Als Abruf bezeichnet man in der Lernforschung jenen Prozess, bei dem zuvor enkodierte Informationen wieder aus dem Gedächtnis abgerufen werden sollen. Meist meint man damit die aktive, freie Reproduktion, die ein Erinnerungsmaß für die Versuchspersonen darstellt, etwa durch das Ausfüllen eines Lückentextes.
Der Abruf wird umso besser sein, wenn es keine Unterschiede im physischen oder psychischen Zustand beim Lernen und beim Abruf gibt. Wenn man etwa im glücklichen Zustand etwas gelernt hat, wird es einem im traurigen Zustand schwerer fallen, sich daran zu erinnern, als wenn es einem gelingt, die glückliche Stimmung wieder herzustellen. Alkoholiker etwa können nachweislich Verhaltensweisen, die sie unter Alkohol gelernt haben (z.B. selbstbewusstes Verhalten, bestimmte sexuelle Aktivitäten, ein Gedicht usw.) besser wieder unter Alkohol aktivieren als nüchtern. Depressive können in ihrer traurigen Phase kaum die glücklichen Zeiten ihrer Ehe lebhaft erinnern, auch wenn diese nachweisbar gegeben waren. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung (Vergewaltigung, Körperverletzung) erleben ihre traumatischen Erinnerungen deshalb so belastend, weil sie im Zustand großer Angst und Erregung gespeichert wurden und in diesem Zustand auch wieder in die Erinnerung treten. Siehe dazu Enkodierungsspezifität.