Unter dem Begriff Messie-Syndrom oder „Vermüllungssyndrom“ wird seit ca. 1985 ein Phänomen zusammengefasst, bei dem Menschen ihre Wohnung durch die Anhäufung von wertlosen, unbrauchbar gewordenen Gegenständen unbewohnbar machen, und dadurch von Kündigung, Zwangsräumung und Unterbringung in einem Heim oder einer Institution bedroht sind. Das Wort „Messie“ ist abgeleitet von mess (englisch für Chaos, Unordnung, Schwierigkeit). Messies leiden darunter, insbesondere im privaten Bereich, keine zeitliche und oder räumliche Ordnung herstellen oder halten zu können, in der sie sich wohl fühlen. Dieses „Unwohlsein“ kann durchaus die lebenseinschränkenden Ausmaße einer Krankheit annehmen.
Sammeln ist nicht prinzipiell krankheitswertig, denn Vorratshaltung wird in der Gesellschaft oft sogar positiv bewertet, doch wenn subjektiv ein hoher Leidensdruck besteht, wenn die Wohnung ihre Funktionalität verliert, wenn Körperpflege, Kochen oder das Empfangen von Besuch nicht mehr möglich ist, ist Krankheitswertigkeit erreicht. Auch der Wegwerf-Wahn spielt Betroffenen in die Hände, denn sie häufen manchmal Dinge an, die andere Menschen nicht mehr wollen. Auch emotionale Bindungen zu Dingen sind häufig ein Grund, warum exzessiv gesammelt wird. Oft sind auch Menschen betroffen, die Armut noch erlebt haben und deshalb nur schwer loslassen können. Zugrunde liegt diesem Phänomen eine bisher noch kaum vollständig verstandene Unfähigkeit der Betroffenen, brauchbar und unbrauchbar zu unterschieden und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Während es scheint, dass weniger schwer Betroffene von einem bereits geheilten „Messie“ bei der Räumung der Wohnung bzw. Behebung der Unordnung Unterstützung erfahren können, sind die schweren Fälle ohne Eingreifen von Behörden, Justiz und Müllabfuhr nicht beeinflussbar.
Die Unordnung von Messies ist mehr als Schlamperei, denn Messies haben das Gefühl, in ihrem Leben unterzugehen, sodass Entrümpelungskommandos allein nicht helfen. Messies sammeln in der Regel für andere unbrauchbare, für sie aber subjektiv sehr brauchbare und auch Dinge, wollen diese auf Grund einer subjektiven Überbewertung nicht wegwerfen, und verlieren eines Tages den Überblick darüber. Messies haben meist auch große Schwierigkeiten damit, ihren Alltag räumlich und zeitlich zu strukturieren, d.h., sie sind häufig impulsiv und leicht ablenkbar, kommen zu spät und können ihre Energien nicht kontrollieren, sodass sich ihr inneres Chaos schließlich in einem äußeren widerspiegelt. Manche Messies wollen zwar aufräumen, können aber nicht, wobei hinter diesem Verhalten keine Faulheit steckt, denn im Grunde sind Messies Perfektionisten, vollbringen etwa im Beruf oft große Leistungen, sind aber mit den kleinen Aufgaben des Alltags völlig überfordert. Manchmal ist dieses Syndrom Teil anderer psychischer Störungen wie etwa einer Demenz, Psychose oder Depression, wobei in seltenen Fällen auch Süchte und Zwangserkrankungen damit einhergehen.
Eine Betroffene schildert ihre Situation: Ich habe immer schon gerne gesammelt. Zeitungsausschnitte, Liedernoten, Konzertkarten, Einladungen, all das ordnete ich in jungen Jahren liebevoll ein, sortierte und erfreute mich an diesen Sammlerstücken. Der Einschnitt kam mit der Scheidung: Mit einer meiner Töchter zog ich aus einem großen Haus in eine 60-Quadratmeter-Wohnung. Die Sammelleidenschaft entglitt mir. Vor Jahren war Besuch noch möglich. Doch als zuerst das Sofa und dann der zweite Stuhl zugewachsen waren, konnte man nirgends mehr sitzen. Das Wohnen ist sehr mühsam geworden. Überall muss man über Stapel drübersteigen. In meiner Wohnung zu leben, ist eine Katastrophe. Freiwillig lasse ich niemanden mehr in mein Appartement. Wenn ein Handwerker ins Haus kommen muss, bedeutet das für mich tagelange Vorbereitungsarbeiten. Doch ich räume vorne weg, und hinten wächst es wieder zu. Weil die Wohnung bereits aus allen Nähten platzt, lagere ich immer wieder stapelweise Sachen in öffentlichen Teilen des Mehrfamilienhauses und ecke damit bei anderen Bewohnern an. Auch dass meine erwachsenen Kinder, die mittlerweile in Wien wohnen, nicht bei mir übernachten können, bedauere ich. Sorge macht mir auch, was nach meinem Tod einmal passiert, denn ich möchte die Wohnung einmal meiner Tochter vermachen. Aber da erbt sie ein Problem. Ich mache eine Einzeltherapie, besuche schon länger eine Selbsthilfegruppe und gehe mittlerweile in eine geschlossene Therapiegruppe, wo zehn Menschen regelmäßig an ihrem Problem arbeiten und Erfahrungen austauschen.
Krankheitswertig wird das Messe-Syndrom dann, wenn bei den Betroffenen der soziale Lebenskontext so eingeengt ist, dass sie darunter zu leiden beginnen. Allerdings dauert es meist sehr lange, bis Messies ihr eigenes Chaos nicht mehr ertragen können, d.h., einen Leidensdruck verspüren, etwa deshalb, weil ihnen die Freunde oder die Familie ständig hinterher räumt.
