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Inselrinde

    Die Inselrinde, auch Inselcortex oder Cortex insularis, ist ein Teil der Großhirnrinde, wobei zu jeder Hälfte des Großhirns eine Insel gehört. Während der vorgeburtlichen Entwicklung bleibt dieser Lappen im Wachstum relativ zurück und wird von den stark sich vergrößernden Frontallappen, Scheitellappen und Schläfenlappen überdeckt und in die Tiefe verlagert. Die funktionellen Leistungen der Inselrinde sind noch nicht vollständig geklärt, funktionell werden der Inselrinde jedoch Aufgaben bei der Wahrnehmung chemischer Reize wie Geruchssinn oder Geschmackssinn und deren Integration mit dem vegetativen Nervensystem zugesprochen, wobei auch eine Beteiligung am akustischen Denken angenommen wird. Die Inselrinde ist aber auch wichtig für das Regulieren von Emotionen, d. h.  für Fähigkeiten wie Empathie und Sozialverhalten. Beim Menschen, Primaten und vielen anderen Säugetieren liegt sie tief verborgen wie eine Insel zwischen den Falten der Großhirnrinde. Mäuse, Ratten und einige andere Säugetiere haben jedoch eine glatte Großhirnrinde, wodurch die Inselrinde für Untersuchungen zugänglicher wird (s. u.).

    Die Inselrinde bzw. Insula gilt als primärer interozeptiver Cortex, also die für die Erstverarbeitung von Signalen aus der Körperwahrnehmung zuständige Hirnregion. So wie es ein primäres Areal für das Sehen im Hinterhauptslappen und für das Hören im Schläfenlappen gibt, so ist die Insula das primäre Areal für die Aufnahme von Körpergefühlen wie Temperatur, Schmerz, Juckreiz, Hunger, Muskelspannung, Berührungen und Signalen aus den Eingeweiden. Diese bilden auch die Basis für komplexe Gefühle, und sind wichtig für Intuition und Entscheidungsfindung, wie schon der gängige Ausdruck vom Bauchgefühl andeutet.

    Da man immer noch zu wenig weiß, wie die Inselrinde Informationen verarbeitet und welchen Einfluss sie auf das Verhalten hat, insbesondere bei Depressionen, Angsterkrankungen und Essstörungen, haben Gehrlach et al. (2019) an der Inselrinde der Maus gezeigt, wie diese starke Gefühle wie Angst oder körperliches Unwohlsein verarbeitet und wie dies das Verhalten beeinflusst. Riecht etwa eine Maus einen Fuchs, dann bringt das Gefühl der Furcht sie dazu ihre Ausflüge in die Umgebung einzustellen und erst einmal mit dem Fressen aufzuhören. Einen ähnlich hemmenden Einfluss haben auch negative Körperzustände wie Übelkeit. Interessanterweise können einzelne Nervenzellen dabei auf so unterschiedliche negative Reize wie Bitter, Furcht, Schmerz, Durst und körperliches Unwohlsein reagieren. Sobald die Zellen solch einen negativen Zustand erkennen, leiten sie die Informationen über zwei unterschiedliche Nervenbahnen zum Mandelkern oder dem Nucleus accumbens weiter. Beide Gehirnregionen sind dafür bekannt, dass sie das Verhalten eines Tieres direkt beeinflussen können. So konnte man erstmals zeigen, welchen Einfluss die Inselrinde über diese beiden Verbindungen auf das Verhalten hat. Die Aktivierung der Nervenbahn von der Inselrinde zum Mandelkern bewirkt vor allem Verhaltensanpassungen an Angst, d. h., die Maus reduziert ihre Nahrungsaufnahme, sozialen Kontakte und auch das Erkunden der Umgebung. Unterdrückt man die Aktivität dieser Nervenbahn, waren die Tiere weniger ängstlich. Das Aktivieren der Nervenbahn zum Nucleus accumbens hatte dagegen den gleichen Effekt wie eine Krankheit, denn die Mäuse hörten auf zu fressen. Interessanterweise konnten die Tiere trotz Übelkeit etwas fressen, wenn diese Nervenbahn inaktiviert wurde.

