Die Achtmonatsangst umfasst den Zustand schwerer Ängste seitens des Kindes, wenn die Mutter es verlässt. Erst ab diesem Alter ist die Angst an eine Person gebunden, und es zeigen sich schwere körperliche und seelische Störungen, wenn diese länger fortbleibt. Dem geht notwendigerweise ein Erkennen voraus, denn das Kind ist nunmehr fähig, die Mutter von anderen Menschen zu unterscheiden, etwa an Hand ihrer Gesichtszüge, ihrer Stimme und ihrer Kleidung. Der amerikanische Psychoanalytiker René Spitz hat sich in besonderer Weise mit dem 1. Lebensjahr beschäftigt und stellte fest, dass das ‘Fremdeln’ im Alter von etwa acht Monaten darauf beruht, dass das Kind erst jetzt in der Lage ist, verschiedene Gesichter sicher voneinander zu unterscheiden, wohingegen es davor offensichtlich alle Gesichter als zur Mutter gehörend interpretierte. Im Zuge seiner Forschungen hat sich Spitz besonders mit dem Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Mutter und den Auswirkungen auf das Kind befasst, und sechs verschiedene krankhafte Einstellungen der Mutter zum Muttersein oder zum Kinde festgestellt, die beim Kind zu psychischen Schädigungen führen können:
- sie unverhüllte Ablehnung
- die ängstlich übertriebene Besorgnis
- eine in Ängstlichkeit verwandelte unbewusste Feindseligkeit
- ständiges Schwanken zwischen Verwöhnen und Feindseligkeit
- zyklische Stimmungsschwankungen der Mutter (Launenhaftigkeit)
- kompensierte Feindseligkeit (z. B. durch Verwöhnen kompensiert)
Spitz stellte jeweils ganz spezifische Schädigungen fest. So führt gemäß seinen Beobachtungen die ängstlich übertriebene Besorgnis zur ‘Dreimonate-Kolik’ oder das Schwanken zwischen Verwöhnen und Feindseligkeit zum bekannten Schaukeln.
Schon in den ersten Lebensmonaten, vermochte das Kind die Stimme der Mutter unter anderen Stimmen zu erkennen, nun aber beginnt es, sie genau zu identifizieren, und damit tritt auch ein ängstliches Verhalten fremden Menschen gegenüber an den Tag, das Fremdeln. Das typische Fremdeln dauert etwa bis zum Alter von eineinhalb Jahren. Zwar können Kinder dieses Alters einem vollkommen Unbekannten durchaus ein Lächeln schenken, Hirnmessungen aber zeigen, dass dieses Lächeln nicht Ausdruck echt empfundener Zuneigung ist. Bindung an eine Bezugsperson ist der erste tiefgreifende emotionale Prozess, der das Gehirn eines Neugeborenen beeinflusst, und diese Erfahrung ist grundlegend, da Emotionen auch an allen späteren Lernprozessen beteiligt sind. Frühe Trennungserfahrungen von Kindern führen zu einem Anstieg der Stresshormone, wobei ein Übermaß an Stress in frühen Entwicklungsphasen zu Verhaltens- und Lernstörungen bis hin zu psychischen Erkrankungen wie etwa Depressionen führen kann .
An diesen Phänomenen zeigt sich, dass die menschliche Wahrnehmung sich auch sozial mitbedingt entwickelt, wobei die Sozialbezüge durch die Wahrnehmung der Objekte und Mitmenschen geprägt werden.
Siehe Angst bei Kindern
Literatur
Fellner, Richard L. (2004). Die Psychoanalyse Sigmund Freuds.
WWW: http://www.psychotherapiepraxis.at/artikel/psychoanalyse/psychoanalyse.phtml (09-05-21)