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Priming

    Kurzdefinition: Der Begriff Priming (Bahnung) bezeichnet eine Art Grundierung des Denkens, ein sanfter Druck in eine bestimmte Richtung zu denken und zu handlen, den Menschen in der Regel nicht bewusst wahrnehmen.

    Das Priming ist die erste und unterste Gedächtniskategorie, die man mit dem Fräsen einer Spur vergleichen könnte, wobei selbst während des Schlafs nimmt der Mensch seine Umwelt unterhalb der Bewusstseinsschwelle sensorisch wahr, d. h., er nimmt alle Informationen auf und besitzt diese Daten in seinem Gedächtnis, ohne es zu wissen. Studien legen nahe, dass 95 Prozent aller Informationen unbewusst gespeichert werden und dennoch abrufbar sind. Das klassische Experiment zu diesem Phänomen stammt von John Bargh: Die Probanden und Probandinnen mussten aus mehreren Wörtern Sätze bilden, wobei einige gehäuft Wörter wie „Falte“, „vergesslich“ und „Florida“ vorgelegt bekommen, wobei Florida als Rentnerparadies gilt. Nach dem angeblichen Ende des Versuchs benötigten die Probanden und Probandinnen für den knapp zehn Meter langen Weg vom Versuchsraum bis zum Fahrstuhl eine Sekunde länger als die Kontrollgruppe. Die Hypothese lautete: Sie gehen deshalb langsamer, weil sie an das Alter gedacht haben.

    Priming (Bahnung)

    ist die Beeinflussung der Verarbeitung eines Reizes dadurch, dass ein vorangegangener Reiz implizite Gedächtnisinhalte aktiviert hat. Der primende Reiz aktiviert Kontextinformationen, die top down bestimmen, wie schnell der nachfolgende Reiz verarbeitet wird, oder ob er korrekt erkannt wird, oder – bei uneindeutigen Reizen – auf welche Weise er interpretiert wird. Priming ist die Erklärung für die Erleichterung einer Reaktion auf einen Zielreiz (target) auf Grund der vorherigen Darbietung eines Bahnungsreizes (prime). Unter Priming versteht man daher allgemein mentale Verarbeitungsprozesse der passiven Aktivierung einer internalen Bereitschaft aufg Grund kurz zuvor oder simultan erlebter Erfahrungen.

    Ein prime ist somit eine Art „Vorreiz“, der vor dem eigentlichen Reiz, auf den etwa in einem Experiment erst geantwortet werden soll, auftritt. Wenn ein Vorreiz einen Effekt auf die eigentliche Antwort hat (d.h., er kommt schneller, kommt langsamer, wird also in eine bestimmte Richtung beeinflusst), spricht man von einem priming-Effekt. Bei handlungsrelevanten Reizen geben Probanden oft schnellere Antworten als bei neutralen.
    Beispiel: Der Hauptreiz könnte ein Signal sein, das links oder rechts vom Fixationspunkt erscheint. Wüsste man vorher, ob der Hauptreiz, auf den man reagieren soll, links oder rechts käme, wäre man schneller. Der prime könnte beispielsweise ein Pfeil sein, der (a) nach links, (b) nach rechts oder (c) in beide Richtungen zeigt. Der Hauptreiz käme in 8 von 10 Fällen auf der Seite, die der Vorreiz angezeigt hat. Dann werden Probanden und Probandinnen mit den Vorreizen aus (a) und (b) schneller sein, wenn der Hauptreiz tatsächlich auf der angezeigten Seite erscheint. In der Kontrollbedingung (c) mit dem handlungsirrelevanten Vorreiz entfällt natürlich ein solcher Effekt. Auch bei handlungsrelevanten primes, die so schwach sind, dass sie der bewussten Wahrnehmung nicht zugänglich sind, kann ein priming-Effekt auftreten.

    Als semantisches Priming wird in der Psychologie der Effekt bezeichnet, dass z.B. die Verarbeitung eines Wortes die Verarbeitung eines zweiten nachfolgenden Wortes beeinflusst, wenn zwischen beiden Wörtern eine semantische Beziehung besteht. Menschen reagieren beispielsweise auf das Wort „Krankenschwester“ schneller, wenn sie vorher das Wort „Arzt“ verarbeitet haben. Die vorherige Darbietung eines Reizes (der Prime, z. B. „Arzt“) beeinflusst die Verarbeitungszeit eines Zielreizes (das Target, z. B. „Krankenschwester“). Man erklärt diesen Effekt damit, dass im Gedächtnis ein assoziatives Netzwerk besteht, in dem Wörter in Form von mentalen Repräsentationen gespeichert und organisiert sind. Dieser Vorreiz kann bewusst oder unbewusst sein, doch in jedem Fall verändert er die Reaktion auf den folgenden Reiz, indem es diese Reaktion schneller, affektiver oder intensiver macht.