    Prozesse in der Inselrinde sind aber nicht nur an der Interozeption beteiligt, sondern auch die Grundlage für die unmittelbare Wahrnehmung der Gefühle. Die vordere Inselrinde integriert umfassend alle dem Organismus zur Verfügung stehenden Informationen eines gegebenen Moments. Das erzeugt das Ich-Erleben und ist eng verknüpft mit dem Zeitbewusstsein. Auch der Herzschlag dürfte beim Abschätzen von Zeitdauern eine wichtige Rolle spielen, wobei die Genauigkeit der Herzschlagwahrnehmung mit neuronalen Aktivitäten in der Insula korreliert. In der Insula entsteht also eine umfassende Repräsentation des Jetzt-Zustands des Organismus, den man als globalen emotionalen Moment bezeichnen könnte, also das gefühlte Ich eines Menschen.

    Inselrinde und Körperwahrnehmung

    Die Inselregion ist seit neuesten Erkenntnissen entscheidend für das Entstehen des Körperbewusstseins. Ist etwa die Inselregion von einer Schädigung betroffen, erkennen Menschen ihre Körperteile nicht mehr als ihre eigenen. Die Inselregion ist daher ein zentraler Teil des neuronalen Netzwerks, das den Menschen ein Bewusstsein für den eigenen Körper vermittelt, in ihr laufen alle Signale über den aktuellen Zustand zusammen, also Haltung, Temperatur, Schmerz oder Berührung. In der Inselregion werden die Signale außerdem mit Informationen aus der Umwelt zusammengebracht, sodass ein Gefühl für das eigene Ich in Raum und Zeit entsteht. Menschen mit einer Schädigung der Inselregion versuchen mitunter, den vermeintlich fremden Arm oder das Bein aus dem Bett zu werfen. Dieses Phänomen tritt oft mit einer der Unfähigkeit auf, die Versehrtheit des eigenen Körpers zu erkennen, d. h., Betroffene bemerken nicht, dass sie nach einem Infarkt halbseitig gelähmt sind, halten sich für gesund, obwohl die Tatsachen dagegensprechen. Konfrontiert man sie damit, versuchen sie es wegzuerklären, denn sie könnten ja in die Hände klatschen, hätten nur gerade keine Lust dazu. Noch erstaunlicher ist es, wenn manche Mensche aufgrund einer Hirnschädigung nicht mehr sehen können, ihre Blindheit aber nicht bemerken. Dieser Zustand verschwindet oft nach einiger Zeit von selbst wieder. Der Zugang zur Wirklichkeit lässt sich auch gezielt wiederherstellen, denn spült man den Gehörgang mit Wasser und reizt so Inselregion und umliegende Hirnareale, erkennen sie zumindest kurzzeitig ihre tatsächliche Lage. Menschen, bei denen diese Regionen geschädigt wurden, entwickeln teils bizarre Störungen, d. h., manche Menschen können etwa nach einem Schlaganfall Gegenstände nicht mehr erkennen, obwohl sie einwandfrei sehen können. Bei diesen Störungen funktioniert zwar die Wahrnehmung als solche, aber das Erkennen ist abhandenkommt. Andere Menschen können plötzlich visuelle Szenen nicht mehr deuten, denn treten davon Betroffene in einen Raum, erfassen sie zwar Herd, Kühlschrank und Esstisch, doch dass sie sich in einer Küche befinden, verstehen sie hingegen nicht.

    Inselrinde und Angsterkrankungen

    Angsterkrankungen manifestieren sich bekanntlich in übermäßiger Sorge, Furcht und der Tendenz, potenziell belastende Situationen einschließlich sozialer Kontakte zu vermeiden, wobei man vermutet, dass dabei die Inselrinde des Gehirns eine wichtige Rolle spielt. Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass verschiedene Gehirnareale Gefühle und Emotionen mit Informationen aus der Umgebung zusammenführen und so das Verhalten beeinflussen, wobei eine zentrale Rolle in diesem Netzwerk die Inselrinde spielen dürfte, da in jenem Teil der Großhirnrinde die Regulation von Emotionen aber auch von Empathie und Sozialverhalten abläuft.

