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observation-execution matching

    Observation-execution matching beschreibt das psychische Phänomen, dass beim Menschen motorische Gehirnbereiche auch dann aktiv sind, wenn Menschen die Bewegungen anderer beobachten, sich selbst jedoch nicht bewegen. Das bedeutet, dass die visuelle Wahrnehmung einer Handlung beim Betrachter entsprechende motorische Programme im Gehirn aktiviert. Aus funktionaler Sicht wurde die motorische Aktivierung durch Aktionsbeobachtung kürzlich der mentalen Simulation der Handlungen der Artgenossen zugeschrieben, wobei ein möglicher Zweck eines solchen Simulationsprozesses die Vorhersage der nächsten Handlungsschritte einer anderen Person zu sein scheint (Graf, Reitzner, Corves, Casile, Giese, & Prinz, 2007), die es wiederum ermöglicht, eigene Handlungen an eine sich ständig verändernde Umgebung anzupassen. Unklar ist allerdings noch, ob dieselben Hirnregionen auch die Bedeutung von Handlungen erkennen bzw. welcher Mechanismus einem verbesserten Verstehen durch sensomotorische Aktivierung zu Grunde liegt.


    Kurioses: Nach einer von Forschern des University College London durchgeführten Untersuchung zählt sogar ein Kinobesuch als leichtes Training, sodass ein Kinobesuch als eine leichte Form einer Herz-Kreislauf-Übung fungieren könnte und gleichzeitig die Gesundheit des Herzens, des Gedächtnisses und der Konzentration fördern würde. In der Untersuchung verfolgte man die Herzfrequenzen und Hautreaktionen von Kinobesuchern, während sie ein Remake von „Aladdin“ anschauten, und verglichen die Ergebnisse mit einer Kontrollgruppe, die die gleiche Zeit mit Lesen verbrachte. Durch die Konzentration auf die Geschichte des Films und durch das Vertiefen in die Handlung konnte dabei die Herzfrequenz auf eine ähnliche Rate wie beim zügigen Gehen oder bei der Gartenarbeit ansteigen. Allerdings wurde die Untersuchung von einer Kinokette gefördert 😉


    Eine aktuelle und leicht überstrapazierte Theorie ist die Annahme von Spiegelneuronen, durch die die Fähigkeit, Bedeutungen von Gestik und Sprache zu verstehen, durch die Aktivierung einzelner Zellen in bestimmten Hirnregionen erklärt werden kann. Man fand im unteren prämotorischen Cortex von Primaten Neuronen, die einerseits feuerten, wenn die Tiere bestimmte zielgerichtete Bewegungen machten, etwa beim Greifen, andererseits aber auch, wenn die Tiere passiv den Versuchsleiter beobachteten, der ähnliche Bewegungen vollführte. Einerseits vermitteln Spiegelneurone Informationen über Handlungen anderer, was es den Tieren erlaubte, sich für geeignete motorische Reaktionen zu entscheiden also etwa die gleiche Bewegung auszuführen, oder Spiegelneurone könnten auch die Basis für echtes Handlungsverständnis sein, also die Fähigkeit, die Bedeutung in den Bewegungen anderer zu erkennen. In diesem Fall würden die Neuronen den Beobachtern erlauben, ihre eigenen Handlungen mit vergleichsweise geringem mentalen Aufwand an das anzupassen, was er gerade beobachtet. Diese Interpretation könnte auch erklären, wie man die Bedeutung der Bewegungen anderer intuitiv erfassen kann. Das führte schließlich dazu, Spiegelneuronen heute als Ursache für Phänomenen wie Empathie, Imitation, Altruismus, Gestik und Sprache vermutet werden.


