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Erblichkeitskoeffizient

    Verwandtschaftsgrade stehen für Anlageähnlichkeit, d.h., eineiige Zwillinge (EZ) sind anlagemäßig identisch. Unterschiede ergeben sich folgliche aus anderen Faktoren. Bei allen anderen Verwandtschaftsgraden sind Unterschiede entweder aus Anlagen oder Entwicklungsumgebung begründet. Durchschnittlich sind phänotypische Ähnlichkeiten umso größer, je enger die Verwandtschaft ist; bei gleichen Verwandtschaftsgraden sind Paarlinge um so ähnlicher, je länger sie im gleichen Entwicklungskontext gelebt haben. Zweieiige Zwillinge (ZZ) sind anlagenmäßig nicht ähnlicher als „normale“ Geschwister, teilen aber länger die gleiche Entwicklungsumgebung (gleiches Alter!). Aber zwischen unterschiedlich alten Geschwistern werden oft mehr Ähnlichkeit gefunden als zwischen gleichaltrigen ZZ.
    Daß EZ-Paare sind ähnlicher als ZZ-Paare sind, wurde oft beobachtet, was aber nicht auf Anlageunterschiede bei ZZ zurückzuführen sein muß, sondern u.U. auf größere Umweltdifferenzen – die Umwelt ist für EZ ähnlicher als für ZZ; EZ verbringen mehr Zeit miteinander als ZZ.
    Aussagekräftiger sind Vergleiche zwischen in früher Kindheit getrennten EZ- und ZZ-Paaren. Auch hier findet man regelmäßig größere Ähnlichkeiten zwischen EZ als ZZ. Das Ergebnis ist aber nicht allgemein ein Beleg für den Anlageeinfluß, denn wurde dabei das Ausmaß der Umweltunterschiede kontrolliert? Tatsächlich sind viele Geschwisterpaare in verwandten Familien aufgewachsen, nicht selten mit Kontakt in Schule und Freizeit. Eine Kontrolle des Ausmaßes ergab aber keine Effekte, die Korrelation getrennter Paare ohne Kontakt ist nicht geringer als die aus anderen Studien. Die Ähnlichkeit der Intelligenz bei EZ ist groß, aber auch andere Persönlichkeitsmerkmale wie Aggressivität, Selbstkontrolle oder Kontrollüberzeugung sind anlagebegründet.

    Ein Maß für die Erblichkeit ist der Erblichkeitskoeffizient, der durch populationsgenetische Untersuchungen Aussagen über die Erblichkeit eines phänotypischen Merkmals macht. Erblichkeit (E2) ist definiert als Anteil an der Gesamtvarianz eines phänotypischen Merkmals in einer Population, der auf Anlagenunterschiede in der Population zurückzuführen ist. Durch Untersuchung von EZ und ZZ definiert sich der Erblichkeitskoeffizient als (rEZ – rZZ) / (1 – rZZ).
    Ähnlichkeiten zwischen Adoptiveltern und -kindern können, sofern nicht verwandt sind, aus zwei Quellen stammen: differentielle Auswahl oder selektive Platzierung bei Adoptionen (z.B., daß Kinder mit höher eingeschätzter Intelligenzlage in intelligentere Adoptivfamilien kommen) oder dadurch, daß adoptierte Kinder durch Adoptiveltern in von diesen gestalteten Entwicklungskontext sozialisiert werden. Eine überzufällige Korrelation zwischen biologischen Eltern und frühzeitig adoptierten Kindern ist, wenn selektive Plazierung ausgeschlossen ist, nur auf Anlageähnlichkeit zurückzuführen.
    Neue entwicklungspsychologische Studien zeigen, daß die Erblichkeitskoeffizienten sich mit dem Alter ändern. Genetische Ähnlichkeiten und Unterschiede manifestieren sich nach der Vorschulperiode immer deutlicher (20% in früher Kindheit, 40% in der Kindheit, 60% in der Adoleszenz). Bei Persönlichkeits- und Temperametsmerkmalen liegt die Tendenz auf niedrigerem Niveau. Die Korrelation zwischen ZZ in den ersten Lebensjahren r = 0,60 bis 0.75 ist deutlich höher als durch die Vererbungstheorie (r = 0,50) vorhergesagt, denn ZZ sind sich genetisch nicht ähnlicher als Geschwister unterschiedlichen Alters. Die Korellationen sind nicht stabil: im Schulalter sind sie r50 oder kleiner. Die größte Ähnlichkeit liegt bei ZZ mit 3 Jahren, danach sinkt sie ab auf r = 0,5. Bei altersungleichen Geschwistern findet man einen umgekehrten Verlauf: In den ersten Lebensjahren ist die Ähnlichkeit geringer als durch die Vererbungstheorie vorhergesagt; sie steigt auf auf eine Endhöhe r = 0,5 in der Schulzeit. Demgegenüber fallen Intelligenzkorellationen bei EZ (gemeinsam aufwachsend) nicht mit dem Alter ab, sondern steigen von r = 0,66 in den ersten Lebensjahren rasch an und bleiben hoch. Dieses Bild wird durch eine Studie an Adoptivkindern bestätigt.


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