oder auch Klimax ist definiert als eine Serie von Muskelkontraktionen im Genitalbereich, die zu einer sexuellen Entladung/Entspannung führt und von angenehmen Sensationen begleitet ist (Masters & Johnson, 1966). Der Orgasmus ist daher der Höhepunkt des sexuellen Lusterlebens, der beim Geschlechtsverkehr oder der Masturbation eintreten kann. Während des Höhepunkts kommt es im Genitalbereich zu rhythmischen unwillkürlichen Muskelkontraktionen, in denen sich die sexuelle Spannung entlädt. Anschließend erfolgt meist eine Entspannung des Genitalbereichs bzw. des gesamten Körpers. Neben den körperlichen Reaktionen äußert sich der Orgasmus in einem oftmals als angenehm empfundenen individuellen Erlebnis des Rausches und der Überwältigung, wobei sich die Intensität und Erlebnistiefe inter- und intraindividuell unterscheiden kann.
Masters und Johnson waren die ersten, die das menschliche Liebesspiel in den 1960er-Jahren unter Laborbedingungen untersuchten, und stellten ein Vier-Phasen-Modell der s. Erregung auf: Erregungsphase, Plateauphase, Orgasmusphase und Rückbildungsphase. In den ersten beiden Phasen werden vor allem die Sexualhormone Testosteron und Östrogen vermehrt ausgeschüttet, der Botenstoff Vasopressin lässt Puls und Blutdruck ansteigen. Testosteron hat bei beiden Geschlechtern eine erregende Wirkung, bei der Frau bewirkt die verstärkte Hormonproduktion das Feuchtwerden, eine stärkere Durchblutung des Beckenbodens und ein Aufrichten der Gebärmutter. Der Mann reagiert mit einer gesteigerten Durchblutung des Schwellkörpers, was eine Erektion auslöst. Mit weiterer Erregung verstärkt sich die Muskelspannung, die Genitalien schwellen nochmals an und werden besonders empfänglich für Stimulation. Ebenfalls bekannt ist, dass Männer leichter zum Orgasmus kommen als Frauen, was im Rahmen vieler Studien bestätigt wurde.
Bekanntlich leiden bis zu 30% der Frauen an weiblicher Orgasmusstörung,
der zweithäufigsten Art weiblicher sexueller Dysfunktion. Burri,
Cherkas & Spector (2009) haben in einer Studie bei Frauen
untersucht, ob normale Variationen der emotionalen Intelligenz, also der
Fähigkeit, Emotionen von sich selbst und anderen zu identifizieren und
zu verwalten, mit der Orgasmushäufigkeit während des Geschlechtsverkehrs
und der Masturbation verbunden sind. Man fand heraus, dass emotionale
Intelligenz positiv mit der Häufigkeit des Orgasmus während des
Geschlechtsverkehrs korreliert ist , d. h., geringe emotionale
Intelligenz scheint ein bedeutender Risikofaktor für niedrige
Orgasmenfrequenz zu sein.
Die Neurowissenschaft hat sich übrigens auch mit dem Orgasmus beschäftigt, der vielen Menschen als das höchste der Gefühle gilt. Adam Safron (2016) stellte fest, dass es vermutlich der Rhythmus bei der Sexualität ist, der im Gehirn die entscheidende Rolle spielt. Safron geht davon aus, dass rhythmische sexuelle Stimulation für einen Prozess im Gehirn verantwortlich ist, der als neural entrainment (neuronale Aufladung) bezeichnet wird. Durch diese Aufladung kann es bei intensiver und andauernder sexueller Stimulation dazu kommen, dass die Aufmerksamkeit so fokussiert wird, dass der Mensch in eine Art Trancezustand (sensory absorption) gelangt, der dann entscheidend für das Auslösen des Orgasmus ist. Synchronität ist wichtig für die Weitergaben von Signalen im Gehirn, weil Neuronen dann eher feuern, wenn sie in einem kleinen Zeitfenster mehrmals stimuliert werden. Andernfalls gehen die Signale im Rahmen eines generellen Mechanismus wieder zurück (Habituation), statt sich zu addieren. Daraus schließt Safron, dass rhythmische Aufladung der Hauptmechanismus ist, bei dem orgasmische Schwellenwerte überschritten werden. Das könnte auch erklären, warum rhythmisches Tanzen und Musik schon immer Teil von menschlichem und tierischem Paarungsverhalten waren. Wenn der Rhythmus jedoch unterbrochen wird oder an einer ungünstigen Stelle wechselt, wird auch die neuronale Stimulation unterbrochen und der Orgasmus wird hinausgezögert.
