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kollektiver Narzissmus

    Als kollektiven Narzissmus bezeichnet man das Phänomen, dass manche Gesellschaften zu kollektiver Selbstüberschätzung neigen, indem sie ihrer Gemeinschaft eine einzigartige Stellung unter allen anderen zuweisen. Insbesondere in Bezug auf Nationen kann dieses Phänomen beobachtet werden, wenn etwa Bürger Russlands der Ansicht sind, dass über sechzig Prozent der weltgeschichtlichen Entwicklung direkt auf den Einfluss ihres Staates zurückzuführen ist.

    Schon als Individuum neigen Menschen dazu, ihre eigenen Leistungen zu überschätzen, doch da nationale Narrative meist aus historischen Errungenschaften bestehen, treibt dies die Hybris einer Gruppe nach dem gleichen Muster an, wobei eine solche Form kollektiver Geltungssucht Aggressionen befeuern kann. Wie für selbstverliebte Individuen gilt für narzisstische Gruppen, dass wer sich allzu großartig findet, sich auch allzu leicht kränken lässt.

    Nationaler Narzissmus

    Studien (Roediger et al., 2019) zeigen übrigens auch, dass es auch einen nationalen Narzissmus gibt, womit eine nationale Glorifizierung des Selbst als auch das Aufzwingen der eigenen Werte und Traditionen auf andere Nationen gemeint ist. Es zeigte sich, dass die Menschen sehr ethnozentrisch sind, wenn es darum geht, den Einfluss ihrer eigenen Nation zu betrachten, selbst wenn sie sich an das gleiche Ereignis erinnern, das Ende des Zweiten Weltkriegs. Auf die Frage, wie viel Prozent ihr Land zu den Kriegsanstrengungen beigetragen hat, kamen in allen Ländern der Alliierten Schätzungen auf 309%, und die Schätzungen der Achsenländer lagen bei 140%. Menschen in vier Nationen beanspruchten mehr als fünfzig Prozent der Verantwortung für ihr Land (Deutschland, Russland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten). Diese Studie weist auch auf starke Unterschiede im nationalen Gedächtnis hin, und zwar auch zwischen Nationen, die im Krieg auf der gleichen Seite kämpften, d. h., unterschiedliche nationale Perspektiven prägen unterschiedliche Erinnerungen an dasselbe Ereignis. Zu diesem nationalen Narzissmus trägt wahrscheinlich auch bei, dass die Menschen von ihrem eigenen Land mehr wissen und dessen Beitrag überschätzen, es also für positiver und wichtiger als Menschen anderer Länder halten. Oft ist daher der Ethnozentrismus auch dadurch bedingt, dass man sich und sein Land als überlegen sieht. Hinzu kommt, dass es ein kollektives Gedächtnis gibt, das durch Narrative in Erzählungen, Geschichtsbüchern, Filmen und Feiern gebildet wird, die die nationale Identität prägt und dazu beitragen, Beziehungen zwischen Ländern und aktuelle Konflikte zu beeinflussen.

    Literatur

    Roediger, Henry L., Abel, Magdalena, Umanath, Sharda, Shaffer, Ruth A., Fairfield, Beth, Takahashi, Masanobu & Wertsch, James V. (2019). Competing national memories of World War II. Proceedings of the National Academy of Sciences, doi:10.1073/pnas.1907992116.
    Zaromb, Franklin, Liu, James, Hanke, Katja, Putnam, Adam, L Roediger III, Henry & Páez, Darío (2017). We made history: Citizens of 35 Countries Overestimate their Nation’s Role in World History. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, doi:10.1016/j.jarmac.2018.05.006.


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