Die Ursachen des Syndroms werden häufig mit Bindungsstörungen erklärt, die in den ersten Lebensjahren durch mangelnde Zuwendung entstanden sind, manchmal auch durch tief sitzende Trennungs- und Verlustängste, die sie schon früh durch Horten von kleinen Dingen kompensieren wollten, wobei sie allmählich emotionale Beziehungen zu den von ihnen angesammelten Gegenständen aufbauen. Dinge können schließlich nicht wehtun, laufen auch nicht weg und können auch nicht enttäuschen, was ihnen ein Gefühl von Sicherheit gibt. Die gesammelten Gegenstände sind für Messies wie Freunde oder Familienangehörige, sodass sie Zwangsräumungen als tragischen Verlust wenn nicht gar als Mord an ihren Liebsten erleben, was bis zum Suizid führen kann.
Eine häufige Ursache ist auch, dass Betroffene früh die Erfahrung gemacht haben, zu etwas gezwungen worden zu sein, d. h., diese Menschen haben früh gelernt, alles in vorgegebenen Bahnen zu regeln und haben keine eigenen Strategien für ihren Alltag entwickelt. Sie können daher keine Entscheidungen darüber treffen, etwas aufzuheben oder wegzuwerfen. Nicht selten war die Familie der Betroffenen materiell gut situiert, aber die emotionale Zuwendung hatte gefehlt. Da sie emotional tief im Stich gelassen wurden, versuchen sie das durch materielle Dinge zu kompensieren, sodass es noch Jahrzehnte später schwerfällt, sich von Gegenständen zu trennen.
Eine Therapie von Messies darf sich daher nicht allein auf eine Verhaltenstherapie beschränken, denn das würde die emotionale Seite des Problems völlig ausblenden und hätte nur kurzfristigen Erfolg. Wichtig ist, dass die äußere Verhaltensänderung langfristig zu einer Umstrukturierung des inneren Chaos führt, etwa indem man gemeinsam mit den Betroffenen Bereiche sucht, die von nun an nicht mehr vollgemüllt werden dürfen, wobei man diese Bereiche dann Schritt für Schritt auf die gesamte Wohnung ausdehnen kann. Wenn die Messies merken, dass sie sich wieder selbst kontrollieren und auf sich verlassen können, erlangen sie nach und nach ihren Selbstwert zurück, und können sich letztlich selbst als wertvoll annehmen.
Die Psychologin Marie Kaiser weist darauf hin, dass schnelles Entrümpeln zu neuen Depressionen bei Messies führen kann und sogar manchmal Selbstmordgedanken auslöst. Sie plädiert daher für viel Geduld und gemeinsames Aufräumen mit den Betroffenen: „Wenn eine fremde Person die Wohnung aufräumt und entrümpelt, ändert die leere Wohnung noch nichts an der dahinter stehenden Problematik. Es werden keine Verlustängste aufgearbeitet. Die werden eher noch vergrößert, weil die Sachen auf einmal weg sind. Es wird keine Kondition zum Aufräumen geschaffen, weil die Person nicht selber aufräumt. Kondition heißt einfach: körperlich so einen Termin durchzustehen. Trotz Rückenschmerzen zum Beispiel, trotz Atemproblemen. Die Ängste auszuhalten, die dabei aufkommen, wenn zum Beispiel schwierige Amtsschreiben sortiert werden müssen. Oder Sachen von zum Beispiel verstorbenen Personen sortiert werden. Das kann man nur erlernen und wieder erlernen, die Sachen zu sortieren, wenn man es selber macht.“ Es macht daher auch keinen Sinn, bei Betroffenen einfach mit dem Aufräumen und Ausmisten zu beginne, denn wenn die oder der Betroffene es selbst nicht möchte, ist das eine Verletzung der Intimsphäre und es kommt zu Konflikten. Wenn Angehörige helfen möchten, etwas zu verändern, sollten sie vorsichtig und freundlich ein Gespräch suchen und nicht einfach über die Unordnung schimpfen.
Übrigens will bei der nächsten Europawahl 2019 eine Messie-Partei Betroffenen eine Stimme geben. Michael Ströter hat mit Mitstreitern diese Messie-Partei gegründet, wobei sein erklärtes Ziel ist, bei den Europawahlen antreten zu dürfen. Dafür müssen die Unterschriften von 4000 Unterstützern gesammelt werden. Die Ziele der Partei: Das Messie-Syndrom soll als eigenständige Krankheit anerkannt werden. Die Forschung zum Messie-Syndrom soll gefördert werden. In Deutschland möchte die Messie-Partei in den Gesundheitsämtern Beratungsstellen für Betroffene des Messie-Syndroms schaffen. Das Messie-Syndrom soll in das Studium der Psychologie und in die Ausbildung von Heilpraktikern mit Fachgebiet Psychologie aufgenommen werden. Die Partei fordert auch die Förderung der Fortbildung aller Menschen zum Thema Messie-Syndrom, die beruflich mit Betroffenen zu tun haben. Gefördert werden soll auch die Aufklärung der Öffentlichkeit über das Messie-Syndrom unter anderem durch Vorträge, Buchveröffentlichungen, Radio- und Fernsehberichte und Artikel in Printmedien. Informationen auf https://www.messie-partei.de/.
Literatur
Stangl, W. (2003). Das „Messie“-Syndrom. [werner stangl]s arbeitsblätter].
WWW: https://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/SUCHT/Messie.shtml (11-01-03)
Faber, M. (2011). Messies wollen aufräumen, schaffen es aber nicht.
WWW: http://www.welt.de/gesundheit/article13742873/Messies-wollen-aufraeumen-schaffen-es-aber-nicht.html (11-12-01)
OÖN-Beilage Gesundheit vom 13. November 2019.