    Das Priming bewirkt auch, dass das menschliche Gehirn ungeheuer schnell arbeiten kann, denn insbesondere Seheindrücke sind oft so komplex, dass die dem Bewusstsein vorgeschaltete Verarbeitung des visuellen Reizes in der Regel etwa 300 Millisekunden in Anspruch nimmt. Nur wenn das Gehirn bereits im Voraus über Informationen verfügt, d.h., schon weiß, was es sehen wird, dann setzt auch das bewusste Erkennen früher ein. Auch Gehirnstrommessungen bestätigen dies nun, dass sich die Gehirnströme für die bewusste Wahrnehmung zeitlich verändern, je nachdem, ob eine Erwartung vorhanden ist oder nicht, wobei sich die Differenzen um 100 Millisekunden bewegen. Das menschliche Gehirn führt offenbar einen Verarbeitungsprozess nicht stereotyp und zeitlich festgelegt durch, sondern passt sich flexibel an, d.h., der Verarbeitungsprozess läuft schneller ab, wenn das Gehirn die eintreffende Sehinformation lediglich mit einer zuvor festgelegten Erwartung abgleichen muss. In vertrauten Situationen setzt die bewusste Wahrnehmung daher schneller ein, als wenn das Gehirn einen visuellen Reiz vollkommen neu bewerten muss, weil keinerlei Vorinformationen vorliegen (Melloni et al., 2011).

    Übrigens: Nach Daniel Kahneman gelten die widersprüchlichen Ergebnisse der Priming-Forschung als Paradebeispiel für die oft geäußerten Zweifel an der Integrität psychologischer Forschung, weshalb er eine Art Replikations-Karussell vorschlägt, dass mehrere Forschungseinrichtungen je eine Studie auswählen sollten, die dann eine der anderen zu replizieren versucht. Siehe dazu den Florida-Effekt.

    Priming in der Werbung

    Ein Versuch mit Besuchern eines englischen Supermarkts (North et al., 1999): Im Weinregal des Supermarkts befanden sich zwei Weinsorten (deutscher bzw. franz. Wein), die hinsichtlich Preis und Süße identisch waren. Über zwei Wochen wurde abwechselnd am Weinregal französische Musik (Akkordeon) oder deutsche Volksmusik (Blasinstrumente) gespielt. Wenn deutsche Musik gespielt wurde, wurde deutscher Wein bevorzugt, wenn französische Musik gespielt wurde, wurde eher französischer Wein gekauft, wobei nur wenige angaben, durch die Musik in ihrer Entscheidung beeinflusst worden zu sein.

    Priming beim Erlernen von Gewalt

    Wenn ein Mensch eine gewalthaltige Szene sieht, wirkt sich die Aktivierung der Knotenpunkte auf benachbarte Knoten aus und aktiviert sie zumindest schwach. Wenn daher Knotenpunkte aktiviert werden, die mit aggressivem Verhalten assoziiert sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer aggressiven Reaktion kommt. Sind zusätzlich noch andere Reize vorhanden sind, die den entsprechenden Knoten aktivieren, nimmt die Wahrscheinlichkeit weiter zu. So kann man zeigen, dass ein Mensch, den man zuvor beleidigt hat, sich mit höherer Wahrscheinlichkeit gegen den Beleidiger auf aggressive Weise zur Wehr setzt, wenn sich irgendwo in ihrem Blickfeld eine Schusswaffe befindet. Der Anbahnungseffekt durch den Anblick der Schusswaffe, kombiniert mit dem Effekt der Aktivierung des Knotens für aggressives Verhalten aufgrund der Beleidigung, führt dazu, dass der kritische Schwellenwert der Aktivierung überschritten wird und es zu einer aggressiven Reaktion kommen kann. Auf ähnliche Weise bahnt Mediengewalt die Aktivierung verschiedenster mit Aggression assoziierter Knoten an, sodass beim Hinzukommen weiterer Auslöser wie z.B. eine Provokation es zu aggressivem Verhalten kommen kann (Krahé, 2012).