Bei über 200 Präriewühlmäusen
wurde die Hirnaktivität vor, während und nach dem Orgasmus untersucht,
wobei die menschlichen Hirnströme mit denen der monogam lebenden Nager
während des Aktes vergleichbar sind. Während bei den Weibchen nicht
untersucht werden konnte, ob sie tatsächlich zum Höhepunkt kommen, ist
zumindest nach der Ejakulation der Männchen klar, dass die Tiere einen
Sturm von Hirnaktivitäten erleben, die sich auf 68 verschiedene
Hirnregionen verteilen. Die Hirnaktivität nach dem männlichen Orgasmus
ist bei beiden Geschlechtern nahezu identisch, obwohl sich die
vorherrschenden Sexualhormone bei Männchen und Weibchen deutlich
unterscheiden, d.h. die aktiven Hirnregionen waren bei männlichen und
weiblichen Mäusen im Test sehr ähnlich, obwohl nicht überprüft werden
konnte, ob beide zum Orgasmus gekommen waren. Mehrere der aktivierten
Hirnregionen sind dafür bekannt, Bindungen zu bilden und zu stärken, so
dass die Hirn- und Verhaltensdaten darauf hindeuten, dass beide
Geschlechter orgasmusähnliche Reaktionen zeigen und dass diese Orgasmen
die Bildung von Bindungen
koordinieren. Je mehr Orgasmen die Mäuse haben, desto enger sind sie an
ihren Partner gebunden, mit dem sie ihren Bau und ihr Territorium
verteidigen und ihren Nachwuchs aufziehen. Eine einzige Studie an
Nagetieren reicht natürlich nicht aus, um allgemeingültige Aussagen zu
treffen.
Kurioses: In der Zeitschrift "Wienerin" erschien unter dem Titel "Ein Orgasmus ist besser für dein Gehirn als ein Sudoku" folgendes Forschungsresultat: "Barry Komisaruk hat in einer Studie herausgefunden, welchen Einfluss die Stimulation der Klitoris und der Vagina auf das weibliche Gehirn hat, wobei beim Sex unterschiedliche Areale im Gehirn aktiv sind, je nachdem, welche Körperstellen stimuliert werden. Die Teilnehmerinnen haben etwa ihre Brustwarzen stimuliert, wobei die gleichen Neuronen aktiviert werden wie bei der Stimulation von Klitoris, Vagina und Muttermund. Zwischen Männern und Frauen besteht kein großer Unterschied beim Orgasmus, sondern lediglich danach unterscheiden sich die Geschlechter, denn während Männer in eine Erholungsphase übergehen, reagiert bei Frauen das Gehirn weiter."
Wussten Sie übrigens, dass der 9. Mai der Tag des Orgasmus ist?
