Das Persönlichkeitskonstrukt Soziosexualität bzw. soziosexuelle Orientierung beschreibt interindividuelle Unterschiede in der Tendenz, sich auf sexuelle Kontakte auch ohne tiefere emotionale Bindung einzulassen. Soziosexualität steht also für die Bereitschaft, ungebundene sexuelle Beziehungen einzugehen, wobei Untersuchungen zeigen, dass das selbst wahrgenommene Körperbild mit der Bereitschaft zu ungebundenem Sex zusammenhängt, denn so beschreiben sich etwa Menschen, die sexuell freizügig leben, oft als besonders attraktiv. Seit von Simpson & Gangestad (1991) mit dem soziosexuellen Orientierungsinventar (SOI) ein ökonomisches Erfassungsinstrument vorgestellt wurde, erfreut es sich großer Beliebtheit in der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, wie auch in der Sexualforschung und der evolutionären Psychologie. Penke & Asendorpf (2008) haben eine revidierte Version des Verfahrens entwickelt, in der nicht nur psychometrischen Probleme des Originals beseitigt wurden, sondern die auch die getrennt Erfassung von drei Facetten der Soziosexualität erlaubt: Verhalten, Einstellung und Begehren. Studien haben inzwischen gezeigt, dass diese Differenzierung des Konstrukts sinnvoll ist, da diese drei Facetten der Soziosexualität oft sehr unterschiedliche Beziehungen zu anderen Variablen aufweisen.
Die partnerschaftliche Untreue ist übrigens ein universelles Phänomen, das in allen untersuchten Kulturen beobachtet werden kann. Das Phänomen der partnerschaftlichen Untreue kann zu Schwierigkeiten und Misserfolgen in einer bestehenden Beziehung beitragen. Evolutionspsychologische Erklärungen der (sexuellen) partnerschaftlichen Untreue betonen die Möglichkeit, dass partnerschaftliche Untreue einen Vorteil für die Weitergabe der eigenen Gene in die nächste Generation haben kann, wobei Männer untreuer als Frauen sind, da Frauen mehr in ein Kind investieren müssen und nicht davon profitieren, wenn sie zuvor zahlreiche Männer lieben. Hingegen sind Männer mehr auf Sexualkontakte mit multiplen Partnerinnen ausgerichtet, denn dadurch streben sie an, die Anzahl der eigenen Nachkommen zu erhöhen. Es wird darüber spekuliert, dass attraktive Männer durch partnerschaftliche Untreue die Anzahl ihrer Kinder erhöhen, während weniger attraktive Männer die Taktik verfolgen, sich als Langzeitpartner begehrenswert zu machen, indem sie Treue betonen. Die Neigung zur partnerschaftlichen Untreue hängt mit der Soziosexualität zusammen, wobei die Skala von der sexuellen Restriktion (niedrige Soziosexualität) bis zur sexuellen Freizügigkeit (hohe Soziosexualität) reicht. Die sexuell restriktive Orientierung äußert sich durch Zurückhaltung bei der Anbahnung sexueller Beziehung und die Betonung von Liebe als Voraussetzung für Sexualität. Hingegen ist die sexuell freizügige Orientierung dadurch charakterisiert, dass kein Problem darin gesehen wird, sexuelle Beziehungen ohne Liebe zuzulassen.
Im Hinblick auf Geschlechtsunterschiede zeigen Studien, dass Männer ein höheres Maß an Soziosexualität aufweisen. Hohe Werte auf dem SOI sind mit einem vermeidenden Bindungsstil verbunden, d. h., dass sicher gebundene Menschen über weniger partnerschaftliche Untreue berichten als die anderen drei Bindungsgruppen (ängstlich-ambivalent, ängstlich-vermeidend, gleichgültig-vermeidend. Partnerschaftliche Untreue hängt auch positiv mit einem spielerischen Liebesstil zusammen, während die romantische Liebe hoch negativ mit partnerschaftlicher Untreue korreliert (Liebesstile). Sexuelle Permissivität und sexuelle Instrumentalität korrelieren positiv mit partnerschaftlicher Untreue , wobei es einen bedeutsamen Geschlechtsunterschied im Hinblick auf die Wahrnehmung der Partneruntreue gibt.
In zwei Studien untersuchten Antar & Stephen (2021), ob sich Soziosexualität in Gesichtern widerspiegelt, welche Anhaltspunkte Informationen über Soziosexualität enthalten und ob die Wahrnehmung von Soziosexualität durch Beobachter in Gesichtern positiv mit der selbstberichteten Soziosexualität assoziiert ist. In einer ersten Studie ergab die Analyse des Geometric Morphometric Modelling bei über hundert kaukasischen Teilnehmern, dass die selbstberichtete Soziosexualität durch die Gesichtsmorphologie bei männlichen, aber nicht bei weiblichen Gesichtern vorhergesagt werden konnte. In der zweiten Studie beurteilten andere Teilnehmer die Soziosexualität von Gesichtern des anderen Geschlechts (Gesichter aus Studie Eins) bei Null-Bekanntschaft, wobei die wahrgenommene Soziosexualität die selbstberichtete Soziosexualität für Männer, aber nicht für Frauen voraussagte. Den Teilnehmern wurden außerdem Komposita von Gesichtern von Menschen mit uneingeschränkterer Soziosexualität präsentiert, die mit Kompositen von Gesichtern von Personen mit eingeschränkterer Soziosexualität gepaart waren, und sie wurden gebeten, anzugeben, welches Gesicht uneingeschränkter war. Die Teilnehmer wählten die männlichen, aber nicht die weiblichen Gesichtskomposita mit uneingeschränkterer Soziosexualität mit einer signifikant über dem Zufall liegenden Rate. Analysen ergaben außerdem, dass die Gesichtsmorphologie statistisch signifikant die wahrgenommene Soziosexualität in den Gesichtern von Frauen und, in einem größeren Ausmaß, in den Gesichtern von Männern vorhersagte. Schließlich vermittelte die Gesichtsform die Beziehung zwischen wahrgenommener Soziosexualität und selbstberichteter Soziosexualität bei Männergesichtern, aber nicht bei Frauengesichtern. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gesichtsform bei Männergesichtern, nicht aber bei Frauengesichtern, als gültiger Hinweis auf Soziosexualität fungiert.
Möglicherweise spielen Hormone eine große Rolle, warum sich der Beziehungswille in männlichen Gesichtern eher widerspiegelt und warum Frauen diesen gut erkennen können. Es könnte etwa mit dem Testosteronspiegel zu tun haben, denn Menschen mit einem höheren Testosteronspiegel sehen maskuliner aus und neigen dazu, männlichere Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale an den Tag zu legen. Da Frauen von Natur aus einen geringeren Testosterongehalt aufweisen, sind diese Merkmale weniger stark ausgeprägt. Fast stehen dürfte, dass Frauen gut einschätzen können, ob ihr männliches Gegenüber an einer Beziehung oder nur an einer Affäre interessiert ist.
Literatur
Antar, Joseph C. & Stephen, Ian D. (2021). Facial shape provides a valid cue to sociosexuality in men but not women. Evolution and Human Behavior, 42, 361-370.
Penke, L., & Asendorpf, J. B. (2008). Beyond global sociosexual orientations: A more differentiated look at sociosexuality and its effects on courtship and romantic relationships. Journal of Personality and Social Psychology, 95, 1113-1135.
Simpson, J. A. & Gangestad, S. W. (1991). Individual differences in sociosexuality: Evidence for convergent and discriminant validity. Journal of Personality and Social Psychology, 60, 870–883.
http://www.larspenke.eu/de/forschung/soi-r.html (19-11-11)