Die Strebetendenz-Theorie des Musiktheoretikers Bernd Willimek ist der Versuch einer Auflistung von emotionalen Charakteren musikalischer Harmonien und formuliert eine erste Begründung für die emotionale Wirkung musikalischer Harmonien. Sie postuliert, dass das emotionale Erleben von Musik auf Identifikationsprozessen des Musikhörers mit Willensinhalten basiert, die in der Musik encodiert sind. Sie bestreitet auch, dass Musik überhaupt Emotionen vermitteln kann, sondern nur Willensinhalte, mit denen sich der Musikhörer identifiziert, und nur durch diesen Vorgang der Identifikation erscheinen diese Willensinhalte dann emotional gefärbt. Diese Willensvorgänge in der Musik haben etwas mit dem zu tun, was frühere Musiktheoretiker mit Vorhalt, Leitton und Strebetendenz bezeichnet hatten. Doch erst, wenn man diese Erscheinungen gedanklich ins Gegenteil umkehrt, offenbaren sie den Willensinhalt, mit dem sich der Musikhörer identifiziert: Nicht etwa der Ton strebt zur Veränderung, sondern der Hörer identifiziert sich mit dem Willen, dass der Ton unverändert bleibt. Durch Anwendung dieses Prinzips lassen sich die Emotionen erklären, die die Musik im Hörer schließlich auslöst.
So drückt etwa ein Mollakkord keine Trauer aus, sondern bei einem Mollakkord identifiziert man sich mit einem Willen, dessen Inhalt etwa mit „ich will nicht mehr …“ umschrieben werden kann. Wenn man einen Mollakkord auf dem Klavier zunächst ganz leise wiederholt und dann langsam immer lauter wird, empfindet man den Klang zuerst als traurig und dann mit dem Lauterwerden als wütend. Man beurteilt die Klänge genau so, wie man urteilen würde, wenn ein Mensch die Worte „ich will nicht mehr…“ zunächst leise flüstert und dann laut herausschreien würde. Der Umweg über Willensprozesse wird dabei gar nicht bewusst. Bei einem Durakkord hingegen identifiziert man sich in der Regel mit einem Willen, dessen Inhalt etwa mit „ja, ich will…“ umschrieben werden kann.
Literatur
Die Strebetendenz-Theorie. Musik heute.
http://www.musik-heute.de/4761/die-strebetendenz-theorie/ (13-07-21)