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Ich-Bewusstsein

    Das Gehirn spielt den Menschen mit dem Bewusstsein ein Theaterstück vor, in dem sie die Hauptdarsteller sind, oder besser, sie glauben, es zu sein. Das Gehirn vermittelt dabei den Eindruck, sie hätten zumindest einen Einfluss auf das Drehbuch oder würden sogar Regie führen. Doch das Meisterstück der Täuschung ist letztlich der Glaube, das Ich sei dieses bewusste Denken bzw. das bewusste Denken sei umgekehrt das Ich.

    Das Gefühl, man selbst zu sein, also das Ich-Bewusstsein, ist nach Ansicht vieler Wissenschaftler bloß eine Simulation des Gehirns, ein inneres Modell der Welt mit vielen Schichten. Das Gehirn berechnet dabei aus allen Informationen, die ihm zur Verfügung stehen, was die beste Hypothese, die wahrscheinlichste Variante der Wirklichkeit ist und präsentiert diese dem Individuum. Was man also subjektiv erlebt, ist letztlich nicht Realität, sondern virtuelle Realität, also nur eine Möglichkeit unter vielen möglichen Realitäten.

    Natürlich existieren der physische Körper und eine Außenwelt, wobei diese Annahme streng genommen stets nur eine mehr oder minder plausible Hypothese sein kann. Da aber diese virtuelle Realität seit Millionen von Jahren existiert und bei Lebewesen funktioniert, ist es offenbar ein recht gutes Modell der Wirklichkeit, denn das Leben hat bis heute damit recht gut überlebt. Im Grunde haben Lebewesen keine andere Möglichkeit, sich und die Realität zu erleben.



    Bei Menschen und den Primaten wird die Fähigkeit zur bewussten Wahrnehmung in der Großhirnrinde lokalisiert, wobei es bisher fraglich blieb, ob auch Tiere mit einem völlig anders aufgebauten Gehirn ohne Großhirnrinde über ein derart wahrnehmendes Bewusstsein verfügen. Nieder et al. (2020) haben nun erstmals einen neurowissenschaftlichen Nachweis erbracht, dass auch Rabenvögel über subjektives Erleben verfügen, denn durch die gleichzeitige Aufzeichnung von Verhalten und Gehirnaktivität konnte man zeigen, dass Krähen dazu fähig sind, Sinneseindrücke bewusst wahrzunehmen. Bisher konnte diese Art des Bewusstseins nur bei Menschen und anderen Primaten nachgewiesen werden, die über völlig anders aufgebaute Gehirnen verfügen als Vögel.
    Um den Bewusstseinsprozessen bei Vögeln auf die Spur zu kommen, trainierte man zwei Krähen, die per Kopfbewegung anzeigen sollten, ob sie einen Reiz auf einem Bildschirm gesehen hatten oder nicht. Die meisten der Reize waren eindeutig, denn in solchen Versuchsdurchläufen wurden entweder deutliche Lichtpunkte gezeigt oder gar keine Reize präsentiert, wobei die Krähen die An- und Abwesenheit dieser Reize zuverlässig anzeigten. Manche Reize waren allerdings konstant so schwach, dass sie an der Wahrnehmungsschelle lagen, wobei die Krähen manchmal anzeigten, den schwachen Reiz gesehen zu haben, in anderen Fällen, dass kein Reiz vorhanden sei. Hier kam also die subjektive Wahrnehmung der Krähen ins Spiel. Während die Krähen auf die optischen Reize reagierten, registrierte man zugleich die Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn. Berichteten die Krähen, etwas gesehen zu haben, waren die Nervenzellen im Zeitraum zwischen Reizpräsentation und Verhaltensantwort aktiv, nahmen sie jedoch keinen Reiz wahr, blieben die Nervenzellen stumm. Aufgrund der Aktivität der Nervenzellen ließ sich also vorhersagen, welches subjektive Erleben die Krähen hinsichtlich des Reizes hatten, denn Nervenzellen, die Seheindrücke ohne subjektive Komponente repräsentieren, sollten auf einen gleichbleibenden visuellen Reiz immer gleich antworten. Diese Ergebnisse hingegen lassen nur den Schluss zu, dass Nervenzellen auf höheren Verarbeitungsstufen des Krähengehirns durch subjektives Erleben beeinflusst werden, oder genauer gesagt, subjektive Erlebnisse hervorbringen. Evolutionsgeschichtlich könnten die Ursprünge des Bewusstseins somit viel älter und im Tierreich weiter verbreitet sein, als bisher angenommen. Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Krähe lebten vor 320 Millionen Jahren, sodass das Wahrnehmungsbewusstsein möglicherweise bereits damals entstanden sein und sich seither weiter vererbt haben könnte. Allerdings könnte sich das Wahrnehmungsbewusstsein bei diesen entfernt verwandten Arten völlig unabhängig voneinander entwickelt haben, doch in jedem Fall ist die Fähigkeit zu bewusstem Erleben mit verschieden gebauten Gehirnen und unabhängig von der Großhirnrinde offenbar realisierbar.


    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs aus Heidelberg ist der Ansicht, dass das Gehirn sich nicht als Produzent des Geistes betrachten lässt, sondern es fungiert seiner Meinung nach vielmehr als Vermittlungsorgan für die biologischen und sozialen Kreisprozesse, in denen der Mensch steht. Es ist weder der Geist, noch das Gehirn, sondern der ganze Mensch, der denkt, fühlt und handelt. Er schreibt:

    „Bewusstsein ist keine Innenwelt, die sich mit Hirnzuständen identifizieren ließe. Es entsteht nur im dynamischen Zusammenspiel von Gehirn, Organismus und Umwelt und überschreitet fortwährend die Grenzen des Gehirns ebenso wie die des Körpers. Subjektivität ist das In-der-Welt-Sein eines verkörperten Wesens. Das von Philosophen vieldiskutierte Gehirn, das ohne einen Körper nur mit geeigneter Stimulation ein solipsistisches Bewusstsein erzeugt, ist eine unsinnige Vorstellung. Ein solches Gehirn würde allenfalls eine völlig inkohärente neuronale Aktivität aufweisen. Denn nur durch ständige Interaktion mit dem Körper und der Umwelt entstehen und stabilisieren sich die Ordnungsstrukturen des Bewusstseins ebenso wie die entsprechenden neuronalen Strukturen des Gehirns. Das Gehirn ist das Organ, das unsere Beziehung zur Welt, zu anderen Menschen und zu uns selbst vermittelt – ein Beziehungsorgan.“

    Das Subjekt ist demnach nicht im Gehirn, sondern das Ich, also das bewusste, erlebende und handelnde Subjekt, befinde sich immer genau dort, wo auch der lebendige Körper mit all seinen biologischen Funktionen ist, die auch die bewussten Zustände und Handlungen ermöglichen und hervorbringen. Das Ich ist also ein lebendiges, verkörpertes Wesen, und das heißt zugleich, es existiert auch immer über seinen Körper hinaus, in der Welt und mit Anderen.


    Literatur

    Nieder, Andreas, Wagener, Lysann & Rinnert, Paul (2020). A neural correlate of sensory consciousness in a corvid bird. Science, 369, 1626-1629.


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