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zirkadiane Rhythmen

    Zirkadiane Rhythmen – auch circadiane Rhythmik – sind innerorganismische physiologische Rhythmen, die den Organismus auf täglich wiederkehrende Phänomene einstellen, etwa der Schlaf-Wach-Rhythmus. Zu diesen Prozessen im 24-Stunden-Rhythmus gehören z. B. die Produktion bestimmter Hormone wie des Serotonins, die Regulation der Körpertemperatur, der Kaliumausscheidung, des Blutdrucks und des Schlafs. Der Begriff wurde 1959 von Franz Halberg eingeführt.

    Der wichtigste äußere Zeitgeber für den zirkadianen Rhythmus ist der Wechsel von Hell- und Dunkelperioden. Das neuronale Zentrum der zirkadianen Rhythmik, der also angeborene endogene Zeitgeber, sitzt im suprachiasmatischen Kern des Hypothalamus, der Efferenzen aus der Retina erhält, ihn also ohne Umschaltung mit Helligkeitsinformationen versorgen. Andere hypothalamische Kerne, Hypophyse, Zirbeldrüse, Septum, die aktivierenden und REM-Schlaf erzeugenden Regionen des Hirnstamms, Rückenmark und die cholinergen basalen Strukturen des Vorderhirn erhalten ebenfalls Efferenzen des suprachiasmatischen Kerns des Hypothalamus, der wiederum  über die Freisetzung von Hormonen und die rhythmische Entladung seiner Neurone anderen Strukturen den endogenen Rhythmus vorgibt. Zirkadiane Rhythmen müssen trotz des genetisch festgelegten Kerns allmählich entwickelt werden, was zu den frühen Entwicklungsaufgaben eines Säuglings gehört.

    Allgemeiner Hinweis zu Rhythmen: Zahlreiche Rhythmen bestimmen das Leben des Menschen, etwa in Form der Jahreszeiten, dem Tagesverlauf, in den Frequenzen des Gehens oder Laufens, aber auch beim Herzschlag und bei der Atmung. Einige Rhythmen werden von außen gesteuert, andere intern von Neuronensystemen erzeugt und organisiert, ein Neuronencluster im Zwischenhirn etwa schwingt im Tag-Nacht-Rhythmus, spezialisierte neuronale Netzwerke im Hirnstamm und Rückenmark sind weitere zentrale Rhythmuserzeuger und lassen die Arme und Beine im Wechsel vor und zurück schwingen, und bringen so das Grundmuster des Gehens hervor, und zwar weitgehend unabhängig von der Steuerung durch die Großhirnrinde.

    Ein wichtiges Netzwerk im hinteren Hirnstamm erzeugt den Rhythmus von Einatmen und Ausatmen, wobei einige Neuronen das Einatmen steuern, andere die Pause nach dem Einatmen, in der man etwa zu sprechen beginnt, und eine weitere Gruppe organisiert schließlich das Ausatmen. Dabei steuert das Gehirn nicht nur die Atmung, sondern die Atmung beeinflusst auch weitere Funktionen des Gehirns. Beim Einatmen wird nämlich nicht nur die neuronale Aktivität innerhalb der Riechareale des Gehirns erhöht, sondern gleichzeitig werden auch die Aktivitäten zweier Areale des limbischen Systems koordiniert: in der Amygdala, die an der Angstempfindung beteiligt ist, und im Hippocampus, der Erinnerungen organisiert. Dabei synchronisiert Einatmen diese Gehirnregionen, während beim Ausatmen diese Synchronisierung dagegen nachlässt. Bewusst langsam und tief zu atmen, beruhigt und hebt die Stimmung, etwa bei einer Form der Achtsamkeitsmeditation, bei welcher man die Aufmerksamkeit auf den Atem richtet, um negative Emotionen zu dämpfen.

    Neuere Untersuchungen (Hoyle et al. 2017) zeigen, dass die innere Uhr im Nucleus suprachiasmaticus auch weitere Körperfunktionen steuert, wobei aber auch manche Zellen auch ihre eigene Uhr besitzen. Das gilt etwa für Fibroblasten, bei denen sich der Tag-Nacht-Wechsel in der Genaktivität spiegelt. Fibroblasten sind dabei für die Wundheilung bedeutsam, denn bei einer Verletzung sammeln sich die Zellen in der Wunde und bilden den Ausgangspunkt für die neu wachsende Haut. Dabei wirkt sich der Tag-Nacht-Rhythmus auf die Heilung aus, sodass sich am Tag doppelt so viele Fibroblasten in einer neuen Wunde sammeln als in der Nacht. Nachgewiesen wurde das im Experiment an Mäusen, aber auch eine Auswertung von Daten bei Brandverletzungen zeigte, dass nächtliche Verbrennungen im Durchschnitt um elf Tage länger brauchen, um vollständig zu heilen, wobei die Heilung tagsüber um etwa sechzig Prozent schneller erfolgt.

