Der Chamäleon Effekt beschreibt die unbewusste Nachahmung der Gesten, Haltungen und Stimmungslage, besagt also, dass Menschen vor allem in Gesprächssituationen ihre Körpersprache tendenziell an die des Gegenübers anpassen. Der Chamäleon-Effekt tritt in sozialen Interaktionen auf und kann sowohl nonverbale als auch verbale Verhaltensweisen umfassen. Der Chamäleon-Effekt wird in der Psychologie als soziales Anpassungsverhalten interpretiert, wobei angenommen wird, dass er dazu beiträgt, soziale Beziehungen aufzubauen und zwischenmenschliche Verbindungen zu stärken, denn wenn zwei Menschen bei ihrer interaktion ähnliche Verhaltensweisen zeigen, entsteht unbewusst ein Gefühl der Sympathie und des Zusammenhalts. Der Chamäleon-Effekt wurde erstmals in den 1980er Jahren von den Psychologen Hatfield und Cacioppo (1994) untersucht. Sie fanden heraus, dass Menschen, die sich mit anderen unterhalten, unbewusst ihre Mimik, Körpersprache und Tonfall an die des Gegenübers anpassen. Diese Anpassungen sind so subtil, dass sie oft nicht bewusst wahrgenommen werden. Der Chamäleon-Effekt kann einerseits dazu beitragen, Beziehungen zu stärken und Vertrauen aufzubauen, denn wenn man sich an die Emotionen anderer anpasst, zeigt man ihnen, dass man sie versteht und wertschätzt, was dazu führen kann, dass man sich verbundener und enger mit ihnen fühlt. Der Chamäleon-Effekt kann andereseits jedoch auch dazu führen, dass Menschen sich unsicher oder fehl am Platz fühlen, denn wenn man seine Emotionen ständig an die Emotionen anderer anpasst, kann man sich selbst verlieren und auch das Gefühl haben, dass man sich nicht authentisch ausdrücken kann.
Der auch als Spiegeltechnik bekannte Chamäleon-Effekt lässt sich oft im Alltag beobachtet, etwa bei verliebten Paaren im Restaurant, bei befreundeten Kollegen in der Kantine, bei neuen Bekanntschaften auf einer Messe. Besonders Mikrogesten wie Lächeln, Gähnen, Nasekratzen, einen Schluck trinken wirken ansteckend, wie etwa Chartrand & Bargh (1999, 2002) nachweisen, bei dem Probanden, die sich zum ersten Mal begegneten, Berührungen im Gesicht bereits zu 20 Prozent nachahmten, das Übereinanderschlagen von Beinen zu 50 Prozent. Das gilt allerdings in der Regel nur dann, wenn sich zwei Menschen mögen und verstehen. Vermutlich steckt dahinter das menschliche Bedürfnis nach Harmonie und Symmetrie, was sich bei Menschen zeigt, die sich ausgegrenzt fühlen, die ihre Gruppenmitglieder umso stärker imitieren. Das Verhaltensmimikry hat evolutionär wohl eine eine wichtige zwischenmenschliche Aufgabe, indem es als eine Art sozialer Klebstoff wirkt.
Untersuchungen bei Mäusen (Yu et al., 2017) haben übrigens gezeigt, dass Kratzen ansteckend sein kann, denn als man den Tieren ein Video zeigte, in dem sich eine Maus kratzt, kratzten diese sich daraufhin ebenfalls. Dabei war in ihren Gehirnen eine Region besonders aktiv, die auch eine Rolle bei der inneren Uhr spielt, sodass diese offenbar einen Botenstoff ausschüttet, der eine Kratzreaktion initiiert. Offenbar ist bei Mäusen die Kratzreaktion im Gehirn fest verankert und Empathie spielt dabei keine Rolle.
