Das einzige Mittel, den Irrtum zu vermeiden, ist die Unwissenheit.
Jean-Jacques Rousseau
Als Versuch und Irrtum – trial and error – bezeichnet man in der Psychologie jene Form des Lernens, bei dem die Irrtümer und Fehler allmählich vermieden und die richtigen, zum Ziel führenden Handlungen immer häufiger ausgeführt werden. Verhaltensweisen werden daher zum Zweck der Feststellung der Konsequenzen mehr oder minder zufällig erprobt. Schon Aristoteles diskutiert in seiner „Nikomachischen Ethik“ das Konzept der praktischen Weisheit und des Lernens durch Erfahrung, was indirekt das Prinzip von Versuch und Irrtum impliziert. Der Lernprozess durch wiederholtes Handeln und Reflektieren ist ein zentrales Thema, auch wenn der Begriff des „Versuchs und Irrtums“ in dieser Form nicht direkt verwendet wird.
Lernen durch Versuch und Irrtum ist also eine Beschreibung des Lernens, bei dem man durch Ausprobieren verschiedener Handlungen oder Strategien lernt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es geht darum, verschiedene Optionen auszuprobieren und Fehler zu machen, um letztendlich die richtige Antwort oder Lösung zu finden. In diesem Prozess ist es oft notwendig, mehrere Versuche zu unternehmen, um zu verstehen, was funktioniert und was nicht. Wenn eine Handlung oder Strategie nicht erfolgreich ist, wird sie aufgegeben und eine neue ausprobiert. Durch diese iterative Methode wird schrittweise das Wissen und die Erfahrung erweitert und die Erfolgsquote erhöht. John Dewey, ein Vertreter der pragmatischen Pädagogik, beschreibt in seinem Werk „Demokratie und Erziehung“ den Lernprozess als eine kontinuierliche Wechselwirkung zwischen Erfahrung und Reflexion, wobei er betont, dass Lernen durch praktische Erfahrungen und das Testen von Hypothesen über die Welt erfolgt, was dem Konzept des Lernens durch Versuch und Irrtum nahekommt. Edward Lee Thorndike hat in seinen Arbeiten zur Lernpsychologie das „Gesetz des Effekts“ formuliert, das das Lernen durch Versuch und Irrtum erklärt. In seiner Studie „Animal Intelligence“ untersuchte er, wie Tiere Probleme lösen, indem sie verschiedene Handlungen ausprobieren und durch zufällige Belohnung lernen, die richtigen Reaktionen zu wiederholen. Burrhus F. Skinner schließlich betrachtete Lernen als ein iteratives Verfahren, bei dem Verhalten durch Verstärkung gestärkt wird, wobei auch in diesem Ansatz das Lernen durch Versuch und Irrtum ein zentrales Element darstellt, insbesondere in Bezug auf die Rolle von Verstärkern und Bestrafungen in der Verhaltensänderung. Jean Piaget schließlich beschreibt in seiner Arbeit zur Entwicklung der Intelligenz, wie Kinder durch aktives Ausprobieren und Experimente die Welt verstehen lernen, wobei Fehler als ein notwendiger Bestandteil des Lernprozesses betrachtet werden.
Hinter dem Prinzip des Lernens durch Versuch und Irrtum steht ein einfacher Grundgedanke: Menschen und Tiere lernen aus Erfahrung und damit aus ihren Fehlern. Das Prinzip lässt sich gut an Kindern veranschaulichen, die gerade laufen lernen. Sie werden nicht müde, es zu versuchen, fallen hin, stehen wieder auf und fangen wieder von vorne an. Was auf den ersten Blick sinnlos erscheint, ist auf den zweiten Blick die Methode „Versuch und Irrtum“ des Lernens. Bei jedem neuen Versuch (Trial) probieren wir aus, was funktionieren könnte. Wenn es nicht klappt, wird es als Fehler gespeichert und verworfen. Ohne nachzudenken, wird der nächste Versuch mit einer neuen Alternative unternommen.
Diese Methode ist wie eine langsam ansteigende Lernkurve, die schließlich zum Ziel führt. Trial-and-Error-Lernen ist nützlich, wenn es keine eindeutige Lösung oder Strategie gibt und wenn das Feedback auf eine Handlung verzögert ist. Es ist eine effektive Methode, um komplexe Probleme zu lösen und neue Fähigkeiten zu erlernen. Die Versuch-und-Irrtum-Methode ist jedoch nicht für jede Lebenssituation geeignet, denn wenn man spontan Leistung und Wissen abrufen muss, etwa bei einer Prüfung, empfiehlt sich eine gute Vorbereitung anstelle von zeitaufwändigem Ausprobieren.
Übrigens hat Karl Popper das Konzept des Lernens durch Versuch und Irrtum auf wissenschaftliche Hypothesen angewendet, indem er betont, dass wissenschaftliche Theorien durch das ständige Prüfen und Falsifizieren von Hypothesen fortschreiten, was eine Form von Lernen durch Versuch und Irrtum darstellt.
Literatur
Dewey, J. (1916). Democracy and Education: An Introduction to the Philosophy of Education. Macmillan.
Piaget, J. (1947). Die Psychologie der Intelligenz. Rowohlt.
Popper, K. (1934). Die Logik der Forschung. Springer-Verlag.
Stangl, W. (1996, 25. Dezember). Was ist Lernen durch Versuch und Irrtum? lerntipp.net.news.
https:// news.lerntipp.net/was-ist-lernen-durch-versuch-und-irrtum.
Skinner, B. F. (1957). Verbal Behavior. Copley Publishing Group.
Thorndike, E. L. (1898). Animal Intelligence: An Experimental Study of the Associative Processes in Animals. Psychological Review, 5, 1-109.