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Attentional Bias

    Attentional Bias – Aufmerksamkeitsverzerrung – bezeichnet die Tendenz, die eigene Aufmerksamkeit bevorzugt auf bestimmte Informationen oder Reize zu richten, während andere Reize ausgeblendet oder ignoriert werden. Diese Verzerrung kann in verschiedenen Kontexten auftreten, insbesondere in emotionalen oder stressbelasteten Situationen, und ist ein zentrales Konzept in der kognitiven Psychologie und wurde intensiv in der Forschung zu Emotionen, Angststörungen, Suchtverhalten und auch in der klinischen Psychologie untersucht.

    Der Mechanismus hinter der Aufmerksamkeitsverzerrung basiert auf der Annahme, dass Menschen aufgrund ihrer emotionalen Zustände oder kognitiven Präferenzen eine selektive Wahrnehmung entwickeln. Beispielsweise zeigen Studien, dass Personen mit Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) eine erhöhte Aufmerksamkeitsverzerrung gegenüber bedrohlichen oder ängstigenden Reizen aufweisen. Diese verzerrte Aufmerksamkeit verstärkt die negativen emotionalen Zustände und kann zu einer Aufrechterhaltung von Angst oder Stress beitragen, da die Betroffenen in einem Teufelskreis aus verstärktem Fokus auf Bedrohungen gefangen sind. Ein häufig genutztes Experiment, um Aufmerksamkeitsverzerrungen zu messen, ist der „Stroop-Test“, bei dem Versuchspersonen Wörter benennen müssen, die in unterschiedlichen Farben geschrieben sind. Personen, die eine starke Aufmerksamkeitsverzerrung gegenüber emotionalen Reizen haben, werden langsamer bei der Benennung der Farben von bedrohlichen oder emotional geladenen Wörtern, was auf die Beeinträchtigung ihrer Fähigkeit zur gleichzeitigen Verarbeitung von relevanten und irrelevanten Informationen hinweist. Klassisch ist auch das Experiment, bei dem sich mehrere junge Menschen Basketbälle zuwerfen, eine Hälfte der Spieler trägt weiße T-Shirts, die andere schwarze. Der Betrachter eines Videos von der Szene wird aufgefordert, die Anzahl der Ballwechsel in einem der Teams zu zählen. Was viele Zuschauer in der Konzentration nicht wahrnehmen: Während der Sequenz marschiert ein Mensch im Gorillakostüm langsam durchs Bild, bleibt in der Bildmitte stehen, klopft sich auf die Brust und verschwindet erst nach mehreren Sekunden wieder. Rund die Hälfte der Beobachter übersieht dies (Simons & Chabris 1999).

    Der Attentional Bias wird auch in der Forschung zu Suchtverhalten untersucht, denn hier zeigen Konsumenten von Substanzen wie Alkohol, Drogen oder auch Zigaretten eine gesteigerte Tendenz, ihre Aufmerksamkeit auf Reize zu richten, die mit dem konsumierten Stoff in Verbindung stehen. Das bedeutet, dass die Versuchspersonen beim Präsentieren von Bildern, die z.B. Alkohol oder Zigaretten zeigen, stärker auf diese Bilder reagieren als auf neutrale Reize. Diese Tendenz verstärkt das Verlangen nach der Substanz und kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Person wieder konsumiert.

    Ein weiteres interessantes Gebiet, auf dem diese Aufmerksamkeitsverzerrung untersucht wird, ist die Wahrnehmung von sozialen Interaktionen und die Verarbeitung von sozialen Informationen. Menschen, die an sozialen Ängsten leiden, neigen dazu, mehr Aufmerksamkeit auf negative oder potenziell bedrohliche soziale Signale zu richten, wie etwa ablehnende Blicke oder kritische Kommentare. Diese Verzerrung kann zu einem erhöhten Stressniveau und zu einer Verstärkung sozialer Ängste führen, da der betroffene Personenkreis die Wahrnehmung von sozialer Ablehnung überbewertet.

    Die Forschung zu Aufmerksamkeitsverzerrungen hat wichtige Implikationen für therapeutische Interventionen. Ein Ansatz, um mit solchen Verzerrungen umzugehen, ist die kognitive Verhaltenstherapie, bei der versucht wird, die Aufmerksamkeit bewusst auf weniger bedrohliche oder neutralere Reize zu lenken, um so die verzerrte Wahrnehmung zu korrigieren. Darüber hinaus werden auch Technologien wie Eye-Tracking und computergestützte Aufmerksamkeitstraining-Programme verwendet, um die Aufmerksamkeitsverzerrung zu erfassen und gezielt zu therapieren.

    Der Attentional Bias bewirkt oft eine Empathielücke (Empathy Gap): Dies bezeichnet den Effekt, dass Einfüsse wie Stress und starke negative Emotionen ein weniger empathisches Verhalten mit sich bringen. Der damit verbundene Einfuss auf Einstellungen, Vorlieben und Verhalten wird von einem selbst – und von anderen – regelmäßig unterschätzt.

    Literatur

    Koster, E. H. W., Verschuere, B., & Crombez, G. (2004). The influence of emotional information on attentional bias in anxiety and depression. Cognition & Emotion, 18, 631-645.
    MacLeod, C., Mathews, A., & Tata, P. (1986). Attentional bias in emotional disorders. Journal of Abnormal Psychology, 95, 15-20.
    Schüßler, G., & Wankmüller, M. (2015). Attentional bias in anxiety disorders: An overview of its role in the etiology and maintenance of anxiety. Psychologische Rundschau, 66, 94-104.
    Simons, D. J. & Chabris, C. F. (1999). Gorillas in our midst: sustained inattentional blindness for dynamic events. Perception, 28, 1059-1074.


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