Grundlage dafür ist vermutlich der Common Code approach, ein Modell der Kognitions- und Neurowissenschaft, in dem davon ausgegangen wird, dass sich Wahrnehmung, Ausführung und Vorstellung von Bewegung eine gemeinsame Domäne im Gehirn teilen. Wenn man etwas wahrnimmt, etwa eine Bewegung, wird das motorisches Zentrum implizit aktiviert, was wieder die eigenen Bewegungspräferenzen beeinflusst. Die grundlegende Idee ist, dass die sowohl eigene Bewegung als auch die Wahrnehmung von Bewegung auf dasselbe Gehirnareal zugreifen, es aktivieren und so eine Imitation vorbereiten. Die oft salopp als Spiegelneuronen bezeichneten Gehirnbereiche zeigen während der passiven Betrachtung einer Bewegung sehr ähnliche Muster, wie sie entstehen, wenn diese Bewegung aktiv ausgeführt wird. Auch die Wahrnehmung einer motorischen Einschränkung bei einem anderen Menschen hemmt das eigene Reaktionsvermögen bzw. es wird die eigene Motorik verlangsamt.
Charpentier et al. (2020) haben zwei Studien nachgewiesen, dass das Gehirn bei der Imitation zwischen zwei neuronalen Systemen wählt, die für jeweils eine dieser Arten des Lernens verantwortlich sind. Bei der ersten Form der Nachahmung geht es um Entscheidungen, die von früheren Handlungen anderer Akteure einfach wiederholt werden (Imitation), während bei der anderen Form Nachahmung die Ziele und Absichten der Person im Vordergrund stehen und diese für eigene Handlungen abgeleitet werden, ohne aber die Handlungen des anderen nur zu kopieren (Emulation). Die reine Nachahmung basierte in der Regel auf jenen Gehirnarealen, die man als Spiegelsystem des Gehirns bezeichnet, die sowohl aktiv sind, wenn man eine Handlung ausführt, aber auch, wenn man jemand anderen bei derselben Handlung beobachtet. Die Emulationsstrategie wurde mehr auf jenes Gehinrnetzwerk übertragen, das dann aktiv ist, wenn man auf die Gedanken und Ziele einer anderen Person schließt oder sich in die Lage einer anderen Person zu versetzt und zu überlegt, was diese in der Situation denken würde. Die Computermodellierung in Verbindung mit der Verhaltensaufgabe mit virtuellen Spielautomaten, die die beiden Strategien trennte, ergab auch, dass die Kontrolle über das Verhalten adaptiv und dynamisch in Richtung der jeweils zuverlässigsten Strategie gewichtet wurde. Offenbar ist das menschliche Verhalten beim Beobachtungslernen immer eine Mischung aus beiden Strategien, d. h., das Gehirn kann abwägen, welche zu einem Zeitpunkt jeweils die optimale Strategie darstellt.
Kurioses: Nach einer von Forschern des University College London durchgeführten Untersuchung zählt sogar ein Kinobesuch als leichtes Training, sodass ein Kinobesuch als eine leichte Form einer Herz-Kreislauf-Übung fungieren könnte und gleichzeitig die Gesundheit des Herzens, des Gedächtnisses und der Konzentration fördern würde. In der Untersuchung verfolgte man die Herzfrequenzen und Hautreaktionen von Kinobesuchern, während sie das Live-Action-Remake von „Aladdin“ anschauten, und verglichen die Ergebnisse mit einer Kontrollgruppe, die die gleiche Zeit mit Lesen verbrachte. Durch die Konzentration auf die Geschichte des Films und durch das Vertiefen in die Handlung konnte dabei die Herzfrequenz auf eine ähnliche Rate wie beim zügigen Gehen oder bei der Gartenarbeit ansteigen. Allerdings wurde die Untersuchung von einer Kinokette gefördert 😉
Anmerkung: Der Chamäleon-Effekt ist benannt nach dem Chamäleon, einer Echse, die in der Lage ist, ihre Farbe an die Umgebung anzupassen.
Literatur
van Baaren, R. B., Holland, R. W., Kawakami, K., & van Knippenberg, A. (2004). Mimicry and prosocial behavior. Psychological science, 15, 71-74.
Charpentier, C. J., Iigaya, K. & O’Doherty, J. P. (2020). A Neuro-computational Account of Arbitration between Choice Imitation and Goal Emulation during Human Observational Learning. Neuron, doi:10.1016/j.neuron.2020.02.028.
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http://www.welt.de/wissenschaft/psychologie/article2463217/Der-Mensch-verhaelt-sich-wie-ein-Chamaeleon.html (08-09-18)