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Gesten

    Gesten sind ganz allgemein Bewegungen, die Botschaften wiederholen oder betonen, und zwar unabhängig davon, ob die Botschaft gesprochen wird oder nicht. Gesten sind Bewegungen, die Handlungen repräsentieren können, aber auch abstrakte oder metaphorische Informationen vermitteln. Gesten sind Werkzeuge, die Menschen von klein auf besitzen, wenn nicht gar von Geburt an, denn selbst Kinder, die seit ihrer Geburt blind sind, gestikulieren beim Sprechen. Im Gegensatz zu Primaten zeigen viele Kinder auf Objekte, bevor sie noch sprechen können, sodass man vermutet, dass sich die Fähigkeit, symbolische Bewegungen zu produzieren und zu verstehen, gemeinsam mit der Sprache entwickelt. Auch beim Lernen sind Gesten nützliche Werkzeuge, denn sie helfen Kindern, Wörter in neuen Zusammenhängen zu verstehen, wobei aber nicht geklärt ist, ab welchem Alter Kinder Handbewegungen als Mittel der Kommunikation verstehen und als Teil der Botschaft sehen. Wenn Kinder keine Worte finden, um sich auszudrücken, sprechen sie oft mit den Händen, wobei die Fähigkeit, Bedeutung in Bewegungen zu erkennen, mit dem Alter wächst. Gesten funktionieren aber meist nicht isoliert, denn Studien zeigen, dass Gesten nicht bloß die Sprache erweitern, sondern auch schon beim Spracherwerb helfen. Vermutlich beruhen Gesten und Sprache zum Teil auf den gleichen neuronalen Systemen, denn Untersuchungen zeigen, dass das Gehirn bei der Entwicklung die Fähigkeit zur Integration von Gesten und Sprache immer mehr verfeinert und die Verbindungen zwischen den beteiligten Hirnregionen optimier werdent, wobei das System Areale für die semantische und die sensomotorische Verarbeitung immer mehr integriert.

    Gesten dienen aber nicht nur als zusätzliches Ausdrucksmittel, sondern sind auch wesentlich für Kognition und Wahrnehmung. Bei Menschen erfolgt das Übersetzen von Bewegung in Bedeutung automatisch, denn sie haben die Fähigkeit, zu sprechen ohne zu reden, und zu verstehen ohne zu hören. Mit einem Fingerzeig lenkt man die Aufmerksamkeit anderer, untermalt Erzählungen mit Mimik oder unterstreicht diese mit rhythmischen Gesten. Man muss dazu nur jemanden fragen, wie er eine Wendeltreppe beschreiben würde.

    Wermelinger et al. (2020) haben bei ein- und zweisprachigen Kindern im Kindergartenalter untersucht, wie sie ikonische Gesten verstehen und selbst bei der Kommunikation einsetzen. Der Fokus lag dabei auf ikonischen Gesten, also Hand- und Armbewegungen, die die Form oder die Geschwindigkeit eines Objekts nachstellen, beispielsweise mit den Fingern die Schneidebewegung einer Schere nachzuahmen oder mit einer schnellen Bewegung der Hand eine hohe Geschwindigkeit anzudeuten.Bei der Aufgabe sollten Kinder einer gehörlosen Handpuppe, die ein Experimentator führte, erklären, welches Spielobjekt sie gerne von ihr hätten, wobei die zweisprachigen Kinder dabei mehr mit den Händen als einsprachige erklärten, d. h., sie verpackten mehr Information über Form und Bewegung des gewünschten Objekts in ihre Gesten und gestikulierten verständlicher, was sie erfolgreicher bei der Kommunikation machte. Zweisprachige Kinder erzeugten verständlichere Gesten als einsprachige, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass Eltern zweisprachiger Kinder mehr Gesten beim Sprechen als die Eltern monolingualer Kinder benutzen. Daraus entsteht vermutlich eine erhöhte Sensibilität der zweisprachigen Kinder gegenüber ihrem Interaktionspartner bzw. ihre Fähigkeit, verständlichere Gesten zu produzieren.

    Die Tendenz des Menschen, Kommunikation mit Bewegungen zu ergänzen, ist universell, auch wenn diese in Nuancen variieren, denn etwa in Papua-Neuguinea deuten die Menschen mit Nase und Kopf, während die Einwohner von Laos hierfür ihre Lippen verwenden, in Ghana ist es tabu, mit der linken Hand auf etwas zu zeigen, während man in Griechenland oder der Türkei in Schwierigkeiten geraten kann, wenn man mit Zeigefinger und Daumen einen Ring bildet, um anzuzeigen, dass alles in Ordnung ist. Das vermutlich universale verneinende Kopfschütteln ist entweder, wie schon Darwin annahm, eine ritualisierte Brustverweigerung des satten Säuglings oder das ritualisierte Abschütteln eines lästigen Gegenstandes. Der Ursprung dieser Bewegung lässt sich schon beim Säugling beobachten, der auf einen aversiven Stimulus den Kopf zur Seite und somit Auge und Nase vom Reiz weg bewegt. Im Verlauf der Evolution kam es vermutlich zu einer Ritualisierung, wobei jedes Signal eindeutig sein muss, daher wurde es immer auffälliger ausgeführt: durch ein Vergrößern der Kopfdrehung bis über die Mittelachse des Körpers, sowie durch Wiederholung der Bewegung. Siehe dazu im Detail das Arbeitsblatt Ritualisierte Gesten.

