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Heterotopie

    Heterotopie bezeichnet in der Medizin ganz allgemein ein funktionelles, also korrekt gebildetes und funktionierendes Gewebe, das sich aber nicht an der anatomisch üblichen Lokalisation befindet.

    Heterotopie im zentralen Nervensystem – eine bei Männern seltene, X-chromosomal-dominant vererbte Krankheit – entsteht dadurch, dass die Wanderung von Neuronen während der Gehirnentwicklung gestört ist. Kommt es nämlich zu Störungen bei der Proliferation neuroepithelialer Vorläuferzellen und daher bei der Differenzierung in Neuronen und Neuroglia, führt das in diesem Entwicklungsabschnitt zu ausgedehnteren Substanzminderungen des Gehirns und zu fehlerhaften Rinden- und Windungsbildungen. Eine Gruppe von Neuronen kann dabei nicht in die sich entwickelnde Hirnrinde wandern und bleibt in einer Vielzahl von Knötchen an der Oberfläche der Ventrikel liegen. Dadurch ist die äußerste Schicht des Gehirns, also der Cortex, deformiert, was zu einer geistigen Behinderung und zu Epilepsie führt. Heterotopie tritt aber auch bei heterozygoten Frauen auf, diese sind dann geistig normal bis grenzwertig geistig retardiert, haben zerebrale Krampfanfälle unterschiedlicher Schwere und als nicht-neurologische Symptome oft Herzfehler und Gerinnungsstörungen. Im allgemeinen ist die Krankheit beim männlichen Geschlecht pränatal letal.

    Anmerkung: Der Begriff der Heterotopie wurde übrigens von Michel Foucault in einer frühen Phase seiner Philosophie kurzzeitig für Räume bzw. Orte und ihre ordnungssystematische Bedeutung verwendet, die die zu einer Zeit vorgegebenen Normen nur zum Teil oder nicht vollständig umgesetzt haben oder die nach eigenen Regeln funktionieren. Foucault nahm dabei an, dass es Räume gibt, die in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren, indem sie diese repräsentieren, negieren oder umkehren. Heterotopien setzen stets ein System der Öffnung und Abschließung voraus, das sie isoliert und zugleich den Zugang zu ihnen ermöglicht. Foucault verstand Heterotopien vornehmlich als Gegenorte, die etwa Utopien konkret realisieren und dadurch die alltäglichen Funktionen des Lebensraumes außer Kraft setzen. Dieses Aushebeln entsteht, indem sie zwar mit allen anderen Orten in Beziehung stehen, diese Relationsbündel allerdings suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren und sich dadurch folglich zu bestehenden Orten widersprüchlich oder radikal positionieren. So schaffen etwa Museen und Bibliotheken Orte für die Ewigkeit, während Feste, Jahrmärkte aber auch Freudenhäuser und Klöster zeitliche ausgerichtete Heterotopien bilden. Diesen scheinbar disparaten konkreten Orten ist eines gemeinsam: sie weisen ein anderes Verhältnis zu Raum und Zeit auf und stellen selbstverständlich erscheinende gesellschaftliche Praktiken radikal in Frage, teilweise negieren sie diese sogar. Solche Heterotopien als Gegenraum ermöglichen eine Wahrnehmung der gesellschaftlich dominanten Rationalität. Während Utopien im Bereich der Vorstellung verbleiben, zeichnet sich die Heterotopie dadurch aus, dass sie sich als in irgendeiner Form belebte oder unbelebte Wirklichkeit entäußert.

    Literatur

    Foucault, Michel (2006). Von anderen Räumen. In Dünne, Jörg & Günzel, Stephan (Hrsg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Suhrkamp: Frankfurt.


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