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Attraktordynamik

    In der Psychologie bzw. Hirnforschung spielt die Attraktordynamik eine wichtige Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit neuronalen Netzwerken und deren komplexer Dynamik. Neuronale Netzwerke im Gehirn zeigen Attraktordynamik bei der Musterbildung und Gedächtnisbildung, d.h. die neuronale Aktivität neigt dazu, sich um bestimmte Muster oder Zustände zu gruppieren, die dann als Attraktoren fungieren, was eine Rolle bei der Speicherung und dem Abruf von Informationen im Gehirn spielt. Attraktoren gewährleisten die Stabilität neuronaler Aktivität, d.h. bestimmte neuronale Zustände können attraktive Punkte im Zustandsraum des Netzwerks sein, und die Dynamik tendiert dazu, zu diesen stabilen Zuständen zurückzukehren. Die Attraktordynamik ist auch für Prozesse des Lernens und der synaptischen Plastizität von Bedeutung, da Veränderungen der synaptischen Gewichte die Attraktoren des neuronalen Netzwerks verändern können, was zu neuen Mustern und Zuständen führen kann. Die Untersuchung der Attraktordynamik kann dazu beitragen, neurologische Erkrankungen besser zu verstehen, da einige Erkrankungen mit Veränderungen in der Attraktordynamik neuronaler Netzwerke einhergehen, die zu abnormalen Aktivitätsmustern führen können. Die Attraktordynamik ist auch für die Modellierung kognitiver Prozesse und der Entscheidungsfindung von Bedeutung, d.h. die Art und Weise, wie neuronale Netze Attraktoren bilden und durchlaufen, kann die Grundlage für komplexe kognitive Funktionen bilden. Insgesamt können Modelle, die auf der Dynamik von Attraktoren basieren, dazu beitragen, die Funktionsweise neuronaler Netzwerke zu simulieren und zu erklären.

    So haben Untersuchungen von Apostel et al. (2023) gezeigt, dass Rabenvögel und Menschen vergleichbare Strategien zur Verbesserung des Gedächtnisses anwenden, indem sie kontinuierliche Reize in Kategorien einteilen, wobei das Modell der Attraktordynamik völlig neue Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns eröffnet. Ähnlich wie Menschen zeigen auch Rabenvögel eine verminderte Genauigkeit und eine Tendenz zur Voreingenommenheit, wenn das Arbeitsgedächtnis stärker beansprucht wird. Dies äußert sich in ungenaueren Erinnerungen, vergleichbar mit einem Kellner, der zwei Milchkaffees anstelle von einem Latte Macchiato und einem Cappuccino serviert. Aufgrund der höheren Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis hat der Kellner die beiden spezifischen Bestellungen nur noch als die allgemeinere Kategorie Milchkaffee im Gedächtnis.

    Um die Gedächtnisleistung der Dohlen zu analysieren, wurden verschiedene Tests durchgeführt: So wurden zwei Vögel darauf trainiert, sich Farben so genau wie möglich zu merken, und je nachdem, wie genau sie bei der Auswahl waren, erhielten sie unterschiedlich viel Futter. Die Vögel wurden dann vor verschiedene Herausforderungen gestellt, so mussten sich die Dohlen Farben über verschiedene Zeiträume oder mehrere Farben gleichzeitig merken. Die Belohnung für die richtige Farbwiedergabe wurde abgestuft, um die Vögel zu möglichst präzisen Antworten zu motivieren. Dabei nahm die Leistung der Vögel ab, wenn das Arbeitsgedächtnis stärker beansprucht wurde. Die Attraktordynamik scheint ein grundlegender Prozess im Gehirn von Rabenvögeln und Primaten zu sein, um Erinnerungen geschickt in bestimmte Kategorien zu lenken. Die Gedächtnisleistung wird dadurch teilweise verzerrt und damit ungenauer, aber insgesamt verbessert. Dieses Prinzip funktioniert in den Gehirnen von Rabenvögeln und Primaten gleichermaßen gut, obwohl sich ihre evolutionären Wege deutlich unterscheiden.

    Anmerkung: Der Begriff Attraktordynamik bezieht sich allgemein auf das Verhalten von Systemen in der Nähe von Attraktoren. Dieses Konzept wird in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen angewandt, darunter Physik, Biologie, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Informatik. Die Untersuchung der Attraktordynamik kann helfen, komplexe Systeme und ihr Verhalten zu verstehen, insbesondere wenn sie durch nichtlineare Dynamik charakterisiert sind, d.h. Chaos- und Attraktortheorie sind in diesem Zusammenhang wichtige Werkzeuge zur Beschreibung und Analyse komplexer Systeme. In der Chaos- und Nichtlinearen Dynamik ist ein Attraktor ein Zustand oder eine Gruppe von Zuständen, zu denen ein dynamisches System im Laufe der Zeit tendiert, wobei feste (stabile) Attraktoren, periodische Attraktoren und chaotische Attraktoren unterschieden werden. Die Attraktordynamik befasst sich dann mit der Analyse und dem Verständnis der Bewegung von Systemen in Richtung dieser Attraktoren, da sich in einem System die Zustände im Laufe der Zeit ändern und sich um bestimmte Punkte oder Strukturen (Attraktoren) gruppieren können. Die Dynamik eines Systems kann verschiedene Muster aufweisen, einschließlich regelmäßiger, periodischer Bewegungen, aber auch chaotisches und scheinbar zufälliges Verhalten.

    Literatur

    Apostel, Aylin, Panichello, Matthew, Buschman, Timothy J. & Rose, Jonas (2023). Corvids optimize working memory by categorizing continuous stimuli. Communications Biology, 6, doi:10.1038/s42003-023-05442-5
    https://news.rub.de/presseinformationen/wissenschaft/2023-12-06-neurowissenschaft-vergleichbare-gedaechtnisstrategien-bei-voegeln-und-menschen (23-12-07)


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