Die Hebb-Regel ist eine der einfachsten Lernregeln zum Zustandekommen des Lernens in neuronalen Netzwerken bzw. in einem Verband von Neuronen, die gemeinsame Synapsen haben, und wurde vom Namensgeber Donald O. Hebb in „The Organization of Behavior“ schon 1949 formuliert: Wenn ein Axon der Zelle A die Zelle B erregt und damit wiederholt und dauerhaft zur Erzeugung von Aktionspotentialen in Zelle B beiträgt, so resultiert dies in Wachstumsprozessen oder metabolischen Veränderungen in einer oder in beiden Zellen, die bewirken, dass die Effizienz von Zelle A in bezug auf die Erzeugung eines Aktionspotentials in B größer wird. Kurz: Je häufiger ein Neuron A gleichzeitig mit Neuron B aktiv ist, umso bevorzugter werden die beiden Neuronen aufeinander reagieren, es kommt also zu einer Stärkung der Synapse, sodass Neuronen, die gemeinsam feuern eine gemeinsame Verbindung ausbilden.
In Synapsen wird dabei die elektrisch codierte Information, die von einer Nervenzellen auf eine andere übertragen werden soll, in ein chemisches Signal übersetzt und nach der Übertragung wieder in ein elektrisches umgewandelt. Dieser Vorgang erlaubt es, dass Synapsen eine Art chemisches Gedächtnis entwickeln, indem sie eine erregende oder hemmende Wirkung erzielen, wobei diese auf molekularer Ebene ablaufenden Prozesse die Grundlage für Lernen und Gedächtnis bilden.
What fires together, wires together.
Dies hat Hebb anhand von Veränderungen der synaptischen Übertragung zwischen Neuronen nachgewiesen, womit Hebb als der Entdecker der synaptischen Plastizität gilt, die die neurophysiologische Grundlage von Lernen und Gedächtnis darstellt.
Eine aktuelle Studie von Wright, Hedrick & Komiyama (2025) bringt nun überraschende Klarheit in diese Fragestellung und zeigt, dass die Regeln für neuronale Plastizität nicht einheitlich sind, und zwar nicht einmal innerhalb einer einzigen Nervenzelle. Wright, Hedrick & Komiyama (2025) untersuchten jüngst die Aktivität von Nervenzellen im motorischen Cortex von Mäusen während eines gezielten Lernprozesses, und zwar dem Erlernen einer neuen Bewegungsabfolge, über einen Zeitraum von zwei Wochen. Mithilfe hochauflösender in-vivo-Bildgebung mit Einzel-Synapsen-Auflösung beobachteten sie, wie sich die Verbindungen innerhalb einzelner Neuronen differenziert veränderten. Im Fokus standen dabei zwei Typen von Dendriten, die basalen Dendriten, die direkt vom Zellkörper ausgehen, und die apikalen Dendriten, die weiter entfernt in höher gelegenen Schichten der Zellstruktur verzweigt sind. Die Ergebnisse zeigten, dass in diesen unterschiedlichen Dendritenabschnitten auch unterschiedliche Regeln der synaptischen Veränderung gelten, denn während die Stärkung von Synapsen in den apikalen Dendriten durch die gleichzeitige Aktivität benachbarter Synapsen ausgelöst wurde – ein Phänomen, das auf lokale funktionelle Cluster hindeutet –, erfolgte die synaptische Potenzierung in den basalen Dendriten in Übereinstimmung mit der klassischen Hebb’schen Lernregel, die besagt, dass Synapsen gestärkt werden, wenn präsynaptische und postsynaptische Zellen gleichzeitig aktiv sind („What fires together, wires together“). Diese Differenzierung innerhalb einer einzigen Zelle legt nahe, dass das Gehirn auf verschiedenen Ebenen der neuronalen Struktur spezialisierte Lernstrategien einsetzt. Während apikale Dendriten offenbar für die Bildung aufgabenbezogener funktioneller Gruppen verantwortlich sind, die flexibel auf neue Anforderungen reagieren, tragen die basalen Dendriten eher zur Stabilisierung und Verstärkung bereits bestehender neuronaler Ensembles bei. Das Zusammenspiel dieser beiden Mechanismen erlaubt es dem Gehirn, sowohl neue Informationen effizient zu integrieren als auch bestehendes Wissen zu festigen und bei Bedarf abzurufen. Diese Erkenntnisse stellen die bisherige Vorstellung eines einheitlichen neuronalen Lernmechanismus infrage und lassen Lernen vielmehr als das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener, spezialisierter Prozesse erscheinen. Lernprozesse gleichen demnach nicht dem Bau einer einzelnen neuen Verbindung zwischen zwei Punkten, sondern eher einem groß angelegten Infrastrukturprojekt: In unterschiedlichen Teilbereichen eines Neurons arbeiten „verschiedene Bautrupps“ nach individuellen Plänen daran, neue Verbindungen zu knüpfen oder bestehende zu verstärken, immer mit dem Ziel, Informationen schnell, effizient und dauerhaft zu verankern. Die Fähigkeit des Gehirns, dabei kontextsensitiv und dynamisch zu agieren, könnte erklären, warum Menschen so unterschiedlich und individuell lernen. Diese Entdeckung eröffnet nicht nur neue Perspektiven auf die neuronalen Grundlagen des Lernens, sondern auch auf potenzielle therapeutische Ansätze, etwa bei der Behandlung von Lernstörungen oder der Rehabilitation nach Hirnverletzungen. Indem man gezielt in diese unterschiedlichen Mechanismen eingreift, könnte Lernen in Zukunft nicht nur besser verstanden, sondern auch effektiver unterstützt werden.
Siehe auch Donald Olding Hebb.
Literatur
Wright, W. J., Hedrick, N. G. & Komiyama, T. (2025). Distinct synaptic plasticity rules operate across dendritic compartments in vivo during learning. Science, 388, 322–328.