Seit dem Jahr 2002 feiern die Einwohner des brasilianischen Esperantina ihren eigenen Tag des Orgasmus, wobei die im Staat Piaui gelegene Kleinstadt dabei das fundamentale Recht eines jeden Menschen auf den sexuellen Höhepunkt unterstreichen will. Dort wird dieser Tag im großen Stil gefeiert, man schmückt am 9. Mai die Straßen der Gemeinde mit Blumen, zahlreiche Schilder preisen den Orgasmus als göttliches Geschenk und Prostituierte erteilen Tipps zum Thema Sex in Vorträgen, Seminaren und öffentlichen Podiumsdiskussionen. Dabei geht es um ein besseres bzw. erfüllteres Sexualleben der Bewohner, wobei die Stadtverwaltung einen besonderen Schwerpunkt auf das Recht der Frau auf einen Orgasmus legt. So ergab eine Umfrage unter den weiblichen Bewohnern von Esperantina, dass 73 Prozent der Frauen niemals zum Höhepunkt gelangten. Andere Quellen legen diesen Tag auf den 8. August als Datum und 2007 als Gründungsjahr, wobei man sich auf einen internationalen Tag des Orgasmus bezieht, der zwar im brasilianischen Esperantina seine Ursprünge hat, inzwischen aber auch in Argentinien, Mexiko, Norwegen und Peru begangen wird. Hinzu kommt der seit 2008 am 31. Juli begangene Nationale Orgasmus-Tag in England (National Orgasm Day UK) und der Global Orgasm for Peace-Initiative und ihr Weltorgasmustag (Global Orgasm Day), die am Tag der Wintersonnenwende (22. oder 23. Dezember) mit der positiven Energie möglichst vieler Orgasmen ein Zeichen für den Weltfrieden setzen möchte.
Das weibliche Begehren
Die psychobiologische Arbeitsgruppe der Universität Göttingen hat in einer Studie experimentell bestätigt, dass in der Phase der Ovulation erreicht das sexuelle Begehren der Frau seinen Höhepunkt, was evolutionspsychologisch im Interesse einer reichlichen Nachkommenschaft sinnvoll ist. Dabei kann die Begehrlichkeit sich auf den eigenen Partner oder auch auf andere Männer fokussieren.
Allerdings ließ sich in der neuen Studie nicht bestätigen, dass sich das weibliche Interesse während des Eisprungs vor allem auf attraktive Männer mit besonders maskuliner Wirkung richtet. Auch ließ sich nicht nachweisen, dass Frauen in der Ovulationsphase ihre Vorlieben bzw. Partnerwahlpräferenzen ändern. Solche Hypothesen waren in früheren Untersuchungen empirisch bestätigt worden.
Mihaela Pavlicev, Professor für Theoretische Evolutionäre Biologie an der Universität Wien vermutet, dass es in der Entwicklung der Säugetiere ursprünglich beim Geschlechtsakt zum Eisprung kam. Die Klitoris befand sich damals noch ausschließlich im Genitaltrakt, und wurde diese vom eindringenden männlichen Glied berührt, kam es zum Orgasmus und mit ihm zum Eisprung. Vor 75 Millionen Jahren entwickelte sich der vom Geschlechtsverkehr unabhängige Hormonzyklus und die Klitoris wanderte nach außen. Es ist jedoch unklar, ob das eine das andere bewirkte oder ob die beiden Prozesse in irgendeiner Weise miteinander verbunden waren oder auch nichts miteinander zu tun hatten. Es stellt sich auch die Frage, warum es den weiblichen Orgasmus überhaupt gibt, da er fortpflanzungstechnisch eigentlich überflüssig ist. Pavlicev et al. (2019) glauben nun nach Experimenten mit Kaninchen, dass der weibliche Orgasmus einen Mechanismus verwendet, der ursprünglich dazu gedacht war, den Eisprung während der Paarung zu induzieren, ein Mechanismus, der bei einigen Tieren (Hasen, Katzen, Frettchen oder Kamelen) noch existiert, aber bei den meisten anderen (vor allem Primaten) seine Rolle verloren hat. Das ovulatorische homologe Modell des weiblichen Orgasmus geht demnach davon aus, dass die neuroendokrinen Prozesse, die dem weiblichen Orgasmus zugrunde liegen, homolog zu jenen sind, die den kopulationsbedingten Eisprung bei einigen Säugetieren auslösen. Man verabreichte den Tieren über zwei Wochen den Serotonin-Aufnahmehemmer Fluoxetin, ein Antidepressivum, das beim Menschen die Orgasmusfähigkeit stark vermindert und vergleichbare Reaktionen bei weiblichen Kaninchen unterbinden kann. Am Tag nach der Kopulation zeigten die Tiere tatsächlich um rund dreißig Prozent weniger Eisprünge als die Kontrollgruppe. Dieses Modell zeigt also, dass Wirkstoffe wie Fluoxetin, den Eisprung bei Tieren mit kopulationsbedingter Ovulation beeinflussen. In diesem Experiment konnte also nachgewiesen werden, dass die Wirkung von Fluoxetin auf die kopulationsbedingten Ovulationsraten das ovulatorische homologe Modell des weiblichen Orgasmus unterstützt, was darauf hindeutet, dass der weibliche Orgasmus sehr tiefe evolutionäre Wurzeln unter den frühen Säugetieren hat.
