Im
engeren Sinn bezeichnet der Begriff Voyeurismus das heimliche
Beobachten einer unwissenden Person und ist im weiteren Sinn jegliche
Form der Lust am Betrachten. Im Speziellen ist der Voyeurismus eine Form
der Sexualität, bei der ein Voyeur (Spanner) durch das Betrachten von
seiner Präferenz entsprechenden sich entkleidenden oder nackten Menschen
oder durch das Beobachten sexueller Handlungen sexuell erregt wird.
Voyeurismus wird oft auf Gewissenskonflikte zurückgeführt, die sich auf
die eigene Sexualität beziehen, wobei durch Beobachtung das eigene
Gewissen entlastet wird. Bei den Betroffenen handelt es sich häufig um
schüchterne Personen mit starken Hemmungen, die kontaktschwach sind und
Probleme haben, heterosexuelle Kontakte aufzunehmen. Das Gegenstück zum
Voyeurismus ist der Exhibitionismus. Wissen Betrachter und ein sexuelle Handlungen ausführendes Paar voneinander, spricht man von Candaulismus,
Erotische Phantasien und Voyeurismus sind bei allen Jugendlichen
üblich. Die Phantasien betreffen oft das andere Geschlecht, Verstecken
ist an sich das normale Verhalten, Schuldgefühle auf Grund der Angst,
etwas falsches getan zu haben, sind häufig und unnötig.
Der Begriff fand in den letzten Jahrzehnten insofern eine Erweiterung,
als auch Schaulustige, die bei Unfällen,
Naturkatastrophen etc. aus Sensationsgier die Bergungsarbeiten behindern
und eher als Gaffer bekannt sind, gelegentlich auch als Voyeure
bezeichnet werden. Ebenso wird der Begriff häufig in der Medienkritik,
wie zum Beispiel der Boulevardmedien und bestimmter Fernsehformate wie das „Ekelfernsehen“ angewendet.
Wie lassen sich Neugier, Schaulust und Voyeurismus voneinander abgrenzen?
Im Laufe der Evolution hat sich ein Verhaltenssystem herausgebildet, das
Lebewesen veranlasst, sich neuen, unbekannten und unvertrauten Reizen
und Sachverhalten zuzuwenden und zu erkunden. Diese
Orientierungsreaktion bzw. später dann als aktiv gezeigtes
Explorationsbedürfnis ist die natürliche Neugier, die man schon bei
Kleinstkindern beobachten kann, die sich neuen und vor allem
unvermittelten Reizen zuwenden. Diese Neugier wird dann im Laufe der
Sozialisation überformt und kanalisiert, d.h., ein Kind lernt
allmählich, mit Neuem kontrollierter umzugehen, wobei es
interindividuelle Unterschiede im Neugierverhalten gibt, die Intensität
des explorativen Verhaltens also von der Person abhängt und nicht nur
von der Intensität eines Reizes. Allerdings ist die Neugier von Kindern
und Jugendlichen beim Beobachten nackter Menschen oder sexueller
Handlungen anderer Personen im Wesentlichen entwicklungsbedingt.
Das Phänomen der Schaulust hat es zu allen Zeiten gegeben und ist auch
in allen Kulturen zu finden, man denke nur an die Gladiatorenkämpfe,
Hexenverbrennungen, den Pranger, der teilweise bis in das 19.
Jahrhundert hinein eine Unterhaltung für das Volk darstellte. Heute sind
Berichte von Unfällen, Katastrophen und Kriegsgreuel im Fernsehen oder
in Zeitungen an die Stelle der Gladiatorenkämpfe getreten, das
"Reality-TV" oder Videos von entsprechenden Schreckensszenen ersparen so
den Gang in die Kampfarena.
Der Begriff des Voyeurismus wird meist nur in Bezug auf das Beobachten
von sexuellen Aktivitäten gebraucht, bildet also eine spezielle Form der
Neugier, wobei dieser Voyeurismus vor allem bei älterne Kindern und
Jugendlichen üblich und auch im Rahmen der psychosexuellen Entwicklung
normal ist. Eine gewisse Lust am Betrachten anderer Personen in
sexuellen Kontexten ist auch für Erwachsene noch durchaus normal,
krankheitswertig ist dieses Verhalten nur dann, wenn sich die Sexualität
dann einer Fixierung auf diese Form reduziert. Eine Grenze zwischen der
bei allen Menschen vorhandener Lust am Schauen und einem krankhaftem
Voyeurismus ist daher nicht eindeutig definierbar.
Wieso "können" wir etwa bei Verkehrsunfällen nicht wegsehen? Ist das eine menschliche Reaktion?
Manche interpretieren die menschliche Schaulust als das Produkt eines
"Sicherheitstriebs", denn durch das neugierige Erforschen von
Unbekanntem gewinnt der Mensch an persönlicher Sicherheit. Daher suchen
Schaulustige nicht nur den Nervenkitzel, sondern auch Informationen
(z.B. wie der Unfall passieren konnte), um die Gefahr zu verringern,
einmal selbst in eine solche Situation zu geraten, wobei dieser
Zusammenhang den ZuschauerInnen natürlich nicht bewusst ist, sondern
auch als unterbewusster Wunsch nach Bestätigung der eigenen
Unversehrtheit beim Miterleben des Leids anderer interpretiert werden
kann.
