In der pädagogischen Literatur werden verschiedene Transferformen des Lernens unterschieden. So findet man häufig die Unterscheidung nach dem Ergebnis der Transferwirkung: Positiver Transfer erleichtert das nachfolgende Lernen, während negativer Transfer das nachfolgende Lernen erschwert bzw. stört. Ellis (1967, S. 3) unterscheidet noch eine dritte Form des Lerntransfers, den Nulltransfer (zero transfer), wenn kein Effekt vorliegt bzw. nicht festgestellt werden kann.
Der negative Transfer wird auch als Lernhemmung (interference, inhibition) bezeichnet, etwa als proaktive oder retroaktive Hemmung. Während die proaktive Hemmung das Behalten oder die Wiedergabe des späteren Inhalts stört, wird von retroaktiver Hemmung dann gesprochen, wenn eine Beeinträchtigung eines früher gelernten Inhalts durch den späteren Inhalt erfolgt.
Der Transfereffekt tritt besonders dann ein, je ähnlicher sich die Situationen sind. Auch wenn die Situation neu ist, aber ihre Bewältigung dieselbe Reaktion erfordert, setzt der Transfer ein. Ein Transfereffekt ist das Prinzip der Reizgeneralisierung des klassischen Konditionierens. Beispielsweise wird ein Kind, das von einem großen Hund gebissen wurde, wahrscheinlich auch vor einem kleineren Hund Furcht empfinden. Ein pädagogisch wichtiger Transfereffekt tritt z.B. beim Lernen von Regeln auf, wobei verbale Instruktionen als Regeln dienen können, die unser Verhalten in vielen verschieden neuen Situationen leiten.
Die Annahmen der formalen Bildung mit so umfassenden und gleichsam automatischen Übertragungswirkungen wurden insbesondere von Broyler, Thorndike, Woodyard (1927) aufgrund experimenteller Untersuchungen angezweifelt. Mit Hilfe von Tests wurde der Einfluß von Gelerntem in verschieden Fächern auf die Intelligenz untersucht, wobei konkret der IQ-Zuwachs von Schülern untersucht wurde, die sich nur in der Wahl eines Fachs unterschieden. Allerdings hatte keines der in seiner Untersuchung erfaßten Unterrichtsfächer hatte einen wesentlichen Transfereffekt. Diejenigen Schüler jedoch, die bereits erhebliche intellektuelle Fähigkeiten besaßen, erzielten den größten IQ-Zuwachs, unabhängig davon, welches Fach sie wählten. „The observed difference in gain is thus less than should have been produced by the difference in the accompanying subjects. So there seems to be no essential superiority of Latin to French in respect of influence upon gain in the tests used (Broyler, Thorndike, Woodyard, 1927, S. 403).
Nach dieser Theorie der identischen Elemente (Thorndike) findet Lerntransfer von einer Aufgabe zu einer anderen nur insoweit statt, als in beiden Aufgaben gemeinsame Wahrnehmungs- und Verhaltenselemente vorhanden sind. Allerdings ergab sich gerade aus der Bestimmung solcher identischen Elemente zahlreiche Probleme. Thorndike selbst machte wiederholt darauf aufmerksam, daß Transfereffekte oft schwer voraussagbar sind, weil man identische Elemente verkennen oder entscheidende differentielle Elemente übersehen könne. Eine Verbesserung dieser Theorie versuchte Osgood mit Hilfe eines Ähnlichkeitskontinuums auf der Basis der Anzahl der identischen Elemente um den „Transfereffekt als Funktion der Reiz- und Reaktionsähnlichkeit darzustellen. Judd kritisierte als einer der ersten die sehr spezifische Interpretation des Transfers in der Theorie der identischen Elemente. Judd war der Auffassung, dass diese keineswegs die alleinige Erklärung für Transferphänomene darstellt. Er führte das bekannte Unterwasserexperiment durch und stellte fest, dass die Kenntnis der optischen Brechungsgesetze durch verallgemeinerte Anwendung sehr rasch zu besseren Resultaten führt als bloßes Versuchen (Flammer 1970, S. 42).
Die heutige Sichtweise des Transferproblems von gelernten Inhalten baut meist auf dem Konzept der Metakognitionen auf. Metakognition ist das Wissen über das eigene Wahrnehmungsystem, das Wissen darüber, was man weiß und das Denken darüber, wie man einen Lernprozess organisiert. Metakognitive Fertigkeiten sind dabei Fertigkeiten zur Selbstüberwachung, die während des Lern- und Unterrichtsprozesses aktiviert werden.
Siehe auch Nahtransfereffekt und Ferntransfereffekt.
Literatur
Broyler, C.R., Thorndike, E. L., Woodyard, E. (1927). A second study of mental discipline in high school studies. J. educ. Psychol., 18, S, 377-404.
Ellis, H.C. (1967). The Transfer of learning. New York: The Macmillan Company.
Flammer, August (1970). Transfer und Korrelation. Weinheim: Beltz.
Judd, Charles H. (1908). The relation of special training to special intelligence. Educational Review, 36, S. 28-42.
Stangl, W. (2019). Transfer beim Lernen – Lerntransfer. [werner stangl]s arbeitsblätter.
WWW: https://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/LERNEN/Lerntransfer.shtml (2019-01-19)