Unter visual literacy bzw. visueller Literalität versteht man im allgemeinen die visuelle Lesefähigkeit oder visuelle Kompetenz eines Menschen. Unter dem Begriff der Literalität versteht man ursprünglich die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, also den Sinn von Texten erschließen zu können, Texte verfassen und schreiben bzw. deren Sinn erschließen zu können.
Das Leben heute wird in hohem Maße durch alle Arten von visuellen Medien wie Foto, Fernsehen, Film, Video, Anzeigen etc. beeinflusst, bzw. Menschen kommunizieren durch diese Medien, wobei visuellen Medien im massenmedialen kommunikativen Diskurs sogar die bisher dominierende Sprache teilweise verdrängen. Wie Menschen die Bedeutung von Schrift und Wörtern erlernen müssen, müssen sie heute ebenso die Bedeutung von visuellen Informationen und die Elemente der visuellen Sprache erlernen. Visual öiteracy bezeichnet somit die erlernte Fertigkeit, visuelle Botschaften zutreffend zu interpretieren und solche Botschaften selbst adäquat herzustellen.
Die Entschlüsselung von Bildern ist wesentlich weniger standardisiert und konventionalisiert als die von Texten und Schrift, sodass dadurch der Betrachter wesentlich freier und damit auch unsicherer in der Interpretation ist. Hinzu kommt, dass etwa Fotografien oder Filme oft gar nicht als Botschaften interpretiert werden, sodass solche Visualisiserungen oft unter der Bewusstseinsschwelle auf Vorstellungen von Menschen und der Welt Einfluss nehmen. Hinzu kommt, dass Bilder heute auch zunehmend als Mittel und Werkzeuge verwendet werden, um bestimmte Gebiete zu untersuchen und zu erforschen, etwa in den Naturwissenschaften, den Kultur- und Geisteswissenschaften, im Marketing oder in der Technik. Dabei handelt es sich bei einer solchen Produktion von Simulationen, Plänen, Skizzen, Animationen oder Diagrammen schon um Interpretationen, was wenigen Menschen bewusst ist.
Das Europäisches Netzwerk für Visual Literacy ist eine Gruppe europäischer Wissenschaftler, die an Instituten für Lehrplanentwicklung oder in der Lehrerausbildung tätig sind und verschiedene europäische Kompetenzkonzeptionen im Bereich der Kunst- und Designpädagogik (Bildnerische Erziehung) untersucht. Dieses Netzwerk wurde 2010 gegründet und untersucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Formulierung von Kompetenzdimensionen in den Kunst-/Design-Lehrplänen europäischer Länder. Dieses Europäisches Netzwerk für Visual Literacy hat im Vergleich zur oben genannten Dimension einen sehr engen Fokus auf den Forschungsgegenstand der visual literacy.
In einigen älteren Studien wurde auf die abträgliche Wirkung eines erhöhten Fernsehkonsums auf die Lesefähigkeit von Kindern hingewiesen, wobei die populären Schwellenwertmodelle, die davon ausgehen, dass sich negative Beziehungen zwischen Fernsehkonsum und Leseleistungen erst ab einer erhöhten Nutzungsdauer von mehr als drei Stunden nachweisen lassen, eher nicht zutreffen dürften. Sowohl im Hinblick auf den Fernsehkonsum als auch der Nutzungsdauern des Computers konnten in neueren Untersuchungen eher Hinweise auf die Gültigkeit der Verdrängungshypothese gefunden werden, die davon ausgeht, dass die neuen Medien außerschulische Leseaktivitäten verdrängen und erst die daraus resultierende verminderte Übungsmöglichkeit sich negativ auf die Entwicklung der Lesefähigkeit auswirkt. Die negativen Zusammenhänge zwischen Fernsehnutzung und Lesefähigkeit werden vor allem in der öffentlichen Diskussion oft ungeprüft auf die Medien Computer und Videospiel übertragen, wobei empirische Nachweise für eine tatsächliche negative Beziehung zwischen der Lesefähigkeit und der Nutzungsdauer dieser Medien nur vereinzelt vorliegen.
Literatur
Beentjes, J.W.J. & van der Voort, T.H.A. (1989). Television and young people ́s reading behaviour: A review of research. European Journal of Communication, 4, 51-77.
Fuchs, T. & Wößmann, L. (2005). Computer können das Lernen behindern. ifo Schnelldienst 58 (18), 16-23.
Paus-Haase, I., Höltershinken, D. & Tietze, W. (1990). Alte und neue Medien im Alltag von jungen Kindern. Orientierungshilfen für Eltern und Erzieherinnen. Freiburg im Breisgau: Lambertus.