Man sollte sich auch klar darüber sein, dass eine Unterscheidung
zwischen "guter" und "schlechter" Schaulust weniger mit dem Phänomen an
sich zu tun hat, sondern vielmehr eine Frage der Bewertung bzw. der
Interpretation darstellt. Die diesbezüglichen Normen verändern sich im
Laufe der Zeit, wobei sich die öffentliche Meinung auch unter dem
Einfluss und den Angeboten der Medien, die immer unmittelbarer am
Geschehen sind, in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Dass man
bei Ereignissen wie dem 11. September oder dem gerade stattfindenenden
Umsturz in Ägypten gewissermaßen live dabei ist, bestätigt diese
Veränderung und erweitert den Horizont der Möglichkeiten, durch Schauen
in anderen Teilen der Welt dabei zu sein.
Das Betrachten grauenvoller Bilder in seriösen Nachrichtensendungen gilt
übrigens in unserem heutigen Normgefüge mehrheitlich als durchaus
akzeptabel, hingegen verurteilt man das Gaffen auf einer Brücke bei
einem Hochwasser oder Massenunfall als eher unmoralisch. Teilweise wird
es auch nur bestimmten Personengruppen zugestanden, solche Ereignisse
oder deren Opfer anzusehen, z.B. Journalisten, Wissenschaftlern,
Juristen, Medizinern, Rettungskräften, Feuerwehrleuten etc.
Was macht die Faszination von Reality-Shows wie etwa dem "Dschungelcamp" aus?
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Solche Reality-Shows fallen weniger unter die Perspektive der Neugier
oder Schaulust, vielmehr kommen hier auch zutiefst menschliche Motive
wie Schadenfreude, das Bedürfnis nach Vorbildern oder nach Projektion
der eigenen Unzulänglichkeit, aber auch nach Bestätigung eigener
Vorurteile zum Tragen. Diesen Shows liegt seit Big Brother auch ein
Eskalationsprinzip zu Grunde, das man auch bei den antiken
Gladiatorenspielen beobachten konnte, d.h., dass es hier zu einer
Übertreibung bzw. sogar Pervertierung der ursprünglichen Ideen kommt,
dem Publikum also nicht mehr echte Kämpfe zu bieten, sondern etwa wie
bei den Wrestlern eine Show zu bieten und die Realität gewissermaßen nur
zu spielen. Teilweise werden durch solche medialen Veranstaltungen vor
allem auch positive wie negative Identifikationsmöglichkeiten
geschaffen, die durch Kunstfiguren bedient werden. In solchen Shows
treffen übrigens Voyeurismus und Exhibitionismus, die ja zueinander
komplementär sind, aufeinander. Diese Benutzung exhibitionistischer
Persönlichkeitsmerkmale findet man übrigens auch in Millionenshows,
Wetten dass? oder DSDS statt, wobei die Folgen für die einzelnen meist
naiven TeilnehmerInnen psychologisch schwer einschätzbar sind.
Kann Neugier "krankhaft" werden? Was sind Anzeichen dafür, wie kann es verhindert oder "geheilt" werden?
Neugier kann eigentlich niemals krankhaft sein, aber Menschen
unterscheiden sich natürlich im Ausmaß des “sensation seeking”, einem
Persönlichkeitsmerkmal, das in hohem Maße kulturell überformt ist.
Bekanntlich gibt es Gesellschaften, in denen das Beobachten anderer
Menschen verpönt ist. Am ehesten kann noch bei bestimmten Formen des
Voyeurismus von Krankheitwertigkeit gesprochen werden. Voyeurismus ist
nach der internationalien Klassifizierung psychischer Erkrankungen eine
Störung der Sexualpräferenz, wobei diese nur dann als Krankheit
bezeichnet werden kann, wenn ein starker Leidensdruck oder eine massive
soziale Beeinträchtigung vorliegt. Therapiebedarf besteht in der Regel
dann, wenn der Betroffene die Persönlichkeitsrechte anderer verletzt
oder strafrechtlich relevant auffällig geworden ist.
Wörterbuch der Sexualität
Im Buch "Unsere Sexualitäten. Teil I: Basics - Probleme - Lösungen" von
Steffen Fliegel findet sich einerseits ein sachlich fundierter aber dennoch leicht lesbarer Überblick
über alle Erscheinungsformen der menschlichen Sexualitäten
sowie deren Störungen, und bezieht sich dabei auf Frauen, Männer,
diverse Personen und Paare, andererseits werden Behandlungs- und
Bewältigungsmöglichkeiten sehr detailliert und praxisnah beschrieben.
Das Buch ist so aufgebaut, dass Fachleute mit einer qualifizierten
psychosozialen Beratungskompetenz oder einer Qualifikation als
Psychotherapeutin oder Psychotherapeut Menschen mit sexuellen Problemen
bei der Informationsgewinnung, Problemanalyse und Lösungssuche bzw.
Bewältigung umfassend helfen können.
Dieses Buch wendet sich daher zwar
an alle am Thema Interessierte, aber vor allem auch an Fachleute aus
Psychotherapie und Beratung, die mit den Inhalten umfassend auf
aktuellem Wissensstand arbeiten können, zumal auch für sie der
ausführliche Praxis- und Übungsteil (Sexualtherapeutische Schätze) wertvolle Informationen liefert.