Identitätsentwicklung – identity development – ist ein Prozess, den jeder Mensch durchlaufen muss, wobei Identität vor allem durch Interaktion mit anderen und im Kontext der eigenen Kultur gebildet wird. Identitätsentwicklung umfasst Bereiche der Selbstwahrnehmung wie etwa das Geschlecht, die Arten der Gruppenzugehörigkeit, persönliche Merkmale oder eigene Kompetenzen, die im Laufe der Entwicklung gebildet werden. Die Identitätsfindung ist dabei aus der Sicht der Entwicklungspsychologe eine zentrale Aufgabe der Adoleszenz, sodass der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter die entscheidende Phase für die Entwicklung der eigenen Identität darstellt. Dabei haben neben den Eltern vor allem die Gleichaltrigen und die Kultur während dieser Zeitspanne einen maßgeblichen Einfluss auf die Identitätsentwicklung. Nach der Entwicklungspsychologie haben in dieser Zeit eine sichere Bindung an die Eltern und ein gleichzeitig stattfindender Ablösungsprozess von den Eltern einen entschdidenden Einfluss auf eine gelingende Identitätsentwicklung.
Da die Identitätsbildung als eine lebenslange Aufgabe zu betrachten ist, die ihre Wurzeln in der frühen Kindheit hat, bilden Entwicklungsprozesse der frühen und mittleren Kindheit die Basis der eigenen Identität. Im mittleren und späten Erwachsenenalter treten weitere identitätsbezogene Aspekte in den Mittelpunkt, etwa die berufliche Entwicklung, die Familiengründung oder die Annahme der Elternrolle. Der Prozess der Identitätsfindung impliziert einerseits, dass sich der heranwachsende Mensch mit seinen früheren Selbstdefinitionen auseinandersetzt, um herauszufinden, welche Werte und Inhalte er als eigene behalten oder entwickeln möchte, andererseits spielt auch die Abgrenzung von dem, was der Mensch nicht oder nicht mehr sein will, eine wichtige Rolle.
Streng genommen beginnt Identitätsentwicklung mit der Zeugung, denn zu diesem Zeitpunkt steht die genetische oder chromosomale Identität fest, die den Menschen ein gesamtes Leben über begleiten und seine Persönlichkeit mitbeeinflussen wird. Auch in der Schwangerschaft beeinflussen zahlreiche Umweltfaktoren die weitere Entwicklung, etwa körperlicher oder psychischer Stress, dem die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt ist. Nicht zuletzt werden schon vor der Geburt bestimmte kulturelle Codes wie Sprachmuster oder Geschmacksempfindungen geprägt. Die Bindungsforschung zeigt darüber hinaus, dass die Erfahrungen, die Menschen in der ersten Lebensjahren machen, ganz entscheidend für die Ausprägung der Identität sind.
Psychologen haben untersucht, welche Auswirkungen ein Schuljahr im Ausland für die Identitätsentwicklung bei Jugendlichen hat, denn sie lernen andere Menschen und Kulturen kennen, verbessern ihre Sprachfähigkeiten, werden selbstständiger und sie erleben Identitätskrisen, die sie zwar kurzzeitig erschüttern, schließlich aber nachhaltig stärken. Jugendliche hinterfragen aufgrund solcher neuen Eindrücke ihr Selbstbild und durchleben Identitätskrisen, während denen sich die Schüler nicht unbedingt wohl fühlen, jedoch stellen sich die dabei gemachten Erfahrungen später als positiv und wichtig heraus. Bei einer Vergleichsgruppe konnten solche Effekte nicht festgestellt werden. Bei der Bewertung solcher Ergebnisse muss allerdings berücksichtigt werden, dass die meisten Schüler, die ein Auslandsjahr absolvieren, auch vorher schon offener und extravertierter sind.
Literatur
Erikson, E. H. (1968). Identity: Youth and crisis. New York: Norton.
Greischel, H., Noack, P. & Neyer, F. J. (2018). Oh, the Places You’ll Go! How International Mobility Challenges Identity Development in Adolescence. Developmental Psychology, doi: 10.1037/dev0000595.