiges Erinnern gefasst wird.
Kontextabhängigkeit zeigt sich zudem im Alltag, etwa wenn jemand ein vergessenes Vorhaben plötzlich wieder weiß, sobald er den Raum betritt, in dem der Gedanke ursprünglich entstanden ist. Solche Beispiele verdeutlichen, dass Gedächtnisprozesse eng an die Gesamtheit der situativen Bedingungen gebunden sind, sodass Erinnern nicht nur ein Abrufen gespeicherter Daten darstellt, sondern ein rekonstruktiver Prozess, der stark durch Umwelt- und Zustandsreize gesteuert wird.
Siehe dazu den Lerntipp „Wie heißt die Hauptstadt von …“
Literatur
Godden, D. R., & Baddeley, A. D. (1975). Context-dependent memory in two natural environments: On land and underwater. British Journal of Psychology, 66(3), 325–331.
Eysenck, M. W., & Keane, M. T. (2020). Cognitive psychology: A student’s handbook (8th ed.). Routledge.
Smith, S. M., & Vela, E. (2001). Environmental context-dependent memory: A review and meta-analysis. Psychonomic Bulletin & Review, 8(2), 203–220.