Unter Deprivation versteht man in der Psychologie ein Zustand der Entbehrung und des Mangels, wobei man verschiedene Arten von Deprivation unterscheidet: Bei der sozialen Deprivation werden Betroffene sozial ausgegrenzt, bei der sensorischen Deprivation werden Außenreize vollkommen ausgeschaltet, und bei der emotionale Deprivation werden Menschen, insbesondere Kleinkinder, emotional vernachlässigt. Beim Menschen bedeutet Deprivation stets das Vorenthalten bestimmter erwünschter psychischer Bedingungen, wie etwa die Anwesenheit anderer Menschen. Es wird angenommen, dass soziale Deprivation den Menschen dazu motiviert, etwas zu der Beendigung der deprivatorischen Situation zu unternehmen. Deprivation wird in Experimenten bei Tieren etwa durch das Vorenthalten von Nahrung, Wasser oder von bestimmten Substanzen wie Kalzium oder Thiamin eingesetzt. In der Psychiatrie hat die sensorische Deprivation in Form der Fixierung oder dem Einschließen eine lange Tradition, wobei die Zwangsjacke neben der Gummizelle oft ein populäres Symbol für die Psychiatrie darstellt. Auch heute noch werden Menschen, die mutmaßlich sich selbst oder andere gefährden könnten, mit Gurten ans Bett gefesselt, was im Rahmen des geltenden Rechts auch zwangsweise geschehen kann. Eine unfreiwillige Fesselung von ungewisser Dauer stellt für die Betroffenen in der Regel eine extreme Belastung dar, insbesondere für Menschen, die sich ohnehin in einer seelischen Ausnahmesituation befinden. Im Zusammenhang mit kindlicher Entwicklung bezeichnet Deprivation das Fehlen notwendiger Umweltbedingungen wie Anregungen, Behütetsein oder ausreichende Ernährung für eine normale Entwicklung.
Institutionelle Deprivation
Mackes et al. (2020) untersuchten die Auswirkungen einer besonders schweren, aber zeitlich begrenzten Form von institutioneller Deprivation auf die Gehirnstruktur von Erwachsenen, die diese in frühen Jahren als Kinder erfahren haben, die aber anschließend in Pflegefamilien adoptiert wurden. Ist zeigte sich dabei, dass je länger der Zeitraum war, den sie als Kind in einem Kinderheim (im Alter von vier, sechs, elf und fünfzehn Jahren) unter großer Vernachlässigung verbracht hatten, desto geringer war ihre Gehirngröße als Erwachsene (im Alter zwischen 23 und 28 Jahren). Diese Daten zeigen, dass extrem ungünstige Lebensbedingungen in der frühen Kindheit durch Mangel an Fürsorge und Mangel an Stimulation sich langfristig auf die Entwicklung von Kindern auswirken. Neben psychologischen Auffälligkeiten konnten dabei auch Veränderungen im Wachstum des Gehirns beobachtet werden, die zum Teil eine verminderte Intelligenz und die auch ADHS-Symptome bei den spät adoptierten Kindern erklären. Durchschnittlich waren die Gehirne der Kinder etwa 8,6 Prozent kleiner als die einer Kontrollgruppe, wobei besonders der Zeitraum, den die Kinder in den Heimen verbrachten, ausschlaggebend war. Nur bei den früh adoptierten Kindern zeigten sich kaum langfristige Folgen, denn diese Gruppe konnte alle Defizite aufholen.
1. Definition
Bezeichnet den Entzug oder das Vorenthalten von bedürfnisbefriedigenden Objekten oder Reizen. Vor allem wird die Deprivation als soziales Phänomen bzw. als soziale Isolation beobachtet. Zur Klärung der Bedeutung werden mit Deprivationsexperimenten (besonders bei Tieren) die Auswirkungen von Hunger und Durst, der Schlafentzug, die langfristige Wirkung sozialer Isolation z.B. an verwaisten Kindern erforscht (vgl. Häcker 1956, S. 153).
2. Definition
Bezeichnet einen Zustand des Entzuges oder Mangels, wobei die Psychologie interessiert vorwiegend der Mangel an mütterlicher Zuwendung und Obsorge, der bei Kindern zu einer Vielzahl von psychologischen Problemen führt (vgl. Cohen 1995, S. 66).
