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Diskursanalyse

    Diskursanalyse ist ein Oberbegriff für die sozial- und geisteswissenschaftliche Analyse von Phänomenen eines Diskurses. Diskurse schaffen bekanntlich soziale Wirklichkeiten, was bedeutet, dass sie die Grenzen dessen abstecken, was innerhalb eines sozialen Systems verarbeitbar und damit akzeptabel ist. Zu solchen Diskursen gehören aber auch Festlegungen, was z.B. Wissenschaftlichkeit oder Redlichkeit bedeuten, auch Vorstellungen von Rasse, Klasse, Ethnie und nicht zuletzt Geschlecht. Diskurse stellen gesellschaftlich erfassbare und anerkannte Verweishorizonte auf und bilden somit symbolische Ordnungssysteme, die die Wirklichkeit und Körperlichkeit, in der das Individuum lebt, vorgeben, dem Subjekt also vorausgehen und von diesem schließlich verkörpert werden.

    Ganz allgemein untersucht daher eine sozialwissenschaftliche Diskursanalyse vor allem den Zusammenhang von sprachlichem Handeln bzw. sprachlicher Form sowie den Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen. Die Sozialwissenschaften intessieren sich dabei vor allem für die Regeln und Regelmäßigkeiten des Diskurses, seine Möglichkeiten zur Wirklichkeitskonstruktion, seine gesellschaftliche Verankerung und seine Veränderungen. Dabei geht es vor allem auch um soziale und institutionelle Zusammenhänge, in denen die Aussagen des Diskurses auftauchen die oft erst dadurch sichtbar werden. Diskurs ist daher nicht per se ein bloß wissenschaftlicher Ausdruck, sondern bezeichnet auch alltagssprachlich alles zu einem bestimmten Thema, was medial vermittelt werden kann, was öffentlich gesprochen und geschrieben wird und gleichzeitig durch eine gesellschaftliche Relevanz gekennzeichnet ist. Nach Keller (2007) gibt es drei zentrale Merkmale der Diskurstheorie:

    • Sie analysiert den mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch sowie anderer Symbolformen gesellschaftlicher Praktiken.
    • Sie unterstreicht, dass im praktischen Zeichengebrauch der Bedeutungsgehalt von Phänomenen sozial konstruiert und diese damit in ihrer gesellschaftlichen Realität konstituiert sind.
    • Sie unterstellt, dass sich einzelne Interpretationsangebote als Teile einer umfassenderen Diskursstruktur verstehen lassen, die vorübergehend durch spezifische institutionell-organisatorische Kontexte erzeugt und stabilisiert wird, und geht davon aus, dass der Gebrauch symbolischer Ordnungen rekonstruierbaren Regeln des Deutens und Handelns unterliegt.

    Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft<Nach Michel Foucault legen Diskurse somit historisch betrachtet Denkweisen fest, die zu einer bestimmten Zeit den Menschen zur Verfügung stehen, bestimmen also, wie man über etwas spricht und wie über etwas nicht gesprochen wird bzw. werden darf oder kann. Diskurse sind damit auch Filter des jeweils Sagbaren und damit auch der Denk- und Handlungsweisen von Menschen und Gruppen, da innerhalb eines Diskurses immer zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird. Methodisch kann man solche Mechanismen mittels Dekonstruktion und Rekonstruktion offenlegen, wobei Diskurse eng mit dem Machtbegriff verknüpft sind, d. h., Diskursanalysen setzen immer auch Machtanalysen voraus, weil Macht Diskurse strukturiert und Macht sich letztlich auch über Diskurse legitimiert. Im Sinne Foucaults gibt es Macht nur dort, wo Unterschiede zwischen Menschen bestehen, was letztlich bedeutet, es gibt Macht nicht als etwas Absolutes, sondern diese existiert nur in Beziehungen zwischen Menschen und diese sind etwa durch Hierarchien gekennzeichnet. Diskurse stehen den Subjekten wie auch den Gegenständen ja nicht äußerlich gegenüber, sondern konstituieren die Subjekte und Objekte in hohem Ausmaß erst dabei. Für eine Diskursanalyse hat Michel Foucault drei zentrale Fragen definiert:

    • Wer nimmt am Diskurs teil?
    • Was bleibt im Diskurs unerwähnt?
    • Welche Themen werden oft wiederholt, so dass sich daraus eine Prozedur der Reproduktion ergibt?
    Foucault ist bestrebt, Mechanismen der effektiven Machtausübung bloßzulegen, da die Menschen, die in solche Machtbeziehungen eingebunden sind, die in sie verwickelt sind, in ihrem Handeln, in ihrem Widerstand und in ihrer Rebellion diesen Machtbeziehungen entkommen und diese transformieren können, d. h., ihnen nicht mehr unterworfen sein müssen.