    Wie Menschen überhaupt Bewegung erkennen

    Bekanntlich registrieren die menschlichen Augen unentwegt eine Fülle von Sehreizen, von denen nur ein Teil an das Gehirn weitergeleitet wird. Das Auge bzw. das Gehirn muss aus den eingehenden Pixel-Intensitäten und ihren Veränderungen Objekte und Bewegungen berechnen, Informationen bewerten und dann ein entsprechendes Verhalten erzeugen. Yildizoglu et al. (2020) haben bei der Untersuchung des Gehirns von Zebrafischen herausgefunden, dass deren Gehirn vor allem auf verhaltensrelevante Reize reagiert und dabei andere Informationen ignoriert. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits die Netzhaut des Auges die Sehinformationen entsprechend filtert, wobei so unterschiedliche Gehirne wie die von Zebrafischen, Affen oder Fliegen anscheinend ganz ähnliche Algorithmen nutzen, um verhaltensrelevante Informationen aus natürlichen Bildern zu extrahieren. Um herauszufinden, anhand welcher Merkmale visueller Szenen ein Gehirn Bewegungen erkennt, zeigte man den Fischen im Labor unruhige weiße und schwarze Muster, um so das visuelle System herauszufordern und die Verarbeitung von Bewegung genauer zu untersuchen. Indem man einzelne Komponenten dieser komplexen Muster variiert, kann man aufdecken, wann die Fische Bewegung erkennen, denn die Tiere zeigen durch die eigene Bewegung, dass sie eine Bewegung in ihrer Umwelt erkennen können.  Die Fische nahmen einige der Muster als Bewegung nach links wahr, doch als man alles Dunkle auf Hell und alles Helle auf Dunkel wechselte, nahmen die Fische die Reize plötzlich als Bewegung nach rechts wahr. Im durchsichtigen Fischgehirn kann man dabri beobachten, welche Hirnareale wann reagieren, wenn der Fisch ein Muster sieht oder wenn sich das Tier bewegen will. Die Untersuchungen zeigen, dass bereits die Nervenzellen der Netzhaut die Zusammenhänge und Statistiken des gezeigten Bildes berechnen, d. h., die Zellen extrahieren Bewegungsmuster-Signale, die sie dann an höhere Hirnregionen weiterleiten. Das Prätektum, eine zentrale Hirnregion, verarbeitet nur die Bildinformationen, die für eine Verhaltensreaktion wichtig sind. Die Ganglienzellen der Netzhaut scheinen optimal an das Verarbeiten der Informationen eines natürlichen Umweltbildes angepasst zu sein, wobei die Zellen ihre Bewegungserkennung anhand der statistischen Eigenschaften der realen visuellen Welt entwickelt und optimiert haben. Interessant ist, dass die Gehirne sehr unterschiedlicher Tierarten offenbar unterschiedliche Wege gefunden haben, um die gleiche Statistik zur Berechnung derselben Sache zu verwenden, denn nicht nur Zebrafische, sondern auch Fruchtfliegen und Primaten reagieren auf ähnliche Weise auf die komplexen Bewegungsmuster, die im Labor verwendet wurden. Offenbar sich sich die generellen Prinzipien und Algorithmen der visuellen Bewegungsverarbeitung bei verschiedenen Tierarten äußerst ähnlich sind.

    Bewegungsplanung und Bewegungsausführung

    Geplante und tatsächliche Bewegungen bzw. deren neuronale Aktivität sind im Gehirn schwer zu unterscheiden, denn beide äußern sich über sehr ähnliche neuronale Signale. Eriksson et al. 2021) haben eine neue Methode entwickelt, diese Impulse genauer zu differenzieren, und auch nachzuvollziehen, wie eine geplante Bewegung an der unmittelbaren Ausführung gehindert wird. Man zeichnete dabei die Aktivität einzelner Neuronen von Nagetieren in mehreren motorischen Arealen auf, und zwar während sich die Tiere frei bewegen, wobei sich zeigte, dass im sensomotorischen Cortex die neuronalen motorischen Planungsprozesse mit langsamerer Dynamik ablaufen als die bewegungsbezogenen Reaktionen. Bewegungsplanung und -ausführung entwickeln sich demnach im Gehirn gleichzeitig, aber auf unterschiedlichen Zeitskalen. Während also das Ausführen von Bewegungen auf schnellen neuronalen Veränderungen beruht, basieren Bewegungspläne auf langsamen neuronalen Veränderungen, wobei diese langsameren Planungsprozesse zudem durch einen Filter an der Weiterleitung an die Muskeln gehindert werden. Daraus lässt sich ein allgemeines Modell für die motorische Kontrolle ableiten, wobei man zudem vergleichen kann, wie etwa unterschiedliche Arten von Verhalten neuronal verarbeitet werden, etwa das Bewegen des gesamten Körpers oder nur einer Hand.

    Literatur

    Eriksson, D., Heiland, M., Schneider, A. & Diester, I. (2021). Distinct dynamics of neuronal activity during concurrent motor planning and execution. Nature Communications, doi:10.1038/s41467-021-25558-8.
    Graf, M., Reitzner, B., Corves, C., Casile, A., Giese, M. & Prinz,W. (2007). Predicting point-light actions in real-time. Neuroimage, 36, 22-32.
    Lepage, J. & Théoret, H. (2006). EEG evidence for the presence of an action observation–execution matching system in children. European Journal of Neuroscience, 23,  doi:10.1111/j.1460-9568.2006.04769.x.
    Murakami, T., Restle, J. & Ziemann, U. (2011). Observation-execution matching and action inhibition in human primary motor cortex during viewing of speech-related lip movements or listening to speech. Neuropsychologia, 49, 2045-54.
    Yildizoglu, T., Riegler, C., Fitzgerald, J. E. & Portugues, R. (2020). A neural representation of naturalistic motion-guided behavior in the zebrafish brain. Current Biology, doi:10.1016/j.cub.2020.04.043.


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