    Für George Herbert Mead sind Gesten sind gesellschaftlich vereinbart und haben daher in diesem Sinne eine Bedeutung, sie sichern Kommunikation, indem sie passende Reaktionen auslösen. Wenn Gesten über eine konkrete Situation hinausgehen und einen allgemeinen Sinn haben, dann bezeichnet sie Mead als Symbole. Sowohl Gesten als auch Symbole müssen interpretiert werden, d. h ., ihr Sinn, ihre Bedeutung ist nicht unmittelbar klar.

    Wenn bei aller Interpretation die Bedeutung eines Symbols in einer Gesellschaft gleich ist, dann spricht Mead von signifikanten Symbolen, von denen die wichtigsten signifikanten Symbole in der Sprache liegen, denn durch Sprache unterscheidet sich der Mensch vom Tier essentiell, wobei Denken nur durch signifikante Symbole stattfinden kann.

    Sprache ist dabei die höchstentwickelte Form der Kommunikation, denn in der Sprache sind die kollektiven Erfahrungen einer Gesellschaft gespeichert, sie ist Träger intersubjektiv geteilten Wissens und versorgt den Menschen mit den Erklärungen für Situationen, wie sie diese normalerweise erleben. Durch Interpretation von Gesten und Sprache des anderen wird es auch möglich, den Erwartungen von anderen gerecht zu werden. Diese Fähigkeit, von der Position des Anderen aus zu denken, bezeichnet Mead als Rollenübernahme.

    Gibt es eine evolutionäre Basis von menschlichen Gesten?

    Vermutlich hat sich die menschliche Sprache Schritt für Schritt entwickelt, wobei am Anfang womöglich der Austausch von Lauten, einfachen Wörtern und Gesten stand, die Inhalte und Absichten transportieren sollten. Solche kommunikativen Vorformen finden sich tatsächlich auch bei unseren nahen tierischen Verwandten, wobei bisher mehr als 80 bedeutungsvolle Gesten bei Menschenaffen identifiziert wurden. Sie signalisieren etwa, wenn die Tiere ein Stück Futter, von ihren Artgenossen gekrault oder auch in Ruhe gelassen werden wollen, wobei es zwischen den verschiedenen Arten erstaunliche Ähnlichkeiten gibt. Betrachtet man allerdings die menschliche Gestik, hat sie nicht sehr viel mit den kommunikativen Bewegungen von Affen gemein, denn Menschen verwenden zwar sehr wohl ausschweifende Gesten, um das Gesprochene zu begleiten, generell sind die menschlichen Handbewegungen aber oft sehr individuell und auch kulturell geprägt. Allerdings findet man solche Gesten eher bei Kindern zwischen ein und zwei Jahren und weniger bei Erwachsenen. In einem Online-Experiment von Hobaiter et al. (2022) sahen die Probanden Videos von gestikulierenden Schimpansen oder Bonobos, wobei die Geste parallel schematisch dargestellt war und nur eine Gruppe erhielt zusätzlich Erklärung zur dargestellten Situation. Man hatte dabei zehn Affengesten ausgewählt, deren Bedeutung bekannt ist. Es zeigte sich, dass die Affengesten in mehr als 50 Prozent der Fälle korrekt interpretiert wurden, also die Treffsicherheit deutlich höher war, als durch reinen Zufall erwartbar gewesen wäre. Die zusätzlichen Erklärungen zum Kontext der Gesten haben die Anzahl der richtigen Antworten dabei kaum erhöht. Offenbar haben Menschen ein basales Verständnis des ursprünglichen Kommunikationssystems behalten hat, obwohl er diese Gesten längst nicht mehr nutzt, d. h., die Affengesten könnten Teil eines evolutionär alten Gestenvokabulars sein, das alle Primaten teilen.

    Literatur

    Hobaiter, C., Graham, K., & Byrne, R. W. (2022). Are ape gestures like words? Outstanding issues in detecting similarities and differences between human language and ape gesture. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 377, doi:10.1098/rstb.2021.0301. https://science.orf.at/stories/3217282/ (23-01-24) (Stangl, 2023).
    Stangl, W. (2023, 25. Jänner). Gibt es eine evolutionäre Basis von menschlichen Gesten? Stangl notiert ….
    https://notiert.stangl-taller.at/forschung/gibt-es-eine-evolutionaere-basis-von-menschlichen-gesten/.
    Wermelinger, Stephanie, Gampe, Anja, Helbling, Natascha & Daum, Moritz M. (2020). Do you understand what I want to tell you? Early sensitivity in bilinguals‘ iconic gesture perception and production. Developmental Science, doi:10.1111/desc.12943.
    https://www.spektrum.de/news/ wie-haengen-gesten-kommunikation-und-lernen-im-gehirn-zusammen/1647198
    (19-05-22)
    http://www.magic-point.net/fingerzeig/grundlagen-deutsch/kommunikation/koerperspr/koerperspr.html (12-03-08)
    https://science.orf.at/stories/3217282/ (23-01-24)


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