    Nach Mure et al. (2019) besitzen Menschen mindestens drei unterschiedliche Typen von Lichtsensoren in den Augen, die eine wichtige Rolle für den menschlichen Schlaf-Wach-Rhythmus spielen. Diese Lichtsensoren reagieren unterschiedlich schnell auf Lichtreize, bleiben länger oder kürzer angeschaltet oder werden nur bei bestimmten Helligkeiten aktiv, wobei diese Lichtsensoren nicht nur mit dem Gehirn in Verbindung stehen, sondern sie arbeiten teilweise auch eng mit den anderen Zellen der Retina zusammen, wodurch sie den von den Stäbchen und Zapfen vermittelten Bildern ergänzende Informationen über Kontrast und Helligkeit hinzufügen. Das kann auch die Lichtempfindlichkeit der Ganglienzellen von manchen Blinden erklären, denn bei diesen passt sich trotz nicht funktionierender Zapfen und Stäbchen und somit de facto ohne Sehfähigkeit die innere Uhr der Betroffenen an den natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus an, d. h., diese Menschen müssen das Licht demnach irgendwie spüren.

    Untersuchungen von Khan et al. (2023) legen nahe, dass Schichtarbeit negative Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen bei Erwachsenen mittleren Alters und älteren Erwachsenen hat. Es ist bekannt, dass Schichtarbeit, insbesondere Wechselschichtarbeit und Nachtschichtarbeit, mit einer Reihe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Verbindung gebracht wird, aber ihre möglichen Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen wurden bisher kaum untersucht. In dieser Studie wurden die Zusammenhänge zwischen der Belastung durch Schichtarbeit und Indikatoren kognitiver Beeinträchtigung im Vergleich zu normativen Standards in der kanadischen Bevölkerung untersucht. Diese Querschnittsanalysen wurden mit der Basisdatenbank der Canadian Longitudinal Study on Aging durchgeführt, wobei die Exposition gegenüber Nachtschichtarbeit sowohl in der aktuellen als auch in der letzten Beschäftigung mit einer allgemeinen kognitiven Beeinträchtigung verbunden war. Die bereichsspezifischen Messungen zeigten eine Beeinträchtigung der exekutiven Funktionen im Vergleich zu Tagarbeitern, woraus geschlossen werden kann, dass eine Störung des zirkadianen Rhythmus durch Schichtarbeit negative Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen bei Erwachsenen mittleren und höheren Alters hat.

    Jüngst hat man am Mausmodell eine spezielle Zellgruppe im Gehirn identifiziert, die für Verschiebungen des Schlaf-Wach-Rhythmus durch Psychostimulanzien (betroffen waren dabei Dopamin-Rezeptoren) verantwortlich ist. Man fand eine molekular genau definierte Zellpopulation des Hypothalamus, die durch ihre Aktivität den Effekt der Psychostimulanzien reguliert, wobei diese vermutlich einen zentralen Steuerungspunkt im neuronalen Schaltkreis darstellt, der die Kontrolle des zirkadianen Rhythmus im Gehirn bestimmt. Dadurch können Psychostimulanzien auch während Schlafperioden eine Steigerung von Wachsamkeit und Aktivität bewirken.

    Literatur

    Halberg, F. & Stephens, A. N.  (1959). Susceptibility to ouabain and physiologic circadian periodicity. Proc. Minn. Acad. Sci., 27, 139–143.
    Hoyle, Nathaniel P., Seinkmane, Estere, Putker, Marrit, Feeney, Kevin A., Krogager, Toke P., Chesham, Johanna E., Bray, Liam K., Thomas, Justyn M., Dunn, Ken, Blaikley, John & O’Neill, John S. (2017). Circadian actin dynamics drive rhythmic fibroblast mobilization during wound healing. Science Translational Medicine, doi: 10.1126/scitranslmed.aal2774.
    Mure, Ludovic S., Vinberg, Frans, Hanneken, Anne & Panda, Satchidananda (2019). Functional diversity of human intrinsically photosensitive retinal ganglion cells. Science, 366, 1251-1255.
    Khan, Durdana, Edgell, Heather, Rotondi, Michael & Tamim, Hala (2023). The association between shift work exposure and cognitive impairment among middle-aged and older adults: Results from the Canadian Longitudinal Study on Aging (CLSA).Public Library of Science, 18, doi:10.1371/journal.pone.0289718.
    Korchynska, Solomiia, Rebernik, Patrick, Pende, Marko, Boi, Laura, Alpár, Alán, Tasan, Ramon, Becker, Klaus, Balueva, Kira, Saghafi, Saiedeh, Wulff, Peer, Horvath, Tamas L., Fisone, Gilberto, Dodt, Hans-Ulrich, Hökfelt, Tomas, Harkany, Tibor & Romanov, Roman A. (2022). A hypothalamic dopamine locus for psychostimulant-induced hyperlocomotion in mice. Nature Communications, 13, doi_10.1038/s41467-022-33584-3.
    Stangl, W. (2022, 12. Oktober). Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus durch Psychostimulanzien. Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/4352/verschiebung-des-schlaf-wach-rhythmus-durch-psychostimulanzien.
    Stangl, W. (2023, 29. September). Schichtarbeit und ihre Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen – arbeitsblätter news.
    https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/schichtarbeit-und-ihre-auswirkungen-auf-die-kognitiven-funktionen/

     


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