    Priming zur Reduktion des Gender Gap bei Karriere und Bezahlung

    Männer haben im Vergleich zu Frauen eine größere Bereitschaft sich in einen Wettbewerb zu begeben, was wahrscheinlich ebenfalls zu den Unterschieden in Gehältern und Karriereentwicklungen zwischen Männern und Frauen beiträgt. Matthias Sutter vom Department of Economics der Uni Köln zeigte, dass eine einfache und praktisch kostenlose Methode die Einkommens- und Karrierekluft zwischen Männern und Frauen schließen kann, und zwar die Methode des Priming. Man benutzte dafür die Bahnung von Reizen durch Erinnerungen an Machtsituationen (primings with power) bei den Probanden. Im Ergebnis wurde das Gefühl der weiblichen Probanden gefördert, sich bei der Ausübung von Macht wohlzufühlen, womit sie in ihrer Wettbewerbsbereitschaft zu den Männern aufschlossen.

    Priming zur Förderung von Frauen

    Eine interessante Form, den Effekt des Priming auszunutzen, ist der Versuch, Frauen, die vor allem im Beruf und bei der Bezahlung in der Gesellschaft immer noch benachteiligt sind, zu fördern. Sie haben es bekanntlich schwerer, wenn sie Karriere machen wollen, wobei ein wesentlicher Grund dafür das weniger ausgeprägte Konkurrenzdenken von Frauen sein dürfte. In einem Versuch (Balafoutas, Fornwagner & Sutter, 2018) haben Wissenschaftler nun gezeigt, dass dieser Unterschied mithilfe des Priming deutlich verringert werden kann.
    In einem Experiment mit mehr als vierhundert Probanden und Probandinnen verglichen man das Verhalten von drei Gruppen, in dem es darum ging, sich einer Konkurrenzsituation auszusetzen. Priming wurde verwendet, um einem Teil der Probanden eine Situation vor Augen zu führen, in der sie Einfluss hatten. Zum Vergleich ließen man einen anderen Teil eine Situation nachvollziehen, in der sie von anderen abhängig waren, und eine dritte Gruppe von Teilnehmern blieb neutral, war also nicht geprimt. Tatsächlich führten die verschiedenen priming-Situationen zu unterschiedlichen Entscheidungen von Männern und Frauen. In der neutralen Gruppe zeigte sich das geschlechtstypische Muster, denn 40 Prozent der Männer aber nur 14 Prozent der Frauen entschieden sich dafür, in den Wettbewerb mit anderen zu treten. Beim priming auf eine Abhängigkeitssituation entschieden die Testpersonen weitgehend ähnlich. Anders jedoch verhielten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Teilnehmer, die sich eine Begebenheit vor Augen geführt hatten, in der sie Einfluss hatten. Am deutlichsten änderte sich das Verhalten der Männer, denn nur noch 28 Prozent, also signifikant weniger von ihnen wählten die Wettbewerbssituation. Bei Frauen hatte dieses priming den gegenteiligen Effekt, wenn auch weniger stark, denn mit 20 Prozent entschieden sich etwas mehr als in der neutralen Gruppe, mit anderen in Konkurrenz zu treten. Die Wissenschaftler erklären diese divergierende Wirkung damit, dass die Erinnerung an eine einflussreiche Situation allen Personen eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten ermöglicht. Während das teilweise bei Frauen das Selbstbewusstsein stärkt, hält es Männer eher davon ab, sich selbst zu überschätzen und ein erhöhtes Risiko einzugehen. Auf diese Weise führt priming auf eine solche Situation dazu, dass sich Männer und Frauen in ihrem Wettbewerbsverhalten annähern.

