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Psychoanalytische Pädagogik

    Die Psychoanalytische Pädagogik befasst sich mit der Anwendung der Erkenntnisse der Psychoanalyse auf Erziehung und Pädagogik, und stellt einen Teilbereich der Bildungswissenschaft dar, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien von Sigmund und Anna Freud, Alfred Adler, August Aichhorn, Siegfried Bernfeld oder Fritz Redl begründet wurde. Die Psychoanalytische Pädagogik vereinigt dabei eine Vielzahl von Versuchen, die Theorie und Praxis der Psychoanalyse für die Pädagogik nutzbar zu machen. Die psychoanalytische Pädagogik  untersucht, wie unbewusste Prozesse, Kindheitserfahrungen und psychische Konflikte das Lernen und Verhalten von Individuen beeinflussen. Die psychoanalytische Pädagogik betont die Bedeutung von frühkindlichen Erfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung und betrachtet die Erziehung als einen Prozess, der auch die unbewussten Bedürfnisse, Wünsche und Konflikte des Kindes einbezieht. Die psychoanalytische Pädagogik geht davon aus, dass Kinder in Erziehungsprozessen nicht nur bewusst lernen, sondern auch unbewusste Konflikte und Wünsche verarbeitet werden müssen. Die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden spielt eine wichtige Rolle. Emotionale Prozesse, wie die Übertragung von Gefühlen auf den Lehrer und die Gegenübertragung des Lehrers, werden als wichtig für den Lernprozess betrachtet. Die Kindheit wird als prägend für die spätere Entwicklung gesehen, wobei vor allem das familiäre Umfeld und die frühkindliche Bindung zu den Eltern oder anderen Bezugspersonen eine zentrale Rolle spielen.

    In ihrem Zentrum steht die Auseinandersetzung mit der bildungswissenschaftlichen Bedeutung jener Dimensionen von innerpsychischen Prozessen, Beziehungen, Entwicklungen und Institutionalisierungen, die der bewussten Reflexion und Kontrolle nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind. Zentrale Annahme ist, dass unbewusste Prozesse alle pädagogischen Beziehungen beeinflussen und im pädagogischen Alltag beachtet werden müssen.

    Psychoanalyse und Pädagogik sind jedoch in ihrer Anwendung sowie nach Ziel und Methode äußerst kontroversiell, denn während sich psychoanalytische Verfahren an der inneren Beziehungsrealität des Menschen orientieren, orientiert sich die pädagogische Praxis an der äußeren Realität. Die Psychoanalytische Pädagogik nutzt dabei die Konzepte der klassischen Psychoanalyse wie die persönlichkeitstheoretischen Annahmen oder den Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung und überträgt diese in einen pädagogischen Kontext. Nach Anna Freud ist es Aufgabe der Psychoanalytischen Pädagogik, einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen von zu viel Erziehung bzw. Lenkung und zu wenig Erziehung bzw. Verwahrlosung zu finden und das passende Verhältnis von Triebbefriedigung und Triebeinschränkung abzuwägen.

    Vor allem August Eichhorn brachte psychoanalytische Konzepte in die Erziehungswissenschaften ein und trug dazu bei, die Psychoanalyse als eine methodische Grundlage für die Bildungs- und Erziehungsprozesse zu etablieren. Dabei ging er davon aus, dass erzieherische Prozesse nicht nur durch bewusste Lernmechanismen, sondern auch durch unbewusste psychische Vorgänge beeinflusst werden. Er betrachtete die Erziehung als eine Wechselwirkung zwischen den unbewussten Konflikten und Bedürfnissen des Kindes und den bewussten pädagogischen Maßnahmen. Eichhorn betonte, dass die Erziehung sowohl die bewussten als auch die unbewussten Aspekte der Entwicklung eines Kindes berücksichtigen müsse. Ein zentraler Punkt seiner Theorie war, dass die Psychoanalyse helfen kann, die inneren Konflikte und unbewussten Wünsche von Kindern zu verstehen und darauf basierend erzieherische Interventionen zu gestalten. Eichhorn ging davon aus, dass frühe Kindheitserfahrungen entscheidend für die spätere Persönlichkeitsentwicklung sind. Insbesondere die Bindung des Kindes zu den Eltern und anderen Bezugspersonen wurde als prägend für das spätere Verhalten und die psychische Gesundheit betrachtet. Eichhorn übernahm das Konzept der Übertragung aus der Psychoanalyse und wandte es auf die Lehrer-Schüler-Beziehung an. Er betrachtete es als zentral, dass die unbewussten Emotionen und Konflikte, die Schüler auf ihre Lehrer projizieren, für den pädagogischen Prozess berücksichtigt werden. Auch die Gegenübertragung, also die Reaktionen des Lehrers auf diese Projektionen, spielte in Eichhorns Konzept eine wichtige Rolle. In Eichhorns Sichtweise konnte Erziehung nicht nur der Wissensvermittlung dienen, sondern auch als heilender Prozess betrachtet werden, in dem die pädagogische Beziehung dazu beiträgt, unbewusste Konflikte zu bearbeiten und die Entwicklung der Kinder zu fördern. Seine Arbeiten beeinflussten die psychoanalytische Erziehungspsychologie und förderten die Entstehung von Konzepten, die heute noch in der Theorie und Praxis der psychoanalytischen Pädagogik eine Rolle spielen.