    Vor allem Jaques Derrida legt die schmerzhaften Widersprüche, Aporien und Paradoxien innerhalb der abendländischen Philosophie frei, die im rationalen Denken der Aufklärung verfasst sind. In der Dekonstruktion von Derrida zerfällt jeder sicher geglaubte Zusammenhang in Fragmente, jeder vermeintlich feste Boden gerät ins Wanken oder verrät zumindest einen doppelten Boden. Die gewohnten Hierarchien, Ordnungen und Oppositionen eröffnen einen gegenläufigen Sinn, d. h., die Welt, in der man zu sein scheint, ist plötzlich unbewohnbar geworden. Daher hat Derrida die Dekonstruktion selber als Erinnerungswissenschaft verstanden, denn nur die aktive Erinnerung kann Menschen in die Lage versetzen, einerseits das Hier und Jetzt als Gewordenes zu erkennen und anderseits Aktualität und Faktizität vehement herauszufordern.


    Foucault fasst Diskurse als Praktiken auf, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen, sodass Diskursen folglich eine performative Wirkmächtigkeit zukommt, die für das jeweils behandelte Thema von zentraler Bedeutung ist. Diskurse werden von Foucault dabei als eine Menge von Aussagen charakterisiert, die einem gleichen Formationssystem angehören. Dabei lassen sich Diskurse aber nicht auf den Faktor Sprache reduzieren, auch wenn Diskurse aus Zeichen bestehen, aber in Diskursen werden Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung von Sachen verwendet, was sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache macht. Nach Foucault ist es ein zentrales Merkmal von Diskursen, dass sie sich stetig vollziehen, d. h., kein starres Gebilde beschreiben, sondern vielmehr kontinuierlich neu ausgehandelt und hervorgebracht werden. Einerseits bringen Subjekte Diskurse hervor, indem sie nur in ihnen und durch sie handeln können, andererseits sind es Diskurse, die Subjekte hervorbringen, indem sich das Subjekt eben nur in – ihm durch Diskurse zugewiesenen – Subjektpositionen ausdifferenzieren kann. Zuweisung von Subjektpositionen meint dabei vor allem, dass das Subjekt durch den Diskurs in je spezifischer Weise hervorgebracht und anerkannt wird. Praxen der Subjektivierung können damit immer auch als ein Anerkennungsgeschehen verstanden werden, sodass es im Diskurs für ein Subjekt von zentraler Bedeutung ist, dass es als ein Subjekt anerkannt wird, das im Diskurs als mehr oder weniger handlungsfähig gilt oder nicht. Für das Subjekt wird es folglich zur hochgradig relevanten Frage, wie es in Diskursen anerkannt wird, wobei ebenfalls deutlich wird, dass die Art und Weise der Anerkennung wiederum gewissen Normen der Anerkennung unterliegt. Der Begriff Subjektivierungspraxen meint im Wesentlichen die Prozesse, in denen Menschen, Individuen oder Akteure durch den Umgang mit anderem und anderen lernen, sich im Horizont von beziehungsweise in Auseinandersetzung mit spezifischen, naturalen, materialen und sozialen sowie symbolischen Ordnungen als ein Subjekt zu begreifen und zu gestalten. Aus dieser Perspektive betrachtet sind Subjekt und Diskurs folglich in einem Verhältnis wechselseitiger Hervorbringung zu sehen, welches auch als Verhältnis der Gleichursprünglichkeit gefasst werden kann, aus dem folgt, dass sich Subjekt und Diskurs in Relation zum jeweils anderen gleichursprünglich hervorbringen, sodass die Annahme von einem dem Subjekt vorgängigen Diskurs nicht haltbar ist.