    Insula und Zeit

    In der Insula laufen auch alle Informationen über den Zustand des Körpers ein, wie etwa das Gefühl für Kälte, Hunger, der Herzschlag, aber auch, wie man auf einem Stuhl sitzt oder ob der Fuss gerade einschläft. In der Insula werden diese Signale mit Informationen aus der Umwelt zusammengebracht, sodass ein Gefühl für den Körper in Raum und Zeit entsteht. Man vermutet daher, dass dieser kontinuierliche Eingang von Signalen aus dem Körper auch ein Gefühl für die Zeit vermitteln könnte. Nach dem Insula-Modell sind also die Körpersignale die Impulse oder die Messeinheit für die Zeitwahrnehmung, denn die Insula ist bei der Zeitwahrnehmung aktiv, wie in Versuchen gezeigt wurde: Bei Probanden, die Zeitintervalle von 9 und 18 Sekunden schätzen sollten, stieg die Aktivität in der Insula über die gesamte Zeitdauer an und brach jäh ab, wenn das Ende erreicht war. Vermutlich werden dort die eingehenden Signale irgendwie summiert und bei Erreichen eines bestimmten Wertes gestoppt. Deshalb könnten zwei Mechanismen die subjektive Zeitwahrnehmung beeinflussen: die Aufmerksamkeit und der Erregungszustand des Körpers. Beide verändern die Zahl der registrierten Impulse und können somit die Uhr langsamer oder schneller laufen lassen. Je weniger man abgelenkt ist, desto eher achtet man auf seinen Körper, und desto mehr Signale gehen ein und umgekehrt. Bei Emotionen wie Angst oder Freude werden dagegen Hormone ausgeschüttet, die über das vegetative Nervensystem den Erregungszustand des Körpers verändern und so die Impulsrate verändern. Besonders eindrücklich ist dies in einer Schrecksekunde, wenn der Eindruck entsteht, dass alles wie in Zeitlupe abläuft. Starke negative wie positive Emotionen führen bekanntlich zu einer subjektiven Zeitdehnung. In Schrecksekunden tritt also eine Art Zeitlupeneffekt ein, bei dem sich Abläufe in der Außenwelt scheinbar verlangsamen. Das ist durch das stark erhöhte Erregungsniveau des Körpers in einer Fight-or-flight-Situation bedingt, wodurch physiologische und mentale Vorgänge vergleichsweise schneller ablaufen, d. h., der ganze Organismus ist auf eine möglichst rasche Überlebensreaktion ausgerichtet.

    Bei einer Achtsamkeitsmeditation, bei der man sich über den Atem ganz auf das Hier bzw. die Körperpräsenz und das Jetzt bzw. die zeitliche Präsenz konzentriert, verlangsamt sich auch das Erleben des subjektiven Zeitverlaufs. Menschen mit langjähriger Erfahrung in Achtsamkeitsmeditation weisen zudem in der Inselrinde mehr graue Substanz auf, in der die Nervenzellkörper liegen, was sich als neuronales Korrelat eines intensivierten Körper- und Selbsterlebens bei erfahrenen Meditierenden interpretieren lässt. Erste Studien zur Zeitwahrnehmung bestätigen auch die Berichte von Meditationsanfängern, dass die Zeit während der Meditation subjektiv langsamer abläuft, denn so überschätzten darin ungeübte Studenten vorgegebene kurze Zeitdauern schon nach einer zehnminütigen Sitzung mit Fokus auf dem Atem im Vergleich zu entsprechenden Intervallen vor der Meditation.

    Literatur

    Daniel A Gehrlach, Nejc Dolensek, Alexandra S Klein, Ritu Roy Chowdhury, Arthur Matthys, Michaela Junghänel, Thomas N Gaitanos, Alja Podgornik, Thomas D Black, Narasimha Reddy Vaka, Karl-Klaus Conzelmann, Nadine Gogolla (2019). Aversive state processing in the posterior insular cortex. Nature neuroscience, 22, 1424-1437.
    Hartmann, C. (2020). Woran erkennen wir Realität? ZEIT Wissen vom 18. Februar.
    Wittmann, M. (2014). Wie entsteht unser Gefühl für die Zeit?
    WWW: http://www.spektrum.de/news/wie-entsteht-unser-gefuehl-fuer-die-zeit/1309744 (14-09-29)
    Stangl, W. (2008). Gehirn, Gefühle und Emotionen.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnEmotion.shtml (08-08-02)
    http://www.spektrum.de/news/wie-unser-gefuehl-fuer-die-zeit-entsteht/1309744 (14-09-29)
    https://www.mpg.de/13836998/0826-psy-056402-ab-auf-die-insel-mit-negativen-empfindungen (19-08-27)


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