Je älter man wird, desto ähnlicher wird man sich.
Luciano Pavarotti
Die Zeit verwandelt uns nicht, sie entfaltet uns nur.
Max Frisch
Unter Entwicklung versteht man im Allgemeinen einen Prozess der Entstehung, der Veränderung bzw. des Vergehens, wobei drei Prinzipien zu Grunde liegen: das Prinzip des Wachstums, das Prinzip der Reifung und das Prinzip des Lernens. Das Prinzip des Wachstums und Veränderung bezieht sich vor allem auf die Körperstruktur und zwar in Bezug auf Form, Größe, Anzahl, Lage und Position, während der Ausdruck Reifung die Entwicklung von Reflexen, Instinkten oder anderen unerlernte Verhaltensweisen bezeichnet. Die Prinzipien des Lernens beziehen sich außer auf den Bereich des Konditionierens und der Extinktion auch auf den Bereich des schulischen Lernens und anderer Umwelteinflüsse. Entwicklung bezeichnet in der Psychologie daher einen dynamischen Prozess, der von Anfang an in Wechselwirkung zwischen dem sich entwickelnden Kind, seinen Bezugspersonen und deren Lebenszusammenhang steht, d. h., Entwicklung ist das Ergebnis der Interaktion zwischen Kind und seiner Umwelt. Gerade im Kleinkindalter, in dem das Kind auf die Unterstützung und Hilfe der Erwachsenen angewiesen ist, ist diese Wechselbeziehung von besonderer Bedeutung, denn so profitiert etwa das Kleinkind von der Erfahrung, wenn es von seinen Bezugspersonen zuverlässige Zuwendung bei Kummer, Überforderung und Stress erhält und allmählich lernt, sich zunehmend selber zu regulieren. Ein von der Anlage her leicht irritierbarer Säugling kann wiederum seine Bezugspersonen überfordern, was sich ebenfalls auf die allgemeine Entwicklung auswirken kann. Besonders das Säuglings- und Kleinkindalter ist geprägt von einer besonderen Entwicklungsdynamik mit rasch abfolgenden Reifungs-, Lern- und Anpassungsprozessen, wobei Entwicklung von Beginn an in unterschiedlichen Ausprägungen und in unterschiedlichem Entwicklungstempo verläuft. Psychische Entwicklung enthält sowohl kontinuierliche als auch diskontinuierliche Elemente, d. h., es gibt Entwicklungsstufen, die zeitlich aufeinander folgen und solche Schritte, die sich nicht aufbauend entwickeln sondern spontan erscheinen. In der Sprachentwicklung ist der Verlauf stets kontinuierlich, während die Bewegungsentwicklung nicht kontinuierlich abläuft, denn manche Kinder krabbeln nicht, bevor sie zu laufen beginnen. Oft geht das Erreichen einer neuen Entwicklungsstufe mit einer Neuorganisation der bisherigen Verhaltensweisen einher und ist auch mit Unsicherheit verbunden, bis sich die neu erworbenen Fähigkeiten stabilisiert haben. So führt die zunehmende Selbstständigkeit des Kindes zur Verunsicherung, was sich unter anderem dadurch äußert, dass sich das Kind einmal ganz allein anziehen möchte und dann wieder die Hilfe der Bezugspersonen vehement einfordert.
