
Als Representational Drift bezeichnet man eine Veränderung der neuronalen Repräsentationen über die Zeit, selbst wenn die sensorischen Eingaben oder Verhaltensweisen konstant bleiben. Dieses Phänomen wurde in verschiedenen Gehirnregionen beobachtet, darunter im sensorische Cortex, im Hippocampus und im Belohnungssystem. Dieser Prozess zeichnet sich durch eine langsame Veränderung aus, bei der die neuronale Kodierung bestimmter Reize oder Erinnerungen nicht statisch bleibt, sondern sich allmählich verändert. Trotz dieser Veränderung bleibt die Verhaltensleistung oft stabil, was darauf hindeutet, dass das Gehirn Mechanismen zur Kompensation besitzt.
Der Drift kann in verschiedenen Gehirnregionen unterschiedlich stark ausgeprägt sein, abhängig von der Art der neuronalen Kodierung und der Aufgabe. Beispiele für Representational Drift finden sich unter anderem im Hippocampus, wo Ortszellen, die für bestimmte Orte im Raum feuern, ihre Präferenz über Wochen hinweg ändern können, obwohl sich die Umwelt nicht verändert. Im olfaktorischen Cortex können Neuronen, die bestimmte Gerüche repräsentieren, ihre Reaktionsmuster im Laufe der Zeit verschieben, ohne dass sich die Wahrnehmung für den Organismus ändert. Im präfrontalen Cortex können Neuronen, die sich an Entscheidungsprozesse beteiligen, ihre Aktivitätsmuster über Wochen hinweg leicht verändern.
Mögliche Ursachen für den Representational Drift sind synaptische Plastizität, da ständige Anpassungen der synaptischen Verbindungen eine Rolle spielen könnten, neuronale Variabilität, da einzelne Neuronen durch interne Prozesse wie Rauschen oder Adaptation ihre Aktivität leicht verändern könnten, sowie die Optimierung von Netzwerken, da das Gehirn seine Repräsentationen dynamisch anpassen könnte, um eine robustere oder effizientere Kodierung zu erreichen.
Eine aktuelle Untersuchung von Bollmann et al. (2025) bestätigt die Annahme, das der Schlaf nicht nur der Gedächtniskonsolidierung, sondern auch der Reorganisation dient, indem sie die neuronalen Mechanismen hinter der Gedächtnisbildung während des Schlafs beleuchtet hat. In dieser Studie wurden Ratten nach dem Erlernen einer neuen Umgebung über einen Zeitraum von bis zu 20 Stunden im Schlaf beobachtet. Man nutzte dabei drahtlose Messmethoden, um die neuronalen Aktivierungsmuster zu analysieren und deren Veränderungen während des Schlafs zu dokumentieren. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die neuronalen Muster in den frühen Schlafphasen stark an den zuvor erlernten räumlichen Informationen orientieren, wobei sich mit zunehmender Schlafdauer diese Muster allmählich veränderten und begannen, den neuronalen Aktivierungen zu ähneln, die beim Wiederaufrufen der Gedächtnisinhalte nach dem Aufwachen auftraten. Besonders hervorzuheben ist dabei die Rolle des Hippocampus, der für das räumliche Lernen und die Navigation von entscheidender Bedeutung ist. Neuronen im Hippocampus erzeugen bekanntlich eine kognitive Karte der Umgebung, die durch die Erfahrung und das Lernen kontinuierlich aktualisiert wird. Diese Studie zeigt nun, dass die Reaktivierung dieser Karten während des Schlafs essenziell für die Gedächtnisbildung ist, d. h., je häufiger eine bestimmte räumliche Erinnerung im Schlaf reaktiviert wird, desto besser können sich die Ratten später an den entsprechenden Ort erinnern. Dieser Prozess fand hauptsächlich während des Non-REM-Schlafs statt, während der REM-Schlaf diesem Effekt entgegenwirkt. Man vermutet daher, dass diese Reorganisation dazu dient, die vorhandenen neuronalen Ressourcen effizienter zu nutzen und Platz für neue Erinnerungen zu schaffen.
Der Representational Drift stellt klassische Modelle der stabilen neuronalen Repräsentation in Frage und könnte wichtige Implikationen für das Lernen, das Gedächtnis und die neuronale Plastizität haben. Forscher untersuchen, wie das Gehirn trotz dieses Drifts stabile Verhaltensreaktionen aufrechterhält.
Literatur
Bollmann, L., Baracskay, P., Stella, F. & Csicsvari, J. (2025). Sleep stages antagonistically modulate reactivation drift. Neuron, doi.:10.1016/j.neuron.2025.02.025
Stangl, W. (2025, 25. März).
Schlaf fördert nicht nur die Gedächtniskonsolidierung, sondern auch die Reorganisation. Psychologie-News.
https:// psychologie-news.stangl.eu/5693/schlaf-foerdert-nicht-nur-die-gedaechtniskonsolidierung-sondern-auch-die-reorganisation.