Nested Learning

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Nested Learning – verschachteltes Lernen – bezeichnet in der Psychologie und Lernforschung ein mehrschichtiges, hierarchisch organisiertes Lernprinzip, bei dem Wissen, Fertigkeiten oder mentale Modelle in wechselseitig eingebetteten Ebenen erworben werden. Das Konzept geht davon aus, dass Lernprozesse nicht linear verlaufen, sondern dass jede neu erlernte Fähigkeit auf bereits bestehenden Strukturen aufbaut und zugleich den Rahmen für weitere, komplexere Lernschritte bildet. Lernende entwickeln somit unterschiedliche Ebenen kognitiver Repräsentationen, die ineinander verschachtelt sind (nested) und sich gegenseitig beeinflussen. Dieses verschachtelte Lernen tritt sowohl in individuellen Entwicklungsprozessen als auch in sozialen oder organisationalen Kontexten auf, etwa wenn Lernschritte in Teams, Bildungssystemen oder professionellen Gemeinschaften miteinander verwoben sind.

In der kognitiven Psychologie beschreibt nested learning unter anderem den Aufbau komplexer Schemata: Einfache Konzepte wie grundlegende mathematische Operationen bilden die Grundlage für komplexere Strukturen wie algebraische Modelle, die wiederum Voraussetzung für höhere mathematische Problemlöseprozesse sind. In der Sprachpsychologie zeigt sich das Prinzip, wenn Kinder zunächst Wörter erwerben, später syntaktische Muster verstehen und darauf aufbauend narrative Strukturen beherrschen. Auch in der motorischen Lernforschung wird nested learning beobachtet, beispielsweise beim Erlernen eines Musikinstruments: Einzelne technische Fertigkeiten wie Griffwechsel, Rhythmusgefühl oder Atemtechnik werden zunächst separat erworben, dann schrittweise integriert und schließlich in übergeordnete musikalische Performanz eingebettet.

In pädagogischen und organisationalen Settings findet nested learning ebenfalls Anwendung. Lernprozesse in Schulen oder Hochschulen sind oft so aufgebaut, dass Lernziele und Kompetenzen auf verschiedenen Ebenen ineinandergreifen: Von der Einführung grundlegender Begriffe über die Anwendung in standardisierten Aufgaben bis zur eigenständigen Problemlösung in realistischen Kontexten. In Unternehmen spiegelt sich nested learning in Kompetenzmodellen wider, bei denen Basisfähigkeiten (z. B. Kommunikation) zur Grundlage für komplexere Fähigkeiten werden (z. B. Teamführung), die wiederum eingebettet sind in noch umfassendere Lernziele wie strategisches Denken oder Innovationskompetenz. Entscheidend ist dabei, dass auf jeder Ebene Rückkopplungen auftreten können: Höhere Lernstufen können zuvor erworbene Strukturen erweitern, modifizieren oder reorganisieren, sodass Lernen als ein dynamischer und rekursiver Prozess verstanden wird.

Nested learning hat praktische Bedeutung für die Gestaltung effektiver Lernumgebungen. Lehrende können Lerninhalte so strukturieren, dass sie aufeinander aufbauen und Lernende erkennen, wie einzelne Schritte zu einem größeren Wissensnetz beitragen. Gleichzeitig hilft das Konzept, Lernschwierigkeiten zu erklären: Wenn grundlegende Ebenen unvollständig erworben wurden, können darauf aufbauende Ebenen instabil oder fehleranfällig sein. In der aktu­ellen Forschung wird nested learning häufig mit Theorien wie dem Kompetenzaufbau, der kognitiven Belastungstheorie oder dem konstruktivistischen Lernen verknüpft und dient als theoretischer Rahmen, um Lernpfade, Expertiseentwicklung und adaptive Lerntechnologien zu verstehen.

Nested Learning bei der Künstlichen Intelligenz

Google Research stellte jüngst mit Nested Learning ein neues Lernkonzept vor, das KI-Systeme als verschachtelte Optimierungsaufgaben begreift. Dieser Ansatz soll das Problem des katastrophalen Vergessens deutlich verringern und liefert theoretische Grundlagen für echtes kontinuierliches Lernen. Das Vergessen ist ein zentrales Defizit heutiger KI-Modelle, denn große Sprachmodelle können nach dem Training keine dauerhaften neuen Erinnerungen mehr speichern – ein Zustand, der Menschen mit bestimmten Amnesieformen ähnelt. Das Wissen eines Modells bleibt in der Regel auf den aktuellen Kontext und die während des Trainings gelernten Inhalte beschränkt, wobei Methoden wie größere Kontextfenster oder regelmäßiges Nachtrainieren lediglich als provisorische Lösungen dienen, vergleichbar mit dem Versuch, Gedächtnislücken durch einen immer größeren Notizblock zu ersetzen. Als Ursache identifiziert man, dass heutige Modelle nur eine einzige Lerndynamik besitzen, d. h., alle Parameter werden stets gleichermaßen und zur selben Zeit aktualisiert. Eine klar strukturierte Hierarchie unterschiedlicher Update-Zeitskalen fehlt und genau hier setzt Nested Learning an.

Literatur

Benson, B. J., & Beach, P. V. (2019). Nested learning and the development of cognitive structures: A hierarchical approach to knowledge acquisition. Journal of Cognitive Education, 18(2), 145–162.
Chi, M. T. H. (2009). Active-constructive-interactive: A conceptual framework for differentiating learning activities. Topics in Cognitive Science, 1(1), 73–105.
Salomon, G. (2006). The complex nature of learning: Nested systems and distributed cognition. Educational Psychologist, 41(2), 79–89.


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