Entwicklungspsychologisch betrachtet verweben sich in jeder Entwicklung zwei Stränge: zum einen der universelle, zum anderen der individuelle Teil einer Entwicklung. Die psychischen und physischen Veränderungen in Kindheit und Jugend sind universell, beziehen sich also kulturübergreifend auf alle Menschen, wie Greifen, Krabbeln, Laufen oder Sprechen lernen durch Reifung. Mit dem Erwachsenenalter ist dieser universelle Entwicklungsvorgang dann weitgehend abgeschlossen. Individuelle Entwicklungsvorgänge stehen dem universellen Ansatz zur Seite, denn individuell entwickeln sich Menschen ein Leben lang bis zum letzten Atemzug weiter. Individuelle Entwicklungen werden durch die Erfahrungen beeinflusst, die man im Laufe der Zeit macht, denn diese Erfahrungen führen zu Wissen und das Wissen führt zu Veränderung. So können etwa Erfahrungen mit dem Partner, der Partnerin, den Eltern, mit Krankheiten, Geburt oder dem Tod eines nahestehenden Menschen entscheidend für die weitere Entwicklung sein. Abgesehen von solchen einschneidenden Erlebnissen sind auch alltägliche, emotional weniger tiefe Erfahrungen lebensverändernd und dadurch entwickelnd. Sich zu entwickeln, bedeutet zu lernen, denn Lernen ist einer der natürlichsten und lebendigsten Prozesse der Existenz. Lernen bedeutet, dass man sein Verhalten oder seine Verhaltensmöglichkeiten ändert, und zwar auf der Grundlage gemachter Erfahrungen. Lernen ist also eine Verhaltensänderung aus Erfahrung und ist ein deutliches Indiz für geänderte Vorgänge im Nervensystem und kann sich auf verschiedene Bereiche beziehen, etwa können es motorische (Bewegung), physiologische (Herzrasen), kognitive (Fremdsprache sprechen) oder emotionale Verhaltensänderungen (Umarmung) sein. All das sind Indizien für Lernvorgänge. Zwar sind nicht alle Persönlichkeitsunterschiede dadurch erklärbar, dass jemand etwas gelernt hat, denn etwa die Hälfte der Persönlichkeit ist durch die Umwelt geprägt. Diese Umwelt sollte daher möglichst stimulierende Lernchancen bieten, damit Selbstentfaltung gelingt. Vermisst man Stimulation, kann man auf die Suche nach neuen Herausforderungen gehen (Brohm-Badry, 2021).
Siehe dazu die Arbeitsblätter zur Entwicklungspsychologie.
Zum Begriff: Der Begriff der Entwicklung (evolutio) bezog sich ursprünglich auf das Auseinanderrollen einer Buchrolle. Ein Bedeutungswandel führte dann dazu, dass vom zunächst explizit gemeinten Auswickeln der Rolle eine Übertragung auf die gedankliche Entfaltung dessen erfolgte, was die Schriftrolle an Inhalt mit sich brachte. Durch diese Transferleistung bedeutete Entwicklung somit auch Auslegung, Erörterung und Explikation. Mit diesem Bedeutungswandel erfolgte dann nach und nach in den einzelnen Wissenschaftsbereichen wie auch in der Psychologie eine Spezifizierung für den Begriff der Entwicklung (Montada, 2002, S.3 ).
1859 schreiben die Gebrüder Grimm in ihrem Wörterbuch, das Wort stamme vom niederländischen »ontwikkelen«, »entfalten«. Das Wörterbuch des deutschen Wortschatzes spricht von sich entwickeln in einem Prozess, vorwärtsschreiten, sich zu etwas entwickeln, langsam einen neuen Zustand annehmen, etwas bildet sich aus etwas heraus, entsteht nach und nach, bringt etwas hervor, entfaltet sich, bis hin zur veralteten Deutung: sich aus etwas auswickeln, sich auseinanderrollen.
Empfohlene Literatur
Literatur
Brohm-Badry, Michaela (2021). Aufbrechen. Die Freiheit zur Selbstentfaltung gewinnen. Weinheim: Beltz Verlag.
Montada, Leo (2002). Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag.
Paschon, A., Zeilinger, M., Jaeger, S. & Kolmberger, N. (2008). Salzburger Beobachtungskonzept. Entwicklungspsychologischer Teil.
Universiät Salzburg.
Stangl, W. (1997). Psychologie der Entwicklung.
WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/PSYCHOLOGIEENTWICKLUNG/ (97-09-21)