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Präfrontaler Cortex

    Kurzdefinition: Der Frontal- oder Stirnlappen ist der größte Lappen der Großhirnrinde mit unzähligen Funktionen und gilt als Sitz der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens. Komplexe Handlungsplanung, Problemlösung und Verhaltenskontrolle, sprachliche und emotionale Ausdrucksfähigkeit, Wahrnehmung, Bewusstsein und auch das Sexualverhalten werden in diesem Areal gesteuert.

    Der präfrontale Cortex – auch Cortex praefrontalis –  ist ein Teil des Frontallappens der Großhirnrinde (Cortex). Er befindet sich an der Stirnseite des Gehirns und ist eng mit den sensorischen Assoziationsgebieten des Cortex, mit subcorticalen Modulen des limbischen Systems und mit den Basalganglien verbunden. Der präfrontale Cortex oder Stirnlappen wird als oberstes Kontrollzentrum des Gehirns angesehen, denn hier werden die Signale aus der Außenwelt mit bereits gespeicherten Gedächtnisinhalten und emotionalen Bewertungen abgeglichen und nach den richtigen Handlungsmöglichkeiten gesucht. Der Stirnlappen startet die je nach Situation, angemessene Handlung, während gleichzeitig  der präfrontale Cortex die emotionalen Prozesse im Gehirn wie eine Art Supervisor reguliert: „Supervisory Attentional System“ (SAS). Der präfrontale Cortex gilt daher als Gehirnzentrum für Planung, Impulskontrolle und Sozialverhalten, d. h., ohne funktionierenden präfrontalen Cortex etwa auf Grund eines Unfalls oder Traumas verändert sich das Wesen eines Menschen, wobei er dann etwa Mühe bei komplexen Lernprozessen hat, seine Hemmungen verliert, unkontrolliert aggressiv, kindisch oder triebhaft wird.

    Es gibt Bemühungen, über die Tiefenhirnstimulation dieses Gehirnareals Gewaltimpulse zu unterdrücken, um damit die Wahrnehmung zu verstärken, dass Gewalt moralisch falsch sei. Da man weiß, dass der dorso-laterale präfrontale Cortex eine Rolle für antisoziales Verhalten bzw. für die Impulskontrolle spielt, wurden in einem Doppelblindversuch (Choy et al., 2018) zwei Gruppen verglichen, bei einer Gruppe wurde zwanzig Minuten lang der präfrontale Cortex mit transkranieller Gleichstromstimulation angeregt, bei der zweiten wurde nur für 30 Sekunden eine schwache Placebo-Stimulation eingesetzt. Nach dieser Stimulation wurden die Probanden mit Beschreibungen von zwei Szenarien körperlicher oder sexueller Gewalt konfrontiert und sollten dann angeben, ob sie ähnlich den Protagonisten handeln würden und wie sie aggressive Handlungen moralisch einstufen. In der Stimulationsgruppe gaben um 47 Prozent weniger an, dass sie körperliche und um siebzig Prozent weniger sexuelle Gewalt anwenden würden. Offenbar kann eine höhere Aktivität des dorso-lateralen präfrontalen Cortex die Bereitschaft senken, aggressiv zu handeln, bzw. die moralische Kontrolle erhöhen. Fraglich bleibt aber letztlich, ob die Menschen bei einem realen Ereignis ebenso weniger zu Gewalt neigen würden. Immerhin ist das Ergebnis des Experiments ein Beleg für die zumindest partielle biologische Fundierung von Gewalt, sodass man diese nicht mehr ausschließlich sozial erklären müsste.

    Die Reifung des präfrontalen Cortex dauert länger als bei anderen Hirnstrukturen und ist erst im frühen Erwachsenenalter zwischen 18 und 22 Jahren abgeschlossen. Nach neueren Studien kann diese Entwicklung allerdings bis zum 25. Lebensjahr andauern. Eine Studie des National Institutes of Health in den USA erkannte diesen Zusammenhang bereits 2005, dass sich dieser Bereich bis zum Alter von etwa 25 Jahren weiterentwickelt und  unter anderem das Planen, Denken und das Verarbeiten komplexer Informationen sowie das Vorhersehen von Konsequenzen beeinflusst. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es große Unterschiede zwischen einzelnen Menschen gibt und dass eine Entwicklung oder ein Wachstum in bestimmten Gehirnbereichen nicht zwangsläufig mit verändertem Verhalten einhergeht.

    Während dieses Prozesses scheint der präfrontale Cortex anfällig für negative Umwelteinflüsse wie Stress, Infektionen oder Traumata. Möglicherweise führt aber auch fettreiche Nahrung und Übergewicht bei Heranwachsenden zu kognitiven Defiziten, was bisher aber nur bei Mäusen nachgewiesen wurde (Labouesse et al., 2016). Wenn Mäuse im Erwachsenenalter fettreiche Nahrung erhalten, zeigen die Tiere in Tests normale Verhaltensmuster und weisen keine kognitiven Einbußen auf, egal ob sie fettreiches oder normales Futter bekommen hatten. Während erwachsene Mäuse mit erhöhtem Fettkonsum schon nach kurzer Zeit stark an Gewicht zulegten, war dieser Effekt bei den heranwachsenden Mäusen nur schwach ausgeprägt, d. h., jungen Tieren sah man  kaum an, dass sie fettreiches Futter zu sich nahmen. Bevor die heranwachsenden Mäuse aber dick wurden, machten sich neuronale Defizite bemerkbar. Entscheidend für die Entstehung dieser Defizite war also der Zeitraum des Fettkonsums, der sich offenbar vornehmlich in der Adoleszenz negativ auf die Reifung des präfrontalen Cortex auswirkt. Dabei stellte man fest, dass im präfrontalen Cortex der fettreich ernährten Tiere 35 Prozent weniger Reelin – ein extrazelluläres Protein, das bei der Entwicklung von Großhirnrinde und des Hippocampus wichtig ist – als bei normal ernährten Tieren vorkommt, während bei erwachsenen Tieren die fettreiche Nahrung keinen Einfluss auf die Produktionsrate von Reelin im präfrontaten Cortex hatte.

    Literatur

    Choy, Olivia, Raine, Adrian & Hamilton, Roy H. (2018). Stimulation of the Prefrontal Cortex Reduces Intentions to Commit Aggression: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled, Stratified, Parallel-Group Trial. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.3317-17.2018.
    Labouesse, M. A., Lassalle, O., Richetto, J., Iafrati, J., Weber-Stadlbauer, U., Notter, T., Gschwind, T., Pujadas, L., Soriano, E., Reichelt, A. C., Labouesse, C., Langhans, W., Chavis, P., Meyer, U. (2016). Hypervulnerability of the adolescent prefrontal cortex to nutritional stress via reelin deficiency. Molecular Psychiatry, doi:10.1038/mp.2016.193.
    http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2010/0420/004_gefahren.jsp (10-05-01)
    http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4frontaler_Cortex (14-11-21)


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