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Mikroglia

    Als Mikroglia oder Mesoglia bezeichnet man eine Gruppe von Immunzellen des zentralen Nervensystems, die formal zu den Gliazellen gerechnet werden, aber einen Teil des menschlichen Immunsystems bilden. Es handelt sich dabei um schmale, lang gestreckte Zellen, die einen länglichen Zellkern besitzen, wobei die Zellfortsätze fein verzweigt sind, und sich in einer Art Kriechen fortbewegen können. Mikroglia finden sich sowohl in der weißen als auch in der grauen Hirnsubstanz. Wichtig sind sie vor allem während der embryonalen Entwicklung bei der Elimination von abgestorbenen Neuronen und Gliazellen (siehe unten).

    Eine wesentliche Rolle spielen diese Immunzellen auch im Zusammenhang mit der Blut-Hirn-Schranke, die bereits vor der Geburt etablierte, undurchdringliche Barriere zwischen dem zirkulierenden Blut und dem Gehirn, die verhindert, dass Immunzellen aus dem körpereigenen Immunsystem ins Gehirn gelangen. Die Mikroglia spielt als Wächter eine zentrale Rolle sowohl bei der Überwachung und Verteidigung des Gehirns als auch bei der Aufrechterhaltung seiner normalen Funktionen. Neuerdings versucht man durch die Modulation von Mikroglia zu einer Behandlung von Menschen mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Multiple Sklerose und Alzheimer -Krankheit zu kommen, wobei das sowohl pharmakologische als auch genetische Interventionen sein könnten, um den Verlauf dieser Krankheiten zu beeinflussen.

    Hinweis: Nur zu zehn Prozent besteht das menschliche Gehirns aus Neuronen, der übrige Teil sind Gliazellen, die im 19. Jahrhundert von Robert Virchow entdeckt wurden. Virchow schrieb den Gliazellen eine Stütz- und Strukturfunktion des Gehirns zu, und sagte, dass nur etwa zehn Prozent des Gehirnes dem Denken dient und benannte sie deshalb als Glia, griechisch für Leim. Vermutlich leitet sich davon auch die unsinnige Behauptung her, dass Menschen nur etwa zehn Prozent ihres Gehirns nutzen. Heute weiß man, dass die Gliazellen viele andere Funktionen haben, Pituizyten etwa sind aktiv an Gehirnfunktionen beteiligt, Ependrymzellen unterstützen die Neuroplastizität. Gliazellen isolieren die Neuronen elektrisch, sie ernähren sie und entsorgen die chemischen Botenstoffe (Neurotransmitter), mit denen diese kommunizieren.

    Eine besondere Funktion haben die Mikroglia als eine Art von Fresszellen, die Synapsen neu arrangieren und formieren. Die Mikroglia stellen an die zwanzig Prozent der Gliazellen stellen und gehören zum Immunsystem, sind also mit den Makrophagen verwandt, den Fresszellen, die eingedrungene Mikroorganismen vertilgen. Auch die Mikroglia erkennen und beseitigen potenziell pathogene Substanzen, beeinflussen aber auch selektiv Synapsen und tragen so zur Entwicklung des Gehirns bei. Bei Mäusen konnte man zeigen, dass die Mikroglia an den Synapsen in Form einer partiellen Phagozytose (Beseitigen von Fremdkörpern und Zellfragmenten) oder Trogocytose (Aufnahme von Oberflächenmolekülen) die Synapsen „zurechtknabbern“, und zwar jeweils nur auf der präsynaptischen Seite, also an dem Neuron, das Neurotransmitter aussendet, aber nicht auf der postsynaptischen Seite, wo die Neurotransmitter gebunden werden. Das Neuron an dieser Seite der Synapse reagiert auf die Mikroglia mit der Bildung von Filopodia (kleinen explorative Auswüchse). Dadurch sind Mikroglia wesentlich an der strukturellen Plastizität des Gehirns beteiligt, wodurch das Gehirn erst Neues lernen kann.

    Man vermutet neuerdings nach Forschungen am Mausmodell, dass Mikroglia in erster Linie auch dafür zuständig sind, feuernde Neurone im Zaum zu halten, denn man fand heraus, dass intakte Immunzellen mit ihren Dendriten nicht wahllos das Hirngewebe durchforsten, sondern gezielt an feuernde Neurone andocken, wobei deren Aktivität daraufhin nicht weiter ansteigt. Die Mikroglia zügeln somit offenbar jene Nervenzellen, deren elektrische Impulse aus dem Ruder zu laufen drohen. Ausgangspunkt war, dass die von der Mikroglia aufgegwendete Energie nicht allein dafür sinnvoll sein kann, um präventiv für einen Fall – nämlich der Beseitigung von Fremdkörpern und Zellfragmenten – gerüstet zu sein, der doch eher selten auftritt.