    August Aichhorn war ein österreichischer Pädagoge und Psychoanalytiker, der als Pionier einer analytisch fundierten Pädagogik und Sozialarbeit gilt. Er wurde 1878 in Wien geboren und prägte die pädagogische und soziale Arbeit nachhaltig, indem er psychoanalytische Erkenntnisse in die Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen einfließen ließ. Aichhorn verstand das Kind als „asoziales Wesen“, das ohne Rücksicht auf seine Umwelt seine Triebwünsche verfolgt, und sah die Aufgabe der Erziehung darin, das Kind zu einem sozialen Wesen zu formen. Er betonte, dass Erziehbarkeit nicht nur vom Kind abhängt, sondern auch von der Beziehung zwischen Kind und Erzieher sowie dem sozialen Milieu. Aichhorn stellte fest, dass das „schwer erziehbare“ Kind oft nicht aufgrund von negativen Eigenschaften, sondern aufgrund von unstimmigen Beziehungen und ungünstigen Lebensbedingungen problematisch ist. In diesem Zusammenhang hob er hervor, dass Kinder, die in einem bestimmten Umfeld als „schwer erziehbar“ gelten, in einem anderen Milieu durchaus erziehbar sein können.

    Aichhorn war überzeugt, dass es möglich sei, auch schwierige Kinder und Jugendliche zu unterstützen und ihre Erziehung zu fördern, indem man auf „absolute Güte und Milde“, fortwährende Beschäftigung, Spiel und Gespräche setzt. Dabei sollten Erzieher und Sozialarbeiter ihre Persönlichkeit aktiv einbringen, um Kindern zu helfen, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Aichhorn stellte fest, dass traditionelle Erziehungsmethoden, die auf Zwang basieren, nicht zu einer positiven Veränderung führen. Stattdessen sollten die Pädagogen das Vertrauen und die Zusammenarbeit mit den Kindern suchen, was er als „Nacherziehung“ oder „nachgetragene Liebe“ bezeichnete. Dabei setzten Aichhorn und seine Kollegen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung Psychoanalyse als Hilfsmittel ein, ohne jedoch die pädagogische Arbeit selbst durch sie zu ersetzen.

    Aichhorn veröffentlichte 1925 das Werk „Verwahrloste Jugend“, in dem er die psychoanalytische Pädagogik und Sozialarbeit begründete. In diesem Kontext wurde er von Freud unterstützt, der betonte, dass Pädagogen analytisch geschult sein sollten, um das Verhalten von Kindern besser zu verstehen, jedoch nicht die Erziehungsarbeit durch Psychoanalyse ersetzen sollten. Aichhorns Arbeiten hatten großen Einfluss auf die Entwicklung der pädagogischen Psychoanalyse, und er war aktiv an der Ausbildung von Pädagogen beteiligt, die psychoanalytische Ansätze in ihre Arbeit integrierten. Trotz der wissenschaftlichen und praktischen Anerkennung seiner Methoden stieß Aichhorns Ansatz nicht immer auf Zustimmung, da er nicht den traditionellen Vorstellungen von Erziehung entsprach. Aber seine innovativen Ideen, die einen empathischen und wissenschaftlich fundierten Ansatz in der Kinder- und Jugendbetreuung betonten, sind auch heute noch von Bedeutung.


    Die wissenschaftstheoretische Begründung der Psychoanalytischen Pädagogik verläuft kontrovers, da sie bis heute nicht als Wissenschaft angesehen wird. Vor allem kritisch ist die psychoanalytischen Anforderung, keine moralischen Wertungen vorzunehmen, die aber in einem pädagogischen Handeln nicht erfüllbar sein kann.

    Literatur

    Eichhorn, A. (1936). Pädagogik und Psychoanalyse. Deutscher Verlag.
    Muck, Mario & Trescher, Hans-Georg (1993). Grundlagen der Psychoanalytischen Pädagogik. Gießen: Psychosozial-Verlag.
    Stangl, W. (2005, 18. März). Die Begründung der Analytischen Pädagogik. Neuigkeiten aus der wissenschaftlichen Pädagogik.
    https:// paedagogik-news.stangl.eu/die-begruendung-der-analytischen-paedagogik.
    https://bildungswissenschaft.univie.ac.at/psychoanalytische-paedagogik/ (14-11-14)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Psychoanalytische_P%C3%A4dagogik (14-11-14)


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