    Einzelnen Diskursen immer auch ein gewisser Gegenstandsbezug inhärent, was impliziert, dass Diskurse zwangsläufig auch gewisse gegenstandsbezogene Grenzen haben, die jedoch in mehrerlei Hinsicht von einer Unschärfe geprägt sind. Es handelt sich bei Diskursen insofern um diskontinuierliche Praktiken, die sich überschneiden und manchmal berühren, die einander aber auch ignorieren oder ausschließen können. Folglich gibt es Themenbereiche und Subjekte, die sich eindeutig einem spezifischen Diskurs zuordnen lassen, und wiederum andere, bei denen dies nicht der Fall ist. Das Ziehen von Grenzen zwischen Diskursen erzeugt somit auch immer bestimmte Formen von Ausschluss, wobei diese Formen des Ausschlusses darüber hinaus durch weitere Ausschließungssysteme von Diskursen ergänzt werden, die ebenfalls dazu dienen, den Zugang zu einem Diskurs bzw. mehreren Diskursen zu regulieren. Foucault spricht hier von inneren und äußeren Prozeduren der Ausschließung, wobei zu den äußeren Prozeduren der Ausschließung z. B. das verbotene Wort gehört, womit letztlich eine Festlegung dessen adressiert wird, welche Äußerungen innerhalb eines Diskurses zugelassen werden, sowie die Ausgrenzung des Wahnsinns, die letztlich auf eine Festlegung dessen rekurriert, wem innerhalb eines Diskurses das Privileg zuteil wird, zu sprechen, während die inneren Ausschließungssysteme den Diskursen dazu dienen, ihre eigene Kontrolle selbst ausüben zu können, wobei sie als Klassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien wirken. Ihr Ziel ist es, die Dimension des Ereignisses und des Zufalls zu kontrollieren bzw. eine »Selektion unter den sprechenden Subjekten vorzunehmen. Es sind also jene äußeren und inneren Ausschließungssysteme, die die Ordnung des Diskurses ausmachen und dazu führen, dass einzelnen Subjekten entlang der zugewiesenen Subjektpositionen die Teilhabe an Diskursen gewährt, anderen hingegen die Teilhabe erschwert oder gänzlich verwehrt wird. Die Frage, welche Subjekte in welcher Form an welchen Diskursen teilhaben können und welche Subjekte wiederum durch welche Teilhabebarrieren – manifestiert etwa durch Prozeduren der Ausschließung – in ihrer Teilhabe an je spezifischen Diskursen eingeschränkt werden, ist dabei von zentraler Relevanz. Eine weitere Unterscheidung betrifft allgemeine und besondere Diskurse, wobei unter allgemeinen Diskursen jene Diskurse gefasst werden, die sich dadurch auszeichnen, dass zunächst keine spezifischen Teilhabevoraussetzungen vorhanden sind, die vonseiten der potenziellen Diskursteilnehmerinnen und -teilnehmer zu erfüllen sind, während allgemeine Diskurse jene Diskurse umfassen, die prinzipiell jedem Mitglied einer Gesellschaft zugänglich sind bzw. innerhalb derer möglichst keine Begrenzung der sprechenden Subjekte stattfindet. Hierzu gehört etwa der Zugang zu Informationen, öffentlichen Bereichen oder zu bestimmten Orten im jeweiligen Sozialraum. Unter besonderen Diskursen werden dementgegen jene Diskurse gefasst, für die spezielle Teilhabevoraussetzungen bestehen, etwa in Form von speziellen Qualifikationen, die den Zugang zum Diskurs reglementieren. Insofern sind besondere Diskurse solche, in denen eine Verknappung der sprechenden Subjekte explizit vorgesehen ist . Es zeigt sich, dass es sich bei der Festlegung, welche Diskurse zu allgemeinen und welche zu besonderen Diskursen zu zählen sind, um eine normative, soziokulturell-historisch variable und damit kontingente Praxis handelt. Die Frage nach der Diskursteilhabe von Subjekten u. a. manifestiert durch die Bestimmung eines Diskurses als allgemein oder besonders, wird damit immer auch zu einer Frage der Gerechtigkeit, die wiederum immer auch eine politische Frage ist.

    Literatur

    Foucault, M. (1969). Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main: Fischer.
    Foucault, M. (2007). Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main: Fischer.
    Keller, R. (2007). Diskursforschung: Eine Einführung für SozialWissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    Trescher, H. (2018). Inklusion zwischen Theorie und Lebenspraxis. Journal für Psychologie, 26, 29–49.
    http://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/denkenpowi/denkenpowi-33.html (15-12-12)


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