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Lesekompetenz

    Die Lesekompetenz stellt ein komplexes Fähigkeitskonstrukt dar und kann als ein Bündel von Teilfähigkeiten verstanden werden, wobei diese im Gegensatz zur Lesefertigkeit nicht nur die eigentliche Fähigkeit umfasst, Schriftzeichen zu entziffern (Zuordnung von Graphemen und Phonemen), sondern sie bezieht sich auf komplexe kognitive Leistungen, die weit über das eigentliche Dekodieren hinaus reichen. In der kognitionspsychologischen Leseforschung meint Lesekompetenz daher die Fähigkeit zu text- und wissensbasierten Verstehensleistungen, d. h., die Lesekompetenz bezieht sich in erster Linie auf das Verstehen von Texten, wobei es aber nicht nur um die Rekonstruktion von Bedeutungsinhalten geht, sondern um die Zusammenführung der im Text vorhandenen Informationen mit dem Vorwissen durch verschiedene textbezogene Verarbeitungsprozesse und leserbezogene Strategien. Lesen ist demnach ein aktiver Prozess der (Re-)Konstruktion von Textbedeutung, also die Fähigkeit, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um bestimmte eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und dadurch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Lesekompetenz ist also dadurch definiert, dass man nicht nur einzelne Worte entziffern kann, sondern die Worte zu Sätzen zusammenfügen kann, um daraus den Sinn und die Bedeutung zu erschließen. Lesekompetenz bedeutet auch, das Gelesene  nicht nur zu verstehen (Leseverständnis), sondern in das vorhandene Wissen einzusortieren, es zu bewerten und zu interpretieren. Und schließlich umfasst Lesekompetenz auch die Fähigkeit, aus diesen komplexen Vorgängen Nutzen zu ziehen. Diese Fähigkeiten beziehen sich in ihrer Gedamtheit jedoch nicht nur auf geschriebene Texte, sondern auch auf Karten, Diagramme, Grafiken oder Bildgeschichten.

    Der Begriff Lesekompetenz bedeutet daher nebem dem Erkennen von Buchstaben, Wörtern bzw. Sätzen und zusätzlich auch den Sinn des Gelesenen zu verstehen. Wobei diese Bestandteile in der Grundschule erlernt werden sollten. Der Wortschatz eines Menschen wird geprägt durch die Lesekompetenz und das Leseverhalten, und ist somit notwendig, um umfangreiche Texte verstehen zu können (vgl. McElvany et al. 2009, S.122). Ein wesentliches Merkmal der Lesekompetenz ist die Leseflüssigkeit, die sich aus den drei Aspekten Lesegenauigkeit, Lesegeschwindigkeit und Prosodie zusammensetzt. Erst Automatisierungsprozesse, denen eine verbesserte Dekodierung von Buchstaben und Wörtern zugrunde liegen, führen zu einem Lesen ohne Anstrengung, zu flüssigem und betontem Lesen, das die Aufmerksamkeit erst freisetzt für das eigentliche Verstehen eines Textes. Insofern verfügen erst flüssige Leser und Leserinnen über die Fähigkeit, bei parallel ablaufenden Dekodierprozessen Textverstehen und -reflexion hinsichtlich syntaktischer und semantischer Gesichtspunkte zu koordinieren und Bedeutungsinhalten durch prosodisches Lesen Ausdruck zu verleihen.
    Während der Covid19-Krise und verstärktem Home-Schooling zeigte sich, dass Kinder mit höherer Lesekompetenz in der neuen Lernsituation besser zurechtkamen und gleichzeitig auch leichter zum Lernen zu motivieren waren. Dies kann man darauf zurückführen, dass das Lesen von Texten in Schulbüchern, aber auch das Lesen von Anleitungen und Arbeitsanweisungen in der Situation des Lernens zuhause besonders wichtig ist. Anders als im regulären Präsenzunterricht können Lehrkräfte den Lernstoff und die Aufgaben in vielen Fällen nicht mündlich erklären. Die Fähigkeit schriftliche Texte zu verstehen, erweist sich daher beim Lernen zuhause als eine zentrale Kompetenz für alle Schulfächer nicht nur für den Deutschunterricht. Es ist zu vermuten, dass Schülerinnen und Schüler mit geringeren Lesekompetenzen zuweilen Verständnisschwierigkeiten haben und manche Aufgabenstellungen und Anleitungen weniger gut nachvollziehen können. Solche eher entmutigenden Erfahrungen könnten auch dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler weniger motiviert sind, ihre Aufgaben zu erledigen. Auch die Anstrengungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler beeinflusste die Situation des Lernens zuhause, denn gerade in Situationen, in denen eine äußere Struktur fehlt und vermutlich weniger Zeitvorgaben gemacht werden, kommt es besonders auf die Bereitschaft der einzelnen Schülerinnen und Schüler an, sich selbst zu steuern und den eigenen Lernfortschritt im Blick zu behalten.

    Literatur

    McElvany, N., Becker, M. & Lüdtke, O. (2009). Die Bedeutung familiärer Merkmale für Lesekompetenz, Wortschatz, Lesemotivation und Leseverhalten Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 41, 121-131.
    Huber, S. G., Günther, P. S., Schneider, N., Helm, C., Schwander, M., Schneider, J., & Pruitt. J. (2020). COVID-19 und aktuelle Herausforderungen in Schule und Bildung. Erste Befunde des Schul-Barometers in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Waxmann.

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