    Weitere Untersuchungen an Mäusen haben gezeigt, dass sich männliche und weibliche Immunzellen unterschiedlich verhalten, und zwar reagieren die Mikroglia im Gehirn von Mäusen je nach Geschlecht verschieden schnell auf Krankheitserreger. Man hatte mehr als tausend Gene und hunderte Proteine identifiziert, die je nach Geschlecht unterschiedlich reguliert werden, wobei die meisten davon bei den Männchen aktiver sind, darunter auch solche, die bei der Produktion von Abwehrmolekülen eine Rolle spielen. Auch gibt es bei den männlichen Tieren auf eine höhere elektrische Spannung an den Membranen der Mikroglia, d. h., die Zellen reagierten stärker auf das Signalmolekül ATP, das etwa verstärkt bei neuronalen Verletzungen ausgeschüttet wird. Weitere Unterschiede zeigten sich in der Größe der Zellen und in den Genen, die an DNA-Reparaturmechanismen und dem programmierten Zelltod beteiligt sind. Letztere waren bei männlichen Mäusen ebenfalls deutlich aktiver, während die weiblichen Zellen stärker zu Reparaturmaßnahmen neigten. Es scheint, als nähmen die männlichen Zellen mehr Risiken in Kauf, denn da sie fast immer schneller reagieren, begeben sich aber auch eher in Gefahr. Die männlichen Mikroglia-Zellen sind schneller erschöpft und daher auch anfälliger als die weiblichen. Man folgert daraus, dass man bei Tierstudien häufiger weibliche Tiere einsetzen müsste, insbesondere wenn es um die Erforschung von Medikamenten für neurologische und psychiatrische Erkrankungen geht.

    Mikrogliazellen haben auch eine zentrale Rolle bei der Gehirnentwicklung und der Vernetzung von Nervenzellen während der Gehirnreifung bei jungen Erwachsenen, sind aber auch von großer Bedeutung für die Entfernung von Abbauprodukten des Gehirnstoffwechsels. Bereits bei Feten lernen Mikrogliazellen während der Gehirnentwicklung körperfremde Produkte aus dem mütterlichen Blutkreislauf kennen, etwa Virusbestandteile oder Bestandteile von Bakterien aus dem mütterlichen Darm. Diese epigenetischen Prägung kann aber fehlerhaft ablaufen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft etwa an einer Infektionserkrankung leidet, was zu lebenslangen Konsequenzen führen kann, denn Mikrogliazellen leben sehr lange. Die Grundlagenforschung lässt vermuten, dass bei einigen Erkrankungen des Gehirns die normalen Funktionen der Mikroglia fehl- beziehungsweise überaktiviert sind, so bei der Schizophrenie, aber auch bei der Multiplen Sklerose oder Morbus Parkinson. Deutlich ist der Zusammenhang bei Erkrankungen des alternden Gehirns, insbesondere bei der Demenz vom Alzheimer-Typ. Fehlfunktionen der Mikroglia erhöhen dabei die Wahrscheinlichkeit, eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln. Abbauprodukte des Stoffwechsels werden schlechter abtransportiert, was zu Ablagerungen von körpereigenen Eiweißen im Gehirn führt (Amyloidplaques), was die Entwicklung und den Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen fördert. Die Mikrogliaaktivität kann entweder durch genetische Faktoren, aber wahrscheinlich auch durch chronisch entzündliche Prozesse gestört werden, denn ein Drittel der Genveränderungen, die das Risiko für neuropsychiatrische Erkrankungen erhöhen, beeinflusst auch die Funktion von Mikrogliazellen.

    Literatur

    Dilansu Guneykaya; Andranik Ivanov; Daniel Perez Hernandez; Verena Haage; Bartosz Wojtas; Niklas Meyer; Meron Maricos; Philipp Jordan; Alice Buonfiglioli; Bartlomiej Gielniewski; Natalia Ochocka; Cagla Cömert; Corinna Friedrich; Lorena Suarez Artiles; Bozena Kaminska; Philipp Mertins; Dieter Beule; Helmut Kettenmann; Susanne A. Wolf (2018). Transcriptional and Translational Differences of Microglia from Male and Female Brains. Cell Reports, 24, 2773-2783.
    Weinhard, Laetitia, di Bartolomei, Giulia, Bolasco, Giulia, Machado, Pedro, Schieber, Nicole L., Neniskyte, Urte, Exiga, Melanie, Vadisiute, Auguste, Raggioli, Angelo, Schertel, Andreas, Schwab, Yannick & Gross, Cornelius T. (2018). Microglia remodel synapses by presynaptic trogocytosis and spine head filopodia induction. Nature Communications, doi:10.1038/s41467-018-03566-5.
    http://diepresse.com/home/Wissenschaft/5395783/ (18-03-27)
    https://www.pharmazeutische-zeitung.de/fehlprogrammierte-mikroglia-als-mitverursacher/ (19-03-04)


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