    Historisches

    Das Prinzip der Bahnung wurde übrigens 1894 vom österreichischen Physiologen Siegmund Exner geprägt, der damit beschrieb, dass psychophysische Funktionen wie Gedächtnis-, Assoziations-, Wahrnehmungsleistungen umso flüssiger ablaufen, je häufiger sie wiederholt werden. Exner führte zahlreiche Studien zur Organisation der assoziativen Verbindungen im Gehirn durch und publizierte einen „Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen„, in dem er das Konzept eines neuronalen Netzes mit lokalen Lernregeln in parallel verarbeitenden Nervenverbänden entwickelte. Damit folgerte er, dass Denken und Bewusstsein Funktionen einer Netzwerkarchitektur im Gehirn sein müssten. Die heutige Gehirnforschung ist dabei nicht viel weiter, sondern bestätigt nur auf neuronaler Ebene mehr oder minder Exners Erkenntnisse. Seine These dazu lautete: Wenn ein Mensch etwas lernt, bildet sich eine Verbindung zwischen Neuronen, und wird das Gelernte immer wieder aufgerufen oder wiederholt, kommt es zur Bahnung. Heute würde man sagen, dass Neuronen  gewissermaßen eine Autobahn anlegen, auf der das Gelernte beschleunigt abgerufen werden kann. Übrigens spricht man in der amerikanischen Gedächtnisforschung beim Priming vom „Concept of Bahnung„, um der Forschung Exners den gebührenden Stellenwert zu geben. Es wurde seit damals in zahlreichen Experimenten gezeigt, dass Gedächtnisinhalte schneller abgerufen werden können, wenn der Inhalt selbst oder die mit diesem Inhalt assoziierten kognitiven Inhalte zuvor aktualisiert worden sind.

    Exner gilt daher als einer der Väter der vergleichenden Physiologie, der Hirnforschung und der Wahrnehmungspsychologie, wobei eines seiner Hauptarbeitsgebiete die Physiologie der Sinne war: Studien über Geruchsorgane, über die Empfindlichkeit der Netzhautregeneration, über Farbkontrast und über das Sehen der Facettenaugen. Besonderen Stellenwert erlangten seine Arbeiten über die Lokalisation von Verhaltensfunktionen im Gehirn, speziell seine Arbeiten zur Funktionsarchitektur der Sehrinde.

    Literatur

    Balafoutas, Loukas, Fornwagner, Helena & Sutter, Matthias (2018). Closing the gender gap in competitiveness through priming. Nature Communications, 9, doi:10.1038/s41467-018-06896-6.
    Bargh, J. A., Chen, M., & Burrows, L. (1996). Automaticity of social behavior: Direct effects of trait construct and stereotype priming on action. Journal of Personality and Social Psychology, 71, 230-244.
    Bargh, J. A., & Chartrand, T. L. (1999). The unbearable automaticity of being. American Psychologist, 54, 462-479.
    Bargh, J. A., & Ferguson, M. L. (2000). Beyond behaviorism: On the automaticity of higher mental processes. Psychological Bulletin, 126, 925-945.
    Cheesman, J. & Merikle, P. M. (1984). Priming with and without awareness. Perception and Psychophysics, 36, 387-395.
    Hell, Wolfgang (2010). Der Sechste Sinn und die unbewusste Wahrnehmung.
    WWW: http://www.gwup.org/component/content/article/999-von-schafen-und-ziegen (10-09-26)
    Krahé, B. (2012). Report of the Media Violence Commission. Aggressive Behavior, 38, 335–341.
    Melloni, Lucia, Schwiedrzik, Caspar M., Müller, Notger, Rodriguez, Eugenio & Singer, Wolf (2011). Expectations change the signatures and timing of electrophysiological correlates of perceptual awareness. The Journal of Neuroscience, 31, 1386-1396.
    North, A.C., Hargreaves, D.J., & McKendrick, J. (1999). The Influence of In-Store music on wine selections. Journal of Applied Psychology, 84, 271-276.
    Stangl, Werner (2009). Inhaltsabhängige Gedächtnisformen. [werner.stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/ModelleInhalt.shtml (09-07-28)
    Stangl, Werner (2009). Unterschwellige Wahrnehmung. Psychologie-News. Neues aus der Psychologie.
    WWW: http://psychologie-news.stangl.eu/337/unterschwellige-wahrnehmung (10-09-26)>
    http://de.wikipedia.org/wiki/Priming_(Psychologie) (10-05-03)
    https://austria-forum.org/af/Biographien/Exner%2C_Siegmund (16-08-01)


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    Ein Gedanke zu „Priming“

    1. Marius Iseli

      Guten Tag,
      mein Name ist Marius Iseli, ich studiere an der Uni Bern und schreibe einen wissenschaftlichen Artikel über Priming. Dabei bin ich auf Ihren Definition von semantischem Priming gestossen und wollte nachfragen, ob sie mir den Autor dieses Artikels angeben können, damit ich ihn im Literaturverzeichnis berücksichtigen kann?
      Mit freundlichen Grüssen,
      Marius Iseli

      Siehe dazu https://lexikon.stangl.eu/autor/

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