Das tabula-rasa-Modell beschreibt die Vorstellung, dass ein Mensch ohne jegliche genetisch determinierte oder prädisponierte Verhaltensweisen bzw. Verhaltensprogramme zur Welt kommt und seine Verhaltensentwicklung ausschließlich durch individuelle Lernprozesse bestimmt wird. Diese einseitige Annahme wurde besonders durch die Vertreter des Behaviorismus vertreten, ist heute überwunden und wird durch eine Betrachtung ersetzt, die genetisch vorgegebene und individuell erworbene Komponenten in ihrer gegenseitigen Vernetzung und Bedeutung für aktuelles Verhalten sowie für die individuelle Verhaltensentwicklung zu analysieren.
Neuere Forschungen belegen sogar, dass soziale Ungleichheiten, soziale Mobilität und soziale Integration ebenso substantiell genetisch beeinflusst sind wie Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten. Zwar folgt die sozialwissenschaftliche Forschung derzeit noch weitgehend der tabula rasa-Metapher, doch es zeigt sich, dass die Wissenschaft auf diese Metapher eher verzichten sollte und die genetischen Einflüsse etwa bei der Erklärung von Lebenschancen von Menschen zu berücksichtigen.
Schon John Locke sah den Menschen als tabula rasa, der der Erziehung unausweichlich bedarf, um Mensch zu werden, wobei die freie Entwicklung und Ausbildung der Persönlichkeit gefördert werden sollte. Auch in John B. Watsons Vorstellung war der Mensch eine Art tabula rasa, der im Verlauf seines Lebens durch Konditionierungsprozesse und durch die Bildung von Gewohnheiten eine Persönlichkeit ausbildet. Er verstand die menschliche Persönlichkeit also als das Endprodukt von Gewohnheitssystemen bzw. Lernerfahrungen und hielt etwa die psychoanalytische Deutung von Ängsten als unbewusste Konflikte für falsch.
Lange war man auch der Meinung, dass sich Keimzellen im Stadium der Befruchtung wie eine epigenetische tabula rasa verhalten, doch heute wird spekuliert, dass z.B. Veränderungen der Lebensweise (Ernährung, Bewegung, Ortswechsel) ein epigenetisches Muster bewirken könnten, das an die nächste Generation weitergegeben werden kann. Biologen haben in den letzten Jahren zahlreiche molekulare Mechanismen entdeckt, die zu einem stärkeren oder schwächeren Ablesen der Information in den Genen führen, ohne dass dabei die dort gespeicherte Information verändert wird.
Literatur
Stangl, W. (2014). Pädagogik Erziehungswissenschaft – Die Wissenschaft. [werner stangl]s arbeitsblätter.
WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/WISSENSCHAFTPAEDAGOGIK/ (2014-08-03).
Stangl, W. (2014). Stichwort: ‚Epigenetik‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/1245/epigenetik/ (2014-08-03)
https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/tabula-rasa-konzept/12706 (12-11-21)
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