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direkte Leistungsvorlage

    Die direkte Leistungsvorlage (Portfolios) ist neben der verbalen Beurteilung, der Auflistung erreichter Ziele (Pensenbücher, Lern- und Entwicklungsberichte u. ä.) eine Möglichkeit zur Sanierung der von der Ziffernzensur verursachten Defizite bei der Beurteilung schulischer Leistungen. Die direkte Leistungsvorlage stellt eine Art kopernikanische Wende dar, weil sie den Adressaten (Firmenchef u. a.) nicht entmündigt, denn sie legt ihm keinen Stellvertreter der Leistung vor (Codewörter und -zahlen), sondern diese selbst (exemplarisch ausgewählte Belegstücke des erreichten Leistungsniveaus: Arbeiten aus der Mathematik, Texte aus Deutsch und den Fremdsprachen, diverse Arbeitsblätter, Projekte, Leselisten, Liste der gelernten Lieder mit Beispielen der individuellen Notenkenntnis, Daten aus der Leibeserziehung, Kassetten mit Dokumenten der mündlichen Ausdrucksfähigkeit u.a.). Die direkte Leistungsvorlage bezieht die Vorteile der verbalen Beurteilung mit ein (Lehrerkommentare zu den einzelnen Belegstücken) wie auch die der Lernziellisten, die gegebenenfalls zur Orientierung beigelegt werden können. Diese Alternative steht ausdrücklich im Dienste der Leistung:

    • Diese selbst wird vorgelegt und kein Surrogat.
    • Die gesamte Schulzeit des Jahres dient der Qualifizierung; es gibt keinen Verlust, wie ihn die ominösen Prüfungszeiten verursachen.
    • Der Lehrer steht den Kindern ständig in seiner Rolle als Helfer zur Seite.
    • Den Lehrer zu betrügen wird witzlos; die Schüler betrögen sich selbst.
    • Die Schüler müssen nicht mehr danach trachten, ihre Nachbarn zu übertreffen, sondern sich selbst.
    • Der Verdacht der Eltern auf Ungerechtigkeit wird gegenstandslos; sie sehen die Leistung vor sich – niemand hat sie in eine Note chiffriert.
    • Jeder individuelle Leistungszuwachs wird dokumentiert, sodass auch der Schwache zu seinem Erfolg kommt, der das Erfolgreichste ist, was es gibt.
    • In der Schulklasse ist ständig ein Auditorium zur Verfügung, das für den notwendigen Applaus sorgt. Er ist wirksamer als die vom Lehrer vergebene Note.
    • Niemandem wird ein X für ein U vorgemacht: Nichts ist sachlicher (korrekter) als die Sache selbst.

    Die skizzierte Alternative kann auch zu einer Versachlichung der Überstiegs- und Aufnahmeprozeduren führen: Nicht mehr die vorangehende Institution entscheidet über die „Passung“ für die nachfolgende, sondern diese selbst. Niemand kennt ihr Anforderungsniveau besser als sie. Dass die stressfrei und sukzessive erbrachten Leistungen im „Portfolio“ zuverlässiger sind als eine Aufnahmsprüfung, muss dabei nicht eigens betont werden.

    Nach Rupert Vierlinger, der diese Form der Leistungsbeurteilung Zeit seines Lebens propagierte, messen Noten weder objektiv, weil verschiedene Lehrer auf ein und dieselbe Arbeit stark differierende Noten geben, noch sind sie valide. Auch sollten Schüler nicht Rivalen innerhalb ihres Leistungsniveaus sein, sondern Partner im gemeinsamen Lernziel. Die Devise lautet dann nicht mehr: ,Übertriff den anderen!‘, sondern: ,Übertriff dich selbst!‘“


    Zur Person Rupert Vierlinger: Vierlinger wurde 1932 im Dorf Kasten in der Mühlviertler Gemeinde St. Peter am Wimberg als zweites von fünf Kindern eines, wie er selbst einmal schrieb, „Kleinhäusler-Ehepaares“ geboren. Die Prägungen, die er in der dörflichen Gemeinschaft erfuhr, schrieb er viele Jahre später in seinen Kindheitserinnerungen „Mandlhut und Stadlhenn“ (Verlag Edition Geschichte der Heimat, Grünbach/Freistadt 2010) nieder. Nach der 1953 im Bischöflichen Lehrerseminar abgelegten Matura war Vierlinger zwei Jahre Grundschullehrer in Freistadt. Schon Mitte der 50er-Jahre studierte Vierlinger neben seiner weiteren Lehrer-Tätigkeit in Wien an der Wiener Universität Pädagogik, Pädagogische Psychologie, Philosophie und Kunstgeschichte. Die Art, wie unterrichtet und wie Schüler beurteilt werden sollten, ließ ihn nicht mehr los. So war er schon zur Zeit der Ablegung der Rigorosen (1961) in Pädagogik und des Lehramtes in Philosophischer Propädeutik (1962) wieder an seiner Linzer Ausbildungsstätte als Vortragender tätig. 1967 folgte die Bestellung zum Leiter der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz. Hier war Vierlinger nicht nur für den Ausbau und die Fortbildung der Lehrer zuständig und entwickelte als Alternative zum Ziffernnoten-Zeugnis das Konzept der „Direkten Leistungsvorlage“ (Portfolio-Konzept). 1980 wurde der Universitätsprofessor Ordinarius für Schulpädagogik an der Uni Passau. Auch dort setzte er sich in seinem Forscherleben mit der Leistungsbeurteilung von Schülern auseinander. Vierlinge starb 2019 nach langer Krankheit.


    Literatur

    Vierlinger, Rupert (1998). Plädoyer für die Abschaffung der Ziffernnoten. erziehung heute, 3.
    Vierlinger, Rupert (1999). Leistung spricht für sich selbst. Heinsberg.
    OÖN vom 15. Jänner 2019


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