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Cardillac-Syndrom

    Das Cardillac-Syndrom bezeichnet in der Psychologie das Phänomen, dass sich ein Künstler nicht von seinem Werk trennen kann. Künstler müssen sich aber, um von ihren Werken leben zu können, von diesen trennen, doch fällt ihnen das oftmals sehr schwer, da ihre Kunstwerke wichtige Teile ihrer Identität darstellen. Bei einem Verkauf geht subjektiv betrachtet ein Teil von ihnen selbst verloren, sodass jedes Kunstwerk direkten Einfluss auf den Künstler selbst hat. Cardillac ist einem wohl angeborenen Trieb unterworfen, den er aber zunächst zu unterdrücken weiß, doch wird dieser aber manchmal so groß, dass er mit Gewalt an die Oberfläche gelangt und Cardillac zum Mörder macht. Wenn Cardillac den Schmuck seinem rechtmässigen Käufer übergibt, ist er voll sichtlicher Unruhe und diese Unruhe ist schlussendlich der Auslöser für sein mörderisches Verhalten. Daher wollte der Goldschmied René Cardillac (siehe unten) nicht, dass sich andere Menschen mit seinem Schmuck zeigen, und ermordete daher die Käufer, um den Schmuck wieder zu erlangen. Heute behelfen sich manche Künstler vielfach mit dem sorgfältigem Führen von Erwerberlisten, gelegentlich auch vertraglichen Rückkaufsrechten, wobei etwa Arnulf Rainer sich stets das Recht vorbehält, ein verkauftes Werk jederzeit aufsuchen und ändern zu dürfen.

    Psychoanalytisch kann man das Phänomen als Fixierung in der anale Phase betrachten, in der das Ausscheidungsorgan und seine Entleerung libidinös besetzt sind. In der Theorie Sigmund Freuds wird dies mit Geboten und Verboten der Eltern in Verbindung gebracht, wobei es um das Zurückhalten der Exkremente geht, bei dem ein Kind seinen eigenen Willen, gegen die Gebote der Eltern durchsetzen kann. Ein Kind ist in diesem Lebensabschnitt zunehmend in der Lage, seine Darmentleerung willentlich zu steuern, d.h., den Kot entweder zurückzuhalten oder loszulassen, was ihm eine neue Weise des Lustgewinns ermöglicht. In diesem körperlichen Vorgang manifestiert sich das Grundmodell einer allgemeinen Lebensgebärde, nämlich der Modalität des Besitzens und Hergebens. Tatsächlich stellt sich dem Menschen als einem Wesen, das aufnimmt und einverleibt, stets auch die Aufgabe zu entscheiden, was und wieviel behalten und was ausgeschieden bzw. losgelassen werden soll. Das betrifft sowohl materielle Güter wie beim Goldschmied Cardillac als auch psychische Verhaftungen und geistige Besitztümer.

    Der Name Cardillac-Syndrom leitet sich vom Namen des Goldschmieds in der Novelle Das Fräulein von Scuderi von E. T. A. Hoffmann ab, und das von einer rätselhaften Mordserie im Paris des 17. Jahrhunderts handelt, um deren Aufklärung sich die französische Schriftstellerin Madeleine de Scudéry bemüht, wobei diese Erzählung als erste deutschsprachige Kriminalnovelle gilt. Für E. T. A. Hoffmann ist der Goldschmied Cardillac dabei der Prototypen des Künstler-Verbrechers. Bekannt ist diese Geschichte vor allem auch durch Paul Hindemiths gleichnamige Oper.

    Literatur

    Hoffmann, E. T. A. (1969). Das Fräulein von Scuderi. Stuttgart: Reclam.


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