Das Phänomen Post-Nut-Clarity beschreibt die Leere im Kopf nach dem Geschlechtsverkehr, bei der das Gehirn quasi neu geordnet und bei dem alle möglichen Gedanken auftauchen. Je näher ein Mensch zum Höhepunkt kommt, desto schwerer wird es für ihn, klare Gedanken zu fassen, denn jener Teil des Gehirns, der für rationale Entscheidungen zuständig ist, ist in diesem Moment beeinträchtigt. Manche Menschen berichten aber, dass sie dank dieses Zustandes der Leere oft für Probleme, für die sie bis dahin keine Lösung hatten, auf einmal geklärt werden. Durch den Orgasmus kann offenbar auch das Denken klarer werden, sodass der Hormoncocktail und die Endorphine, die dabei ausgeschüttet werden, nicht nur für Wohlgefühl und Euphorie sorgen, sondern ebenso für Momente der Erleuchtung. Solche Hormone sorgen bekanntlich auch für ein vermindertes Schmerz-, Angst-, Aggressions- sowie Stressempfinden, und damit fällt manchen Menschen wohl das Denken leichter.
Es gibt daneben auch das Phänomen der postkoitalen Müdigkeit, was aber vorwiegend auf Männer zutrifft. In einer Umfrage unter Zehntausende britischen Männern gaben achtzig Prozent der Männer an, sie seien nach dem Koitus so entspannt, dass sie sofort einschlafen könntenen. Diesen standen nur 46 Prozent der Frauen mit ähnlichen Angaben gegenüber. Häufiger als Männer geben Frauen auch an, nach dem Geschlechtsverkehr oft auch wacher und angeregter zu sein als zuvor.
Literatur
Burri, A. V., Cherkas, L. M. & Spector, T. D. (2009). Emotionale
Intelligenz und ihre Verbindung mit der Orgasmusfrequenz bei Frauen.
Zeitschrift für Sexualmedizin, 6, 1930–1937.
Masters, W. H. & Johnson, V. E. (1966). Human Sexual Response. Toronto, New York: Bantam Books.
Pavlicev, Mihaela, Zupan, Andreja Moset, Barry, Amanda, Walters, Savannah, Milano, Kristin M., Kliman, Harvey J. & Wagner, Günter P. (2019). An experimental test of the ovulatory homolog model of female orgasm. Proceedings of the National Academy of Sciences, doi:10.1073/pnas.1910295116.
Schwender, C., Schwarz, S., Lange, B. & Huckauf, A. (Hrsg.) (2019). Geschlecht und Verhalten aus evolutionärer Perspektive. Pabst.
Safron, A. (2016). What is orgasm? A model of sexual trance and climax via rhythmic entrainment. Socioaffective Neuroscience & Psychology, 6, doi: 10.3402/snp.v6.31763.
Stangl, W. (2014, 17. Mai). Emotionale Intelligenz und Orgasmushäufigkeit. arbeitsblätter news.
https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/emotionale-intelligenz-und-orgasmushaeufigkeit/.
https://de.wikipedia.org/wiki/Orgasmus (14-05-01)
https://de.wikipedia.org/wiki/Postkoitale_M%C3%BCdigkeit (14-05-01)
https://www.cosmopolitan.com/sex-love/a27545828/post-nut-clarity-definition/ (19-05-21)
https://www.kuriose-feiertage.de/tag-des-orgasmus/ (20-05-09)