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Parasoziale Interaktion

    Parasoziale Interaktionen bzw. parasoziale Beziehungen  sind abweichende, ersatzweise geübte soziale Verhaltensweisen, wobei ein Akteur mit Individuen oder Gruppen interagiert, die organisatorisch oder technisch fingiert werden und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Wissenssoziologisch fällt eine solche Interaktion in den Bereich der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. Das Konzept der parasozialen Beziehung wurde von Donald Horton und R. Richard Wohl (1956) geprägt, um zu beschreiben, warum Massenmediennutzerinnen sich verhalten, als ob sie in einer sozialen Beziehung zu einer Medienfigur stehen würden. Das Phänomen wurde beobachtet, als das Fernsehen Mitte der 50er Jahre zum Alltagsobjekt wurde, denn Talkshowformate wurden von Anfang an so konzipiert, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sich als Teil der Sendung fühlen konnten.

    Parasoziale Interaktion steht für einen spezifischen Modus, mit dem sich Rezipienten zu den in den Medien dargestellten Akteuren in Beziehung setzen, denn während Identifikation und Imitation in der Regel den Wunsch der Menschen ausdrücken, einer Medienperson ähnlich zu sein, beschreibt die parasoziale Interaktion das Phänomen einer gleichsam partnerschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser. Typisch für eine solche Art des Umgangs mit medialen Bezugspersonen ist, dass die dabei entwickelte Beziehung weitgehend im Imaginären verbleibt und keine wechselseitige Auseinandersetzung (Reziprozität) zwischen Rezipient und Medienakteur erlaubt. Eine quasi-reale Beziehung stellt diese Konstellation aber dar, sofern sie auf einer impliziten Übereinstimmung zwischen der Medienperson und dem Rezipienten beruht, so zu tun, als sei die Beziehung nicht medial vermittelt, sondern tatsächlich gelebt.

    Da aktuell reale Beziehungsnetze immer brüchiger werden und es teilweise zur Substitution menschlicher Beziehungspartner durch maschinell generierte kommt, beschäftigen sich manche Forscherinnen und Forscher schon mit der Frage, ob parasoziale Gegenüber überhaupt richtige Beziehungspartner sind oder ob sich hier eine Virtualisierung des Menschseins abzeichnet.

    Parasoziale Beziehungen können unter bestimmten Umständen der mentalen Gesundheit mancher Menschen sogar gut tun, denn Menschen als soziale Lebewesen versuchen bekanntlich stets, soziale Verbindungen herzustellen, selbst wenn sie jemanden nur über einen Bildschirm sehen, versuchen sie instinktiv, eine Bindung zu dieser Person aufzubauen. Zwar ist den Medienkonsumentinnen und -konsumenten bewusst, dass eine solche Beziehung eine Illusion ist und nur in ihrer Vorstellung existiert, trotzdem reagieren sie auf die Situation aber so, als ob sie real wäre. Vor allem Menschen mit geringem Selbstwertgefühl können aus parasozialen Beziehungen Vorteile ziehen, die sie in normalen Beziehungen nicht erhalten. Für diese Menschen kommt hinzu, dass bei diesen einseitigen Beziehungen ein geringes bis gar kein Risiko besteht, von der anderen Person abgewiesen zu werden. Dadurch haben Menschen mit geringem Selbstwertgefühl die Möglichkeit, ihre Selbstzweifel zu reduzieren und sich ihrem idealen Selbst näher zu fühlen.

    Die Mediengesellschaft verändert nicht nur Kommunikationsumgebungen und -praktiken, sondern sie tangiert auch das Beziehungsleben der Menschen. Medien beeinflussen Beziehungen insofern, als sie z. B. dazu bestimmte Vorstellungen, Bilder und Ideale vermitteln, sie gestalten Beziehungen mit, denn schon mit der Wahl der Kommunikationsform wird ein bestimmter Rahmen gesetzt, denn es macht einen Unterschied, ob man sich über Chat, ICQ oder E-Mail austauscht. Medien konstituieren letztlich neue Formen von Beziehungen, insbesondere dann, wenn z. B. mit virtuellen Charakteren interagiert wird oder wenn Beziehungen online gestiftet und gelebt werden. Solche parasozialen Beziehungen findet man in zahlreichen Rollenspielen in den neuen Medien, wobei diese genutzt werden, um die Spielerinnen und Spieler an das Spiel zu binden. Viele Spieleproduzenten wissen genau, wie wichtig soziale Einbindung für die Menschen ist und stellt sie auf gleich drei Ebenen her: durch Nicht-Spieler-Figuren, über Multiplayer und mit Sharing-Funktionen. Die Möglichkeit, andere zu besuchen oder mit anderen zu interagieren, geben den Spielerinnen das Gefühl, sozial eingebunden zu sein. Durch Nicht-Spieler-Figuren werden „Freunde“ eingebaut, auch wenn man ganz allein spielt. In solchen Spielen interagiert ein Akteur mit Individuen oder Gruppen, die organisatorisch oder technisch fingiert werden und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen (Stangl, 2020).

    Auch die Attraktivität mancher Vorabendserien und die Konstanz ihrer Rezeption beruht vor allem auf der Möglichkeit für die ZuschauerInnen, zu den Figuren dieser Daily Soaps parasoziale Beziehungen aufzubauen, da diese Serien die Menschen nicht nur unterhalten wollen, sondern manchmal lebenspraktische Informationen und vor allem auch Vergleichsmöglichkeiten und damit scheinbar Orientierung anbieten.

    Parasoziale Beziehungen haben vor allem im Social Media Kosmos große Bedeutung, wobei etwa Instagram-Storys von Influencerinnen den Menschen eine gewisse Vertrautheit suggerieren. Diese gewähren Followerinnen Einblicke in ihr Privatleben, die manche Menschen vielleicht höchstens mit ihren engsten, echten Freundinnen und Freunden teilen würden, d. h., man erfährt von Ernährungsunverträglichkeiten, weiß, welche Kosmetikprodukte diese fremde Person nutzt oder wie es gerade um ihr Liebesleben steht. Wer solche Instagram-Storys konsumiert, kann schnell den Eindruck gewinnen, diese Menschen bestens zu kennen, obwohl man mit ihnen nie persönlich in Kontakt stand bzw. auch nicht stehen wird, wobei allerdings durch Likes und Kommentare die Möglichkeit besteht, auf deren Beiträge zu reagieren. Studien zeigen, dass Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl parasoziale Beziehungen bevorzugen, denn das Risiko, von einer Internet-Persönlichkeit abgelehnt zu werden, ist eher gering bis gar nicht vorhanden, wobei in manchen Fällen solche Beziehungen bloß als eine Art Pause von Beziehungen des realen Lebens angesehen werden.

    Aus fachwissenschaftlicher und insbesondere psychologischer Sicht ist zu betonen, dass wenn man parasoziale Interaktion als eine besondere Form der menschlichen Interaktion versteht, so ist die Frage nach ihrem Verhältnis zur sozialen Interaktion zentral, und ist dann kein defizienter Ersatz, sondern ein eigenständig zu definierendes Phänomen. Das wird umso realistischer, als sich durch die Virtualisierung der Beziehungen durch neue Medien eine beinahe explosionsartige Erweiterung dieses Konzepts herauskristallisiert.

    Anmerkung: Agnostisch betrachtet fällt unter eine solche parasoziale Interaktion auch das Gebet darunter, das innere Gespräch mit Verstorbenen oder mit Gottheiten oder Schutzengeln.

    Literatur

    Hartmann, Tilo, Klimmt, Christoph & Vorderer, Peter (2001). Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren. Medien-und Kommunikationswissenschaft, 49, 350–369.
    Horton, Donald & Wohl, R. Richard (1956). Mass communication and para-social interaction: Observations on intimacy at a distance. Psychiatry, 19, 215-229.
    Stangl, W. (2019). Warum sind Simulationsspiele so faszinierend? ☀ bemerkt.
    WWW: https://bemerkt.stangl-taller.at/warum-sind-simulationsspiele-so-faszinierend/ (2019-05-07)
    https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-91158-8_43 (19-05-07)
    https://www.researchgate.net/publication/226613082_Parasoziale_Interaktion (22-03-03)


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