3. Definition
Meint einen seelischen Entbehrungszustand, in dem triebgesteuerte oder erlernte Bedürfnisse infolge Mangel-, Verlust-, oder Entzugssituationen nicht oder nur teilweise erfüllt werden können. Das Individuum versucht zunächst, diesen Zustand durch eigene Aktivität zu beenden, reagiert bei längerdauernder Deprivation jedoch mit zunehmend depressiven Verhalten (vgl. Cohen 1990, S. 72f).
4. Definition
Die Psychologie meint mit Deprivation einen Zustand der Entbehrung, der dadurch herbei geführt wird, dass die Individuen ihre erlernten Bedürfnisse nicht oder lediglich teilweise befriedigen können (vgl. Reisenauer 1988, S. 28).
5. Definition
„Das Fehlen oder die experimentelle Ausschaltung von Reizen (sensorische Deprivation) oder Objekten der Bedürfnisbefriedigung (z.B. Schlafentzug) oder von sozialen Kontakten (soziale Deprivation) führt zu unterschiedlichen starken halluzinatorischen, neurotischen Verhaltens- oder sonstigen Störungen (z.B. das Fehlen der elterlichen Zuwendung bei Heimkindern zu Hospitalismus)“ (vgl. Brockhaus 1996).
Literatur
Brockhaus (1996). Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Leipzig. Brockhaus Verlag.
Cohen, D. (1990). Lexikon der Psychologie. London: Verlag Heyne Bücher.
Cohen, D. (1995). Lexikon der Psychologie. London: Verlag Heyne Bücher.
Häcker, H. (1998) Psychologisches Wörterbuch. Bern: Verlag Huber.
Mackes, Nuria K., Golm, Dennis, Sarkar, Sagari, Kumsta, Robert, Rutter, Michael, Fairchild, Graeme, Mehta, Mitul A. & Sonuga-Barke, Edmund J. S. (2020). Early childhood deprivation is associated with alterations in adult brain structure despite subsequent environmental enrichment. Proceedings of the National Academy of Sciences, 117, 641-649.
Reisenauer, B. (1988). Deprivationsbereiche durch Arbeitslosigkeit. Diplomarbeit. Linz. Institut für Gesellschaftspolitik.
Beispiel für Deprivation: Schlafentzug
Bei Deprivationsstudien werden möglichst alle exogenen Einflüsse ausgeschaltet, um den Anlageanteil an der Ausprägung eines Merkmals zu bestimmen. Eine experimentelle Variation bis hin zur Ausschaltung aller exogenen Einflüsse verbietet sich im Humanbereich in vielen Fällen aus ethischen Gründen, wobei hier in der Regel Rückschlüsse aus vorgefundenen Deprivationen gezogen werden, etwa bei angeborener Blindheit oder Taubheit. Dennoch gibt es zahlreiche Experimente, in denen mit Deprivationen gearbeitet wird.
Der Mensch und praktisch alle Tiere brauchen Schlaf, obwohl der Körper erstaunlich lange ohne ihn auskommt, wobei der Weltrekord derzeit bei 266 Stunden liegt. Zahllose Experimente haben gezeigt, dass der Entzug von Schlaf verheerende Folgen nicht nur für die körperliche, sondern auch für die psychische Gesundheit hat. Die erste Nacht stellt meist kein Problem dar, denn es herrscht aufgeräumte Stimmung. In der zweiten Nacht schlafen die Versuchspersonen bei Testaufgaben ein, bestreiten das aber vehement. Am dritten Tag verfliegt die Euphorie, die Teilnehmer reagieren unwirsch. In der vierten Nacht müssen sie mit Gymnastik oder Spaziergängen wach gehalten werden. Mikro-Schlafperioden häufen sich: Der Einnickende hält in seiner Tätigkeit inne und starrt sekundenlang ins Leere. Traumähnliche Halluzinationen greifen in den Wachzustand über.
In Schlafentzugsexperimenten, die länger als vier Tage dauern, kommt es zu Wahnideen. Die Versuchspersonen vermuten, dass hinter ihrem Rücken Dinge vorgehen, die man ihnen verschweigt. Weniger bedrohlich sind die physischen Folgen: brennende Augen, schwere Lider, Gliederschmerzen, Zittern und Gefühlsstörungen in Armen und Beinen. Länger andauernder Schlafentzug wird